Hamburg. Der FC St. Pauli verliert Testspiel gegen Bundesligist Dortmund vor Rekordkulisse mit 1:2. Im Mittelpunkt stand die Flüchtlingshilfe.

Es war eine Mischung aus Freude und Überwältigung, die sich im Gesicht von Sofuan spiegelte, als er mitbekam, wie herzlich die Atmosphäre auf dem Vorplatz der Südtribüne des Millerntorstadions war. Der 32-Jährige, der vor vier Wochen aus seiner Heimatstadt Homs in Syrien nach Hamburg geflohen war, konnte für ein paar Stunden seine Sorgen vergessen, ließ immer wieder seinen Blick schweifen und genoss die Fangesänge um sich herum. Der FC St. Pauli hatte am Dienstagabend insgesamt 1000 Flüchtlinge samt freiwilliger Helfer zum Testspiel gegen Borussia Dortmund eingeladen, und Sofuan war einer von ihnen.

Hinter dem jungen Mann liegt eine wahre Odyssee. Mit dem Schiff floh ­Sofuan über Nigeria und die Türkei, ehe er über Bremen in Hamburg ankam. „Ich war insgesamt zehn Tage unterwegs. Es war ein harter Trip, aber ich bin sehr glücklich, in Deutschland zu sein“, sagte der Syrer, der auf der kräftezehrenden Flucht einen Teil seiner Familie zurücklassen musste.

„Zwei meiner Brüder sind verloren gegangen. Meine Eltern sind noch in der Türkei. Ich vermisse sie sehr, weiß aber, dass es ihnen gut geht. Eine meiner Schwestern lebt jetzt in den USA. Auch sie vermisse ich sehr. Immerhin ist einer meiner Brüder an meiner Seite“, sagte der Flüchtling mit Tränen in den Augen. Die Ablenkung am Millerntor kam für den bekennenden Fußballfan gerade recht. „Ich mag den FC Bayern, und ich hoffe natürlich, dass der FC St. Pauli gegen Dortmund gewinnt.“

Flüchtingskinder posieren vor dem Einlaufen mit den Teams
Flüchtingskinder posieren vor dem Einlaufen mit den Teams © WITTERS | TimGroothuis

Das gelang dem Zweitligisten angesichts des 1:2 gegen den Tabellenführer der Bundesliga zwar nicht, als Gewinner durften sich an diesem Abend dennoch alle fühlen. Die St.-Pauli-Spieler liefen beim Aufwärmen mit der Botschaft „Refugees welcome“ (Flüchtlinge willkommen) auf den Shirts auf. Als Einlaufkinder fungierten Flüchtlingskinder aus der Erstaufnahmeeinrichtung in den Messehallen.

Als die Mannschaften den Rasen betraten, hielten die Anhänger zahlreiche Willkommensbanner hoch. „Es soll mehr als Symbolik sein. Unsere Spieler haben von sich aus Flüchtlingsunterkünfte besucht. Sie setzen sich mit dem Thema auseinander“, sagte Geschäftsführer Andreas Rettig, der sich über die leuchtenden Augen und die Fangesänge der Flüchtlinge sichtlich freute. „Dass sie St. Pauli skandieren, zeigt, dass sie wissen, wo sie sind“, sagte Rettig. In der vergangenen Woche war ein Großteil des Teams freiwillig in der Unterkunft in den Messehallen gewesen, hatte Spielzeug abgeliefert und Zeit mit den Flüchtlingen verbracht.

Angesichts der Welle der Solidarität geriet der Fußball fast zur Nebensache. Dabei lieferte die Partie durchaus auch sportliche Erkenntnisse. Der BVB, der trotz des Fehlens seiner Nationalspieler eine namhafte Mannschaft aufbot, demonstrierte über 90 Minuten seine spielerische Qualität, ohne jedoch große Zielstrebigkeit an den Tag zu legen. St. Pauli hatte nur dann Probleme, wenn Dortmund sein schnelles Umschaltspiel praktizierte. Viele klare Torchancen ließ der Kiezclub gegen den Europa-League-Teilnehmer nicht zu. So überwog an diesem Abend das Positive, das die 25.731 Zuschauer – so viele wie noch nie bei einem St.-Pauli-Testspiel – zu sehen bekamen.

Die Neuzugänge Jeremy Dudziak und Jean-Fabrice „Fafa“ Picault feierten eine ordentliche Premiere am Millerntor. Die beiden neuen Offensivspieler waren auch für den Ehrentreffer verantwortlich. Dudziak, vom BVB II gekommen, hatte mit einer perfekten Flanke Picault in Szene gesetzt, der aus kurzer Distanz einköpfte. Auch der in der zweiten Hälfte eingewechselte Marc Hornschuh, ein bekennender Dortmund-Fan, deutete an, dass er St. Pauli weiterhelfen kann. Fünf Tage vor dem Ligaspiel gegen Duisburg zeigte sich die Mannschaft von Chefcoach Ewald Lienen mutig im Spiel nach vorne und kreierte einige gefährliche Aktionen. All das rückte aber beim Abpfiff um 20.20 Uhr in den Hintergrund. Beide Teams hielten ein Banner mit den Worten „Refugees welcome“ hoch und dokumentierten, worum es an diesem besonderen Abend wirklich ging.

St. Pauli: Heerwagen – Deichmann (70. Kurt), Sobiech (66. Hornschuh), Ziereis, Buballa ( 83. Franke) – Rzatkowski (83. Stegmann), Alushi (66. Rosin) – Sobota (83. Pahl), Maier (27. Picault), Dudziak (66. Choi) – Thy (46. Verhoek).Dortmund: Weidenfeller – Fritsch (85. Serra), Subotic, Zimmermann, Schmelzer (64. Schumacher) – Bender, Castro – Januzaj (65. Flores), Leitner (80. Burnic), Passlack (68. Larsen) – Ramos (46. Pulisic).Tore: 0:1 Castro (7.), 0:2 Januzaj (18.), 1:2 Picault (35.). Bes. Vorkommnis: Thy verschießt Foulelfmeter (10.). Schiedsrichter: Ittrich (Hamburg). ­Zuschauer: 25.731.