Hamburg. Beim Heimspiel gegen Erzgebirge Aue stehen heute auch St. Paulis Sportchef und Trainer im Blickpunkt.

Beim FC St. Pauli gibt es keinen Investor, der in gewissen Abständen Sticheleien gegen den gerade amtierenden Trainer loslässt, und es gibt auch keinen Vorstandsvorsitzenden, der in seinen öffentlichen Äußerungen Stück für Stück von den sportlich Verantwortlichen abrückt, ehe er die Beurlaubung ausspricht. Und von den Fans sind ohnehin keine größeren Aktionen in Richtung einer Ablösung von Führungskräften zu erwarten. Auf den ersten Blick scheint es also, als habe der bisher enttäuschende Saisonverlauf und der erneute Absturz auf den letzten Platz der Zweitliga-Tabelle keinerlei Auswirkungen auf das Standing und die Wertschätzung von Cheftrainer Ewald Lienen und Sportchef Thomas Meggle innerhalb des Vereins.

Doch die Tatsache, dass sich derzeit weder Mitglieder des Präsidiums noch des Aufsichtsrats öffentlich zur sportlichen Situation äußern, heißt keinesfalls, dass am Millerntor eitel Sonnenschein herrscht und es ein blindes Vertrauen in die sportlichen Führungskräfte gibt. Vorstand und Aufsichtsrat haben schon vor knapp zwei Jahren bewiesen, damals sogar nur gut einen Monat nach ihrer Wahl, dass sie weitreichende personelle Entscheidungen treffen können, ohne dass zuvor eine Information darüber nach außen drängt. Damals wurden bekanntlich Lienen und Meggle auf ihre aktuellen Posten befördert. Was wie ein Handstreich wirkte, war tatsächlich über Wochen vorbereitet worden. Gleiches galt einige Monate später für die Verpflichtung von Andreas Rettig als kaufmännischer Geschäftsführer.

Tatsächlich erwies sich Ewald Lienen als Idealbesetzung. Als Typ passt er perfekt zum FC St. Pauli. Aber auch seine sportliche Bilanz bis zum vergangenen Mai war eindrucksvoll: Platz sechs in der Rückrundentabelle der Saison 2014/15 und damit der Klassenerhalt nach einer scheinbar aussichtslosen Situation im Winter sowie Rang vier in der Gesamttabelle 2015/16. Doch diese Erfolgsserie ist Vergangenheit, die Bilanz von fünf Punkten aus den ersten acht Spielen der aktuellen Spielzeit ist sogar um drei Zähler schlechter als die Ausbeute vor zwei Jahren, als nach vier Spielen Roland Vrabec und nach 17 Spielen Thomas Meggle den Trainerposten räumen mussten.

Lienen werden Coachingfehler angelastet

„Wenn man nach zwei Spieltagen unten steht, spielt das keine Rolle. Aber wenn man nach acht Spieltagen unten steht, ist das eine kritische Situation. Es wäre ein Trugschluss zu denken, wir hätten noch viel Zeit. Das ist nicht der Fall“, sagt Ewald Lienen zur aktuellen Lage. Längst gibt es im Umfeld erste Stimmen, die ihm Coachingfehler bei den Spielen in Dresden und bei Union Berlin ankreiden. Der 62-Jährige ist erfahren genug, um zu wissen, dass Erfolge auch der jüngeren Vergangenheit mit jeder neuen Niederlage immer weniger ins Gewicht fallen.

Gleiches gilt für Sportchef Meggle, der vor einem Jahr noch reichlich Lob für seine Transferpolitik einheimsen konnte, als er ohne größeren Qualitätsverlust Marcel Halstenberg für die Rekordablöse von rund 3,5 Millionen Euro nach Leipzig verkaufte und den beim FSV Frankfurt chancenlosen Marc Hornschuh ablösefrei verpflichtete, der auf Anhieb Stammspieler wurde. Jetzt sieht auch seine Bilanz weitaus trüber aus. Offenbar stellen die abgeworbenen Marc Rzatkowski, Lennart Thy und Sebastian Maier doch einen größeren Verlust für die Qualität der Mannschaft dar als angenommen. Auf der anderen Seite sind die Neuzugänge Cenk Sahin, Christopher Avevor, Richard Neudecker und Marvin Ducksch aufgrund vorheriger Verletzungen und damit fehlender Spielpraxis noch keine vollwertig einsatzbaren Akteure. Etabliert haben sich nur Außenverteidiger Vegar Eggen Hedenstad und Stürmer Aziz Bouhaddouz, der zuletzt aber auch dreimal in Folge torlos geblieben war.

Letztlich ist sportlicher Erfolg für Trainer und Sportchefs immer das beste Argument, um Gedanken an eine personelle Veränderung zu verwerfen. Dazu besteht im Heimspiel gegen den Tabellen-15. Erzgebirge Aue an diesem Freitag (18.30 Uhr, Sky und Liveticker abendblatt.de) wohl eine gute Gelegenheit. „Aue ist eine spielerisch starke Mannschaft“, sagt Lienen über den Wiederaufsteiger. Dies könnte seiner Mannschaft mehr entgegenkommen als ein Team, das vor allem kämpferische und defensive Qualitäten besitzt. In den jüngsten beiden Spielen kassierten die Sachsen sechs Gegentore, vier davon in den letzten 20 Spielminuten.

Die voraussichtliche Auftstellung

St. Pauli: Himmelmann – Hedenstad, Hornschuh, Ziereis, Buballa – Nehrig, Dudziak – Sobota, Buchtmann – Choi, Bouhaddouz (Ducksch)

Aue: Haas – Kaufmann, Breitkreuz, Riedel, Hertner – Samson, Riese – Skarlatidis, Kvesic, Soukou – Köpke

Schiedsrichter: Drees (Münster-Sarmsheim).

Weitere Freitagspiele: Bochum – Sandhausen, Bielefeld – Würzburg (beide 18.30 Uhr).