„Fußball ist großes Theater“, sagt der Pauli-Torhüter. Die Geschwister über Schauspielkünste im Sport, die Ängste vor einem Karriereende und Pläne für eine mögliche gemeinsame Rolle im Fernsehen
Als Philipp Heerwagen und seine Schwester Bernadette das Schmidts Theater betreten, läuft im Saal „Hells Bells“ von AC/DC. Soundcheck für das Abendprogramm. Ein Zufall. Philipp Heerwagen, Torhüter des FC St. Pauli, kennt das Lied in- und auswendig. Sein Verein spielt es, wenn die Spieler auf den Platz kommen. Es ist der Moment, in dem der Torwart seine Aufregung spürt. Auch Bernadette Heerwagen kennt dieses Gefühl. Sie ist eine preisgekrönte deutsche Filmschauspielerin. Nervosität braucht sie vor einem Dreh, um ihre beste Leistung abzurufen. Wir treffen die Geschwister während ihrer Shopping-Tour auf dem Kiez. Ein Gespräch über Karriereknicks, Lampenfieber und das Rollenspiel im Fußball.
Hamburger Abendblatt: Fußball und Film – Sie stehen beide im Rampenlicht. Liegt der Familie Heerwagen die Bühne?
Philipp Heerwagen: Ich nehme meinen Job als Torwart gar nicht mehr als Bühne wahr. Wenn ich auf dem Platz stehe, sehe ich die ersten zwei Reihen, den Rest bemerke ich gar nicht. Aber wenn bei mir etwas nicht klappt, dann sehen das alle 30.000 Bundestrainer auf der Tribüne. Du kriegst sofort das Feedback.
Bernadette Heerwagen: Wenn ich einen Film drehe, stehe ich nicht so sehr in der Öffentlichkeit wie Philipp. Da sind 30 bis 40 Leute am Set, und wenn etwas schiefgeht, kann man es noch mal drehen. Ich habe nicht diesen Live-Effekt, den Philipp hat. Das stelle ich mir viel härter vor.
Ist der Fußball ein Schauspielgeschäft?
Philipp: Wenn man als Fußballer in Deutschland arbeitet, wollen die Leute auch ein Stück von deiner Persönlichkeit haben. Das muss man zulassen und sich ein bisschen zur Schau stellen. Bei mir ist es aber nie so, dass ich mich verdrehe oder meinen Spielstil ändere, nur weil das andere erwarten. Mir wollten schon viele Menschen sagen, wie ich mich zu verhalten habe. Aber ich werde mich nicht verstellen. Das Fußballgeschäft ist ein großes Theater, aber keine Schauspielbühne.
Aber gerade als Torwart muss man doch auch eine Rolle spielen.
Philipp: Ich habe ein Wettkampf-Ich und ein privates Ich. Man fühlt in zwei Welten. Auf dem Feld sind andere Tugenden gefragt als im Privatleben. In meinem Wettkampf-Ich muss ich absolut konzentriert sein, um meine Spannung aufzubauen. Auf dem Platz darf ich keine Kompromisse machen. Privat bin ich eher ein Diplomat, der ich als Fußballer nicht sein kann. Was auf der Arbeit passiert, nehme ich nicht mit in mein Privatleben.
Bernadette: Das ist der Unterschied zu mir. Ich liege nach einem Dreh manchmal im Hotelbett und grübele die ganze Nacht, ob ich es richtig gespielt habe oder was ich hätte anders oder besser machen sollen. Da fallen mir dann tausend Sachen ein. Ich nehme ganz viel mit nach Hause.
Philipp: Wobei die Schauspielerei natürlich auch tiefgründiger ist. Man muss in die Rolle hineinschlüpfen und sie verkörpern. Im Fußball geht es selten um Tiefgründiges, da geht es um Tore. Bei St. Pauli wird es mir aber auch leicht gemacht, einfach Philipp zu sein. Da kann man mit den Fans auch mal ein Bierchen trinken.
Dennoch wirken viele Fußballer wie geübte Rollenspieler.
Bernadette: Ich hatte immer das Gefühl, dass Oliver Kahn eine Rolle gespielt hat. Mich würde interessieren, ob er sich das antrainiert hat und da nicht mehr herausgekommen ist.
Philipp: Ich kenne ihn aus der Jugend. Er war schon immer ein Fußballfreak, sehr verbissen. Aber das war halt auch sein Wettkampf-Ich. Wenn beim Warmschießen zwei Bälle nicht so gekommen sind, wusstest du, der schlägt sich gleich einen Kopf kürzer. Ich glaube nicht, dass er eine Rolle gespielt hat. Als Fernsehexperte ist er jetzt viel lockerer geworden.
Erkennen Sie Ihren Bruder, wenn Sie ihn im Fernsehen sehen?
Bernadette: Wenn ich Philipp im Fernsehen sehe, bin ich aufgeregter als er. Wenn er richtig wütend wird, bin ich überrascht, weil ich das privat nicht von ihm kenne. In erster Linie erkenne ich aber meinen jüngeren Bruder.
Philipp: Und daran sieht man, dass ich auf dem Platz kein Schauspieler bin. Wenn ich aber Bernadette im Fernsehen sehe, erkenne ich sie kaum wieder. Manchmal vergesse ich total, dass sie meine Schwester ist