Hamburg. Der türkische Neuzugang des FC St. Pauli drängt in die Startelf, muss aber auch noch sehr viel lernen.
Wie schnell einen der Alltag nach einem besonders schönen Moment wieder einholen kann, merkte Cenk Sahin am Dienstagvormittag. Zum wiederholten Mal vertändelte der Türke leichtfertig den Ball im Trainingsspiel des FC St. Pauli und bekam prompt einen „Einlauf“ von dem sonst so besonnenen Torhüter Robin Himmelmann. „Play the ball“, schallte es über den Trainingsplatz. Die Botschaft war klar: Sahin soll sich eher vom Ball trennen. Das sah auch Trainer Ewald Lienen so. Nach der Einheit musste der 21-Jährige zum Gespräch mit dem Coach. Mit Lienen und seinen Teamkameraden spricht Sahin ein paar Brocken Englisch, sonst weicht ihm Dolmetscher Baris Tuncay, bei St. Pauli U-15-Trainer, nicht von der Seite. Auf und neben dem Platz ist der 33-Jährige wichtiger Bezugspunkt und Helfer im Alltag. Zweimal pro Woche lernt Sahin Deutsch, um so seine Integration voranzutreiben.
Sahins Laune besserte sich schnell, als der offensive Mittelfeldspieler wenig später im Medienraum an der Kollaustraße über seinen bisher größten Moment beim Kiezclub sprechen durfte. In der Schlussminute erzielte Sahin am Sonntag gegen Arminia Bielefeld das Siegtor für St. Pauli. „Als meine Mitspieler vor Freude auf mir lagen, dachte ich, dass ich in Ohnmacht falle“, scherzte der Türke, der auf Leihbasis von Başakşehir Istanbul nach Hamburg kam, nach seinem Premierentor. „Leider weiß ich noch nicht, wo in Deutschland die Highlights im TV laufen, aber ich habe mir das Tor in den sozialen Netzwerken noch einmal angeschaut“, sagte Sahin, der in seiner Freizeit gerne Filme schaut und Basketball spielt. In der Heimat gilt der Offensivspieler, der strenggläubig ist, als Hoffnungsträger für die Zukunft. Sahin stammt aus der 108.0000-Einwohner-Stadt Zonguldak an der Schwarzmeerküste, die für ihre Kohleförderung bekannt ist. Schon früh war dem Techniker klar, dass er Fußballprofi werden will.
Bilder vom Sieg gegen Bielefeld:
St. Paulis später Sieg gegen Arminia Bielefeld
In Istanbul besuchte Sahin eine Sportakademie, ehe er 2011 sein Erstliga-Debüt feiern durfte. Sahin wurde zum Shootingstar, das Internetportal „Transfermarkt.de“ taxierte den Marktwert zwischenzeitlich auf vier Millionen Euro. Auch die großen Clubs aus Istanbul waren an ihm dran, doch er wollte nach Deutschland. Sahin macht keinen Hehl daraus, dass er den Wechsel aus der SüperLig in die Zweite Liga nicht bereut hat. Auch wenn sein ehemaliger Club aktuell Tabellenführer in der Türkei ist. „Ich war dort nicht unumstrittener Stammspieler. In der Türkei ist in der ersten Liga das individuelle Niveau höher, aber von der Organisation auf und neben dem Platz her gefällt es mir in Deutschland besser. Hier kann ich mich am besten entwickeln. Ich brauche Spielpraxis“, so Sahin mit sanfter und tiefer Stimme.
Dass sein eher ruhiges Naturell durchaus täuschen kann, zeigte er vor zwei Wochen. Beim EM-Qualifikationsspiel gegen Zypern flog Sahin als Kapitän der türkischen U-21-Auswahl vom Platz, nachdem er in der Nachspielzeit seinem Gegner in den Unterleib getreten hatte. Zuvor war Sahin mit Fäusten attackiert worden. „Es war alles unübersichtlich, aber da der Fall noch bei der Uefa liegt, möchte ich dazu nicht mehr sagen“, so Sahin, der auch bei St. Pauli schon bewiesen hat, dass er ein Heißsporn ist. „Ich lebe auf dem Platz meine Emotionen aus“, sagte Sahin, zu dessen Glück nur eine Wohnung fehlt. Bislang wohnt er im Hotel. Das soll sich bald ändern. Wie schnell sich Erfolg einstellen kann, hat der Türke auf dem Platz gegen Bielefeld unter Beweis gestellt.