Hamburg. St. Paulis Sportdirektor Thomas Meggle nimmt vor dem Spiel gegen Bielefeld die Routiniers in die Pflicht.
Auf den ersten Blick ist es ein ganz normales Zweitligaspiel, eine von insgesamt 304 Partien. Zwei Mannschaften, 22 Spieler, und ein Schiedsrichter. Wenn der FC St. Pauli an diesem Sonnabend (13 Uhr, Sky und Liveticker abendblatt.de) Arminia Bielefeld am Millerntor empfängt, sind es rein vom Gefühl her jedoch weit mehr als nur 90 Minuten, in denen es um drei Punkte geht. Nach drei Niederlagen in Folge zum Saisonstart geht es für St. Pauli darum, eine Trendwende zu vollziehen und zu dokumentieren, dass man die Länderspielpause genutzt hat, um die zahlreichen Defizite zu bearbeiten. Auch wenn man rund ums Millerntor-Stadion das Wort Krise offiziell noch nicht in den Mund nimmt, man muss kein ausgewiesener Fußballexperte sein, um zu erahnen, was im Worst-Case-Szenario los wäre, wenn auch das Duell mit den Ostwestfalen mit einer Niederlage enden würde.
Deshalb nimmt Sportdirektor Thomas Meggle vor allem seine Führungsspieler in die Pflicht. In der bisherigen Saison ist es auffällig, dass sämtliche Stützen der Vorsaison weit unter ihren Möglichkeiten geblieben sind. Einstige Leistungsträger wie Torhüter Robin Himmelmann, Abwehrspieler Philipp Ziereis oder der ehemalige polnische Nationalspieler Waldemar Sobota haben derzeit mehr mit sich selbst zu tun, als ihre Rolle in der Mannschaft zu erfüllen. „Ich erwarte, dass die Spieler, die 50 und mehr Zweitligaspiele gemacht haben, vorangehen und Verantwortung übernehmen. Es geht nicht nur um Kapitän Gonther und Nehrig, ich denke auch an Himmelmann, Ziereis, Buballa, Buchtmann, Sobota und Bouhaddouz. Ich bin überzeugt, dass sie es auch tun werden“, sagte Meggle, der keinen Hehl daraus macht, dass es gegen die Arminia ganz sicher kein Fußballfest wird.
Selbsterkenntnis ist der erste Schritt zur Besserung
St. Pauli ist auf der Suche nach der eigenen Identität, nach den Tugenden, die den Club in der vergangenen Saison auf Rang vier katapultiert haben. Auch in der Vorsaison war der Kiezclub wahrlich nicht mit den größten Talenten gesegnet, wohl aber mit der wohl besten Mentalität. Die Erfolgsformel damals: hinten kein Gegentor und vor dem gegnerischen Tor gnadenlos effizient sein. „Jetzt geht es darum, sich Siege durch unbändigen Willen, unglaubliche Defensivarbeit und Kompaktheit, die wir in der vergangenen Saison hatten, zu erarbeiten. Da hat jeder auf sich geachtet, aber auch seinen Nebenmann zu 100 Prozent unterstützt“, sagte Meggle und richtet eine klare Forderung an sein Team: „Wir müssen jetzt noch ein bisschen mehr investieren, um wieder dorthin zu kommen. Die Reaktionen der Spieler zeigen aber, dass sie es genauso sehen.“
Selbsterkenntnis ist bekanntlich der erste Schritt zur Besserung. Wie gnadenlos Abstiegskampf sein kann, hat St. Pauli vor zwei Jahren am eigenen Leib erfahren. Damals rettete der im Winter 2014 verpflichtete Lienen den Kiezclub erst auf der Zielgeraden vor dem Sturz in die Drittklassigkeit. Nun wäre es vermessen, 31 Spieltage vor Saisonende St. Pauli zum Abstiegskandidaten zu benennen, deshalb will Meggle auch keine Vergleich zu damals ziehen. „Die Parallelen sind, dass wir aktuell keine Punkte holen. Die Situation ist nicht rosarot, sie ist schwierig, aber sie ist nicht mit der von damals zu vergleichen. Der Kader ist im Vergleich zu damals auf den verschiedenen Positionen homogener und gleichwertiger aufgestellt“, sagte Meggle.
"Gerade in der Zweiten Liga ist vieles möglich"
Doch genau diese Kaderzusammenstellung und die starke Vorsaison führten dazu, dass die Erwartungshaltung über den Sommer stetig zunahm. Mit Ausnahme von Marc Rzatkowski, der zu Red Bull Salzburg transferiert wurde, konnte St. Pauli das Team zusammenhalten und mit interessanten Neuzugängen aufwerten. Experten sahen das Lienen-Team gar als heißen Bundesliga-Kandidaten. „Jede Mannschaft fängt bei null Punkten an und muss zusehen, dass sie so schnell wie möglich 36 bis 40 Punkte hat. Das ist keine Floskel. Man sieht, dass gerade in der Zweiten Liga vieles möglich ist. Nicht umsonst heißt es, dass die Zweite Liga spannender als die Erste ist, weil viele Entscheidungen völlig offen sind“, sagte Meggle.
Einige offene Frage werden an diesem Sonnabend sicher beantwortet. Beginnt beim FC St. Pauli die sportliche Krise so richtig? Gelingt dem Lienen-Team der Befreiungsschlag? Und muss der Kiezclub weiter auf den ersten Heimsieg der Saison warten? Antworten auf all das wird es nach dem Abpfiff gegen 14.50 Uhr geben.