Hamburg. St. Paulis Trainer übt erstmals öffentlich harte Kritik am Verhalten des Teams. DFB-Pokal-Spiel als Chance zur Besserung.

Es war ein Auftritt, der an Giovanni Trapattoni erinnerte. Annähernd so wie der damalige Trainer des FC Bayern am 10. März 1998 redete sich Ewald Lienen am Montagmittag in Rage, wurde immer lauter, schlug mehrfach mit der Faust auf den Tisch, musste sich ein paar mal den Schweiß von der Stirn wischen, senkte seine Stimme, um sie im nächsten Moment wieder in voller Stärke einzusetzen. Es war die Pressekonferenz des FC St. Pauli vor dem DFB-Pokalspiel an diesem Dienstag (20.45 Uhr, Sky und Liveticker abendblatt.de) gegen Hertha BSC, die der Cheftrainer des Kiezclubs nutzte, um seine Spieler nach vier Punktspielniederlagen in Folge, die den Sturz auf den letzten Tabellenplatz nach sich zogen, erstmals öffentlich zu kritisieren.

Es war offenkundig, dass sich Lienen vor der Pressekonferenz vorgenommen hatte, diese Rede vor der versammelten Schar verschiedenster Medienvertreter zu halten. Dabei hatte ihn kaum die erste Frage so genervt, dass er vor lauter Ärger darüber in Rage geriet. „Das Selbstvertrauen der Mannschaft ist am Boden, Herr Lienen, wie, glauben Sie, können Sie das wieder aufstellen?“, lautete die – durchaus naheliegende – Frage. Nach ein paar Sätzen im gewohnten Ton („Es ist normal, dass man in so einer Situation wie der unsrigen nicht vor Selbstvertrauen strotzt“) nahm er verbal Fahrt auf. „Es wäre für mich ein Wunder, wenn wir in so einer Situation gut spielen würden. Unser Thema muss es sein, möglichst Fehler zu vermeiden, die wir immer wieder im Abwehrbereich machen. Ich weiß, es wird darüber diskutiert, dass es die Verantwortung des Trainers ist, dass die Spieler immer wieder solche Fehler machen. Wunderbar. Ich muss mich auch der Verantwortung stellen. Aber Fehler, die in einem Spiel passieren, die müssen ausgebügelt werden. Das ist unser Thema. Jetzt wird darüber diskutiert, dass die Fans die Unterstützung eingestellt haben. Das ist einfach lächerlich. Wir alle und die Spieler können froh sein, dass wir nicht ausgepfiffen worden sind in Sandhausen.“

Dann wurde Lienen richtig laut und sagte weiter: „Was wir erwarten können und was wir erwarten müssen, wir als sportlich Verantwortliche, alle, die hier im Club arbeiten, und die Fans erst recht, dass jeder, der auf den Platz läuft, egal, ob jung, ob alt, egal, ob er vielleicht noch Fitnessprobleme hat, ob so und so viele Spieler fehlen, ist, dass man alles in ein Spiel hineinlegt, dass man kämpft, bis der Arzt kommt und damit signalisiert, dass man ums Überleben kämpfen will. Das ist nicht der Fall gewesen. Wir können nicht akzeptieren, dass sich die Spieler in einer Wohlfühloase befinden. Wir sagen, der Trainer wird nicht entlassen, der Sportdirektor wird nicht entlassen, die Fans unterstützen die Mannschaft bis zum Gehtnichtmehr. Und dann sind unsere Spieler nicht in der Lage, Fehler auszubügeln?“

Lienen ließ sich nicht unterbrechen

Mitten in seinem Monolog hob eine Journalistin ihre Hand im überfüllten Medienraum des Trainingszen­trums, um die nächste Frage anzumelden. Lienen bemerkte dies, senkte seine Stimme und fragte: „Wollen Sie mich jetzt unterbrechen?“ Auf ein zaghaftes „Nein“ antwortete Lienen: „Wenn Sie ein Spieler gewesen wären, in dieser Situation, das hätten Sie nicht überlebt.“

Trotz dieser Intermezzos fand Lienen schnell seinen Faden wieder. „Dass Spieler Fehler machen, ist normal. Aber, dass wir dann fünf Leute haben, die zugucken und stehen bleiben, obwohl wir das Coachen bis zum Gehtnichtmehr ansprechen in der Besprechung, geht nicht. Da sind die Spieler in der Verantwortung. Wir hätten jedes Tor, jedes beschissene Tor, das wir in den letzten Wochen und Monaten gekriegt haben, verhindern können, wenn noch einer und noch einer und noch einer den Willen aufgebracht hätte, noch mehr nach hinten zu laufen und früher loszulaufen. Wir müssen erwarten, dass alle kollektiv alle alles geben, rein läuferisch, rein kämpferisch. Das andere kommt dann von allein. Die Spieler müssen es sich verdienen, dass wir hier eine solche Atmosphäre haben.“

Daran dürfte es auch an diesem Dienstag nicht mangeln, wenn der FC St. Pauli gegen den Bundesligadritten Hertha BSC im DFB-Pokal antritt. „Das Spiel ist für uns alle eine Chance, einen Schritt in die richtige Richtung zu machen, damit wir eine Chance haben zu überleben und in der Meisterschaft wieder erfolgreich zu sein“, sagte Lienen.

Gegen Berlin sowie in einigen weiteren Spielen muss St. Pauli auf Jan-Philipp Kalla verzichten. Der dienstälteste Profi des Clubs hat sich beim 0:3 in Sandhausen einen Teilriss des Innenbandes im linken Knie zugezogen.

FC St. Pauli: Himmelmann – Hornschuh, Sobiech, Avevor, Buballa – Nehrig, Buchtmann – Sobota, Litka – Picault, Ducksch.

Hertha BSC: Jarstein – Pekarik, Langkamp, Brooks, Plattenhardt – Stark, Skjelbred – Weiser, Stocker, Haraguchi – Ibisevic.

Schiedsrichter: Aytekin (Oberasbach).