Hamburg. Nach herausragenden Leistungen erleidet das Millerntor-Team immer wieder Rückschläge gegen Außenseiter.

Gefahr erkannt, Gefahr gebannt – so lautet ein altes Sprichwort. Doch nicht immer trifft diese Weisheit auch zu, wie der FC St. Pauli gerade bewiesen hat. Cheftrainer Ewald Lienen war eine Woche lang nicht müde geworden, sein Team auf die Qualität des FSV Frankfurt hinzuweisen. Und doch gelang es am Freitagabend nicht, denselben Biss und dieselbe Griffigkeit herauszukitzeln, die seine Spieler nur sieben Tage zuvor beim 1:0-Sieg über den souveränen Zweitliga-Tabellenführer RB Leipzig an den Tag gelegt hatten.

Das Ergebnis ist bekannt. Nach der 1:3-Heimniederlage gegen den als Tabellen-15. ans Millerntor gekommenen FSV Frankfurt gab es am Sonnabendvormittag reichlich Redebedarf. Ausführlich sprachen Trainer und Spieler vor dem Regenerationstraining über die Gründe für den ärgerlichen Rückschlag und die verpasste Chance, zumindest vorübergehend auf den zweiten Tabellenplatz zu springen. Nachdem sie sich bereits um 9.30 Uhr getroffen hatten, begannen sie erst nach elf Uhr mit regenerativen Übungen im Kraftraum und gingen erst um 12.06 Uhr auf die übliche, lockere Radtour durch das Niendorfer Gehege.

Davor wurde geredet. „Wir haben lange diskutiert“, erzählte Kapitän Lasse Sobiech. Dafür gab es gute Gründe, schließlich hatte das Heimspiel gegen Frankfurt die realistische Chance geboten, die namhaften Aufstiegsanwärter Freiburg und Nürnberg noch stärker unter Druck zu setzen und im eigenen Umfeld eine Euphorie zu entfachen.

So aber ist eine Krankheit wieder ausgebrochen, von der die St. Paulianer schon in der Hinrunde befallen waren. Nach einer überragenden Leistung folgt eine völlig unnötige Niederlage auf dem Fuß. Dies war schon nach dem Sieg im Hinspiel in Leipzig so, als es ein ärgerliches 0:1 in Frankfurt gab. Und nach der 4:0-Gala gegen Düsseldorf folgte fünf Tage später das frustrierende 0:2 beim verunsicherten Abstiegskandidaten 1860 München.

St. Pauli unterliegt Frankfurt am Millerntor

Marc Rzatkowski jubelt über sein Führungstor. Doch kurz darauf fiel der Ausgleich
Marc Rzatkowski jubelt über sein Führungstor. Doch kurz darauf fiel der Ausgleich © WITTERS | TimGroothuis
Ziereis grätscht um den Ball
Ziereis grätscht um den Ball © Bongarts/Getty Images | Stuart Franklin
Enis Alushi im Zweikampf mit  Taiwo Awoniyi
Enis Alushi im Zweikampf mit Taiwo Awoniyi © Bongarts/Getty Images | Stuart Franklin
Bernd Nehring im Duell mit Niki Zimling. Im Anschluss musste der Frankfurter ausgewechselt werden
Bernd Nehring im Duell mit Niki Zimling. Im Anschluss musste der Frankfurter ausgewechselt werden © Bongarts/Getty Images | Stuart Franklin
Lennart Thy in der Partie gegen Frankfurt
Lennart Thy in der Partie gegen Frankfurt © WITTERS | TimGroothuis
Jubel bei Frankfurt, die nur eine Minute nach dem Tor der Hamburger den Gegentreffer erzielten
Jubel bei Frankfurt, die nur eine Minute nach dem Tor der Hamburger den Gegentreffer erzielten © dpa | Daniel Reinhardt
Und anschließend sogar in Führung gingen
Und anschließend sogar in Führung gingen © dpa | Daniel Reinhardt
Paulis Marc Rzatkowski (l) jubelt nach seinem Treffer zum 1:0 mit Enis Alushi
Paulis Marc Rzatkowski (l) jubelt nach seinem Treffer zum 1:0 mit Enis Alushi © dpa | Daniel Reinhardt
Paulis Lasse Sobiech (r) und Frankfurts Taiwo Awoniyi kämpfen um den Ball
Paulis Lasse Sobiech (r) und Frankfurts Taiwo Awoniyi kämpfen um den Ball © dpa | Daniel Reinhardt
Feuerwerkskörper außerhalb des Stadions
Feuerwerkskörper außerhalb des Stadions © Bongarts/Getty Images | Stuart Franklin
Ewald Lienen peitscht vor dem Spiel die Fans ein
Ewald Lienen peitscht vor dem Spiel die Fans ein © Witters | TimGroothuis
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„Es ist immer schwerer, nach Erfolgserlebnissen gegen große Mannschaften den Fokus zu behalten“, versuchte Mittelfeldspieler Bernd Nehrig, das Phänomen zu erklären. Lasse Sobiech ergänzte: „Wenn man zuletzt ein besonders gutes Spiel gemacht oder viele Tore geschossen hat, geht man mit einem anderen Selbstverständnis ins Spiel. Letztlich wäre es aber besser gewesen, dieses Selbstbewusstsein nicht nur auf die Offensive, sondern noch mehr auf die Defensive zu legen. Denn Torchancen bekommen wir ja immer irgendwie, wie wir auch jetzt gesehen haben.“

