Hamburg. St. Paulis 1:0-Sieg gegen den Zweitliga-Spitzenreiter Freiburg belegt den Reifeprozess des Teams vom Millerntor.
Noch 20 Minuten nach Spielschluss standen die Anhänger des FC St. Pauli dicht gedrängt auf den Rängen des Millerntor-Stadions. Sie wollten einfach noch ein bisschen an dem Ort ausharren, an dem ihr Team gerade einen beeindruckenden Beweis ihrer Entwicklung zu einer gereiften Mannschaft abgeliefert hatte. Verdientermaßen ließen sich die Spieler für den 1:0 (0:0)-Sieg gegen den Zweitliga-Tabellenführer SC Freiburg ausgiebig feiern.
Es war gewiss kein hoch attraktives Fußball-Spektakel, das die beiden Teams in den 93 Minuten zuvor geboten hatten. Zu groß war der gegenseitige Respekt vor den jeweiligen Stärken des Gegners. Zu ausgeprägt war vor allem auch die Disziplin, mit der es insbesondere dem FC St. Pauli gelang, den gefürchteten Spielfluss des Gegners zu unterbinden. Am Ende hatten die Breisgauer, die bis dahin 27 Tore in elf Spielen erzielt hatten, nur ganze fünf Torschüsse zu verzeichnen. „Wir haben gegen die beste Offensive der Liga praktisch nichts zugelassen“, fasste Stürmer Lennart Thy später treffend zusammen.
Dabei hatte Trainer Lienen im offensiv-zentralen Mittelfeld auf Sebastian Maier verzichten müssen, dessen Oberschenkelprobleme, die ihre Ursache im Rücken haben, sich als zu hartnäckig erwiesen hatten. Für ihn rückte erstmals in dieser Saison Jan-Philipp Kalla in die Startelf. Das St.-Pauli-Urgestein führte auch die Mannschaft als Kapitän auf den Platz, nachdem in den Spielen zuvor Abwehrchef Lasse Sobiech die Spielführer-Binde der St. Paulianer getragen hatte. Kalla nahm die Position im rechten Mittelfeld ein, Waldemar Sobota rückte dafür auf Maiers zentralen Posten.
FC St. Pauli besiegt Spitzenreiter Freiburg
Mehr als eine Stunde lief die Partie praktisch nach dem selben Muster ab. Das Freiburger Team hatte deutlich mehr Ballbesitz, konnte aber aus dieser Feldüberlegenheit kaum Torchancen generieren. Erst in der 44. Spielminute musste St. Paulis Torwart Robin Himmelmann erstmals einen Torschuss parieren – in diesem Fall von Vincenco Grifo. Auch St. Paulis Offensive brachte im ersten Abschnitt nur einen nennenswerten Torschuss zustande, als Lennart Thy nach einem Befreiungsschlag den Ball erlief, kurz zögerte, ob er noch abspielen sollte, dann aber mit seinem Schuss aus spitzem Winkel an Freiburgs Torwart Alexander Schwolow scheiterte (26.)
Einigen Besuchern auf der Südtribüne war die Partie offenbar nicht feurig genug. Jedenfalls zündeten sie unmittelbar vor Beginn der zweiten Halbzeit Bengalos und Rauchbomben. Schiedsrichter Tobias Welz notierte sich diesem Vorfall – eine erneute Bestrafung des FC St. Pauli durch den DFB dürfte unvermeidlich sein. Aus anderen Bereichen des Stadions, insbesondere der Gegengerade schallte es: „Ihr seid doof!“. Ganz offensichtlich haben inzwischen nicht mehr alle St.-Pauli-Anhänger Verständnis für diesen speziellen Ausdruck der Fan-Kultur, durch den der Verein immer wieder finanziell belastet wird.
Scheinbar wie auf Knopfdruck änderte St. Pauli nach rund 65 Minuten seine offensiv zurückhaltende Spielweise und erarbeitete sich prompt mehrere Torchancen. Die Fans jubelten sogar schon, als Kalla nach schönem Zuspiel von Marc Rzatkowski den Ball ins Tor geschossen hatte. Doch das Spielgerät hatte zuvor schon die Torauslinie überschritten.
„Es gab kein Signal von mir, dass wir von diesem Zeitpunkt an offensiver spielen sollen. Ich denke eher, dass die Freiburger bis dahin auch mit ihrem starken Gegenpressing ein wenig überpowert und deshalb körperlich nachgelassen haben“, analysierte Lienen.
So kam in der ersten Minute der Nachspielzeit womöglich auch deshalb der unermüdliche Lennart Thy zu jenem gefährlichen Volleyschuss, der zum Siegtor durch Marc Rzatkowski führte (siehe Text unten).
„Nachdem wir vor einer Woche in Berlin mit der letzten Aktion des Spiels den Sieg vergeben haben, tut es gut, jetzt auf so eine Weise zu gewinnen“, sagte Rzatkowski. Der souveräne Innenverteidiger Lasse Sobiech ergänzte: „Es kommt bei uns ja schon öfter vor, dass wir diszipliniert spielen und am Ende alle Emotionen bündeln und alles raushauen. Es war auch für den Kopf ein ganz wichtiger Sieg für uns, nachdem wir vorher auch ein paar gute Spiele nicht gewonnen hatten. Aber auch wenn wir jetzt in der Tabelle mit oben stehen, ist es zu weit hergeholt, zu behaupten, dass wir jetzt schon ein Spitzenteam sind.“
Auch wenn sich alle Protagonisten weder auf irgendwelche Aufstiegsambitionen noch auf die Einschätzung, sich zu einer Spitzenmannschaft entwickelt zu haben, einlassen wollen, so hat das Team mit dem 1:0 gegen Freiburg doch etwas geleistet, was zumindest den Hauch einer historischen Leistung besitzt. Erstmals seit dem letzten Spieltag der Saison 2000/2001, als es einen 2:1-Sieg in Nürnberg gab, hat St. Pauli am Sonntag wieder einmal gegen einen Spitzenreiter gewonnen.
Angesichts dessen, dass die St. Paulianer in dieser Saison auch schon gegen den aktuellen Tabellenzweiten, das um nur einen Punkt bessere Team von RB Leipzig, mit 1:0 gewonnen hatten, drängt sich naturgemäß die Frage auf, ob das Millerntorteam nicht doch schon ein Topteam der Liga ist. Ewald Lienen wich auch am Sonntagnachmittag dieser Frage noch geschickt aus, ließ sich aber immerhin folgende – absolut zutreffende – Aussage entlocken: „Wir können mit allen Mannschaften der Liga auf Augenhöhe spielen.“