Hamburg. Der 20 Jahre alte Nachwuchsstürmer Kyoung-Rok Choi entwickelt sich beim FC St. Pauli auf Anhieb zum Hoffnungsträger im Abstiegskampf.

Mit der deutschen Sprache kann der neue Liebling des FC St. Pauli schon ganz gut umgehen. „Fahrrad nicht gut“, sagte Kyoung-Rok-Choi am Dienstagmorgen. Als die Mannschaft zum Ausradeln in das Niendorfer Gehege aufbrach, wechselte der Südkoreaner kurzfristig das Rad. Länger sprechen wollte Choi aber auch am Tag nach seinem bilderbuchhaften Profidebüt nicht. Nicht auf Deutsch und nicht auf Englisch. Und vor der Kamera schon gar nicht. Choi ist ein wenig scheu.

„Wenn ich ihn nicht ab und zu auf Englisch ansprechen würde, hätte ich seine Stimme noch gar nicht richtig kennengelernt“, sagte Trainer Ewald Lienen nach dem 4:0-Erfolg gegen Fortuna Düsseldorf am Montagabend. Nach einem Spiel, in dem von Beginn an fast alle Kameras auf den jungen Stürmer gerichtet waren. Lienen hatte mit der Aufstellung des 20-Jährigen viele überrascht. Zwei Tore und eine Vorlage später hatte sich der Name Choi in Fußball-Deutschland schnell herumgesprochen. In den sozialen Medien jagte ein „choißliches“ Wortspiel das nächste. „Fortuna offen wie ein Choinentor“, „St. Pauli tanzt choi choi choi“, „Kyoung rokt das Millerntor“. Um nur einen Auszug zu schildern.

Tatsächlich war es ein kleines Märchen, das der bis Montagabend ausschließlich in St. Paulis U23 eingesetzte Angreifer erlebte. Mit seinen beiden Treffern (9./16.) in der Anfangsphase ebnete Choi seiner Mannschaft den Weg zu einem Auftritt, den die Zuschauer in dieser Form am Millerntor lange nicht erlebt hatten. „Es war sehr riskant, aber wir hatten nichts zu verlieren“, sagte Lienen über die Nominierung des Nachwuchsstürmers. „Ich habe darauf gesetzt, dass er die Ruhe behält. Das hat sich bestätigt.“ St. Pauli gelang gegen die Fortuna der seit Wochen erhoffte Befreiungsschlag. Mit dem ersten Heimsieg des Jahres kletterte der Kiezclub erstmals in diesem Jahr auf den Relegationsplatz 16. Als Matchwinner Choi in der 69. Minute den Platz verließ, erhob sich das gesamte Stadion. Nach dem Schlusspfiff tanzte der Doppeltorschütze im Siegerkreis, während seine Kollegen ihn mit „Kyoung, Kyoung, Kyoung“ anfeuerten.

Lienen wollte Choi bereits vor Wochen bringen

Wochenlang hatte sich St. Pauli mit seinen Problemen im Sturm gequält. Wahlweise vergaben Ante Budimir, Christopher Nöthe, John Verhoek oder Lennart Thy die besten Chancen. Dass der Verein mit Choi über einen weiteren Stürmer verfügt, der die Abschlussschwäche nun endlich beheben konnte, hatten nicht mal die Kollegen in der eigenen Mannschaft erwartet. „Ich war schon überrascht, als ich seinen Namen vor dem Spiel in der Kabine gelesen habe“, verriet Florian Kringe. Trainer Lienen überlegte aber bereits seit Wochen, Choi eine Chance zu geben. „Der Kleine zeigt im Training schon lange, dass er vor dem Tor die richtigen Entscheidungen trifft. Ich wusste, dass ich irgendwann nicht mehr an ihm vorbeikomme.“

Nun war der Moment gekommen. Fragt man Chois Entdecker Thies Bliemeister, war der Auftritt gegen Düsseldorf keine Überraschung. „Kyoung hat großes Potenzial. Ich bin mir sicher, dass das Spiel keine Eintagsfliege war. Er hat dafür so hart gearbeitet und hat es absolut verdient“, sagt Bliemeister. Der 37-Jährige, einst für den VfL Pinneberg und den Bramfelder SV im Hamburger Amateurfußball aktiv, ist der Berater von Choi. Mithilfe der Scouts seiner Firma Sports United entdeckte Bliemeister den Stürmer vor knapp zwei Jahren in der südkoreanischen Universitätsliga. Bliemeister organisierte ein Probetraining bei St. Pauli. Joachim Philipkowski, Chef des Nachwuchsleistungszentrums, war sofort begeistert.

Selbst Wikipedia kannte Choi noch nicht

Choi wurde Hamburger und spielte zunächst für St. Paulis A-Jugend. Seit einem Jahr trainiert er bei den Profis und sammelt Spielpraxis bei der U23. Dort erzielte er in 22 Einsätzen fünf Tore. Nicht gerade die Quote einer Sturmhoffnung, dachten offenbar die Verantwortlichen der Profis. Doch nun hat Choi mächtig Eigenwerbung betrieben. Im Sommer läuft sein Vertrag beim FC St. Pauli aus. „Ich habe viele Freunde in der Mannschaft und kann mir sehr gut vorstellen, bei St. Pauli zu bleiben“, sagte Choi im Gespräch mit dem Abendblatt vor einigen Wochen. Da kannte ihn außerhalb von St. Pauli aber noch kaum jemand. Das hat sich mit dem Doppelpack bei seinem Profidebüt schlagartig geändert. Schon während des Spiels dürften die ersten Anfragen auf dem Handy von Berater Bliemeister, der auch den ehemaligen HSV-Stürmer Heung-Min Son betreut, eingetroffen sein.

Zunächst geht es für Choi nun darum zu zeigen, dass sein Auftritt tatsächlich keine Eintagsfliege war. Dass er die Öffentlichkeit noch meidet, gefällt seinem Trainer. „Er soll Fußball spielen und Tore schießen“, sagte Lienen. Macht Choi mit dem Toreschießen so weiter wie gegen Düsseldorf, wird er an seinem ersten Fernsehinterview wohl nicht vorbeikommen. Wie man Chois Namen richtig schreibt, können neuerdings auch die Menschen nachgucken, die den Stürmer bislang noch nicht kannten. Das Online-Lexikon Wikipedia hat seit Montagabend 21.13 Uhr, Choi hatte gerade seine ersten Tore als Profi für St. Pauli geschossen, einen Eintrag verfasst. Auf Deutsch und auch auf Englisch.