Der Abwehrchef, dem gegen Frankfurt ein höchst unglückliches Eigentor zum 1:3-Endstand unterlaufen war, versuchte zu erklären, warum es trotz aller Warnungen vor den Frankfurter Qualitäten zu den Nachlässigkeiten kommen konnte. „Es ist sicherlich so, dass man bei einer Mannschaft, die in der Tabelle weit hinter einem liegt, eher daran denkt, selber zu spielen, mehr Ballbesitz und mehr Torchancen zu haben, als wenn man gegen Leipzig spielt. Das ist einerseits menschlich verständlich, andererseits aber war es eben nicht die richtige Herangehensweise“, sagte Sobiech. „Es wäre aber zu einfach, dies als Kopfproblem zu bezeichnen und sich mit damit zufrieden zu geben.“ Aber auch Bernd Nehrig hat ein mentales Problem erkannt. „Wenn es nicht so klappt wie geplant und man keinen Zugriff bekommt, findet im Kopf ein Prozess statt. Es fängt bei jedem an zu rattern, man macht sich Gedanken, wie man das ändern kann. Und das sind dann die Zehntelsekunden, die man dann zu spät kommt.“

Ähnlich sieht auch Trainer Lienen die Problematik: „Es ist immer schwerer, die gleiche Mentalität an den Tag zu legen, wenn man erfolgreiche Spiele abgeliefert hat. Erst wenn man das schafft, ist man eine absolute Spitzenmannschaft“, sagte er in der Nachbetrachtung und räumte ein, gehofft zu haben, dass sich sein Team in dieser Hinsicht ein Stück weiterentwickelt hat. „Doch uns haben ein paar Prozentpunkte gefehlt. Die Frankfurter haben aus ihrer Sicht das Spiel abgeliefert, das wir gegen Leipzig gezeigt haben.“

Vor der ersten sportlichen Trainingseinheit wird am Dienstagvormittag mit einer Videoanalyse der entscheidenden Szenen die Heimniederlage gegen Frankfurt – es war schon die vierte der laufenden Saison – noch einmal aufgearbeitet werden. „Wir werden uns dann auf Duisburg vorbereiten und festlegen, welche Taktik dort die beste ist. Es ist auch wichtig, sich nicht mehr zu lange mit dem Frankfurt-Spiel aufzuhalten“, sagt Nehrig. Einfacher wird es nach seiner Einschätzung dort nicht: „Spiele wie gegen Frankfurt und Duisburg sind die schwereren im Vergleich zu den Partien gegen die Topteams.“

Lasse Sobiech fiebert schon darauf hin, eine Reaktion auf den Rückschlag vom Freitag zeigen zu können. „Das Gute ist, dass wir eine sehr lernfähige Mannschaft sind. Wir werden jetzt gegen Duisburg alles reinhauen und dort sicher keinen Hurrafußball spielen, nur weil der MSV Letzter ist. Das müssen wir aus dem Spiel gegen Frankfurt lernen“, sagt er.

Dies muss keinesfalls nur Wunschdenken sein. Vielmehr haben er und seine Kollegen in dieser bisher insgesamt sehr erfolgreichen Saison auch schon die positive Mentalität an den Tag gelegt, auf Rückschläge mit Leistungssteigerungen zu reagieren – wie etwa mit dem Triumph gegen Freiburg nach zuvor drei sieglosen Spielen oder dem Auswärtserfolg in Kaiserslautern nach zwei vorherigen Niederlagen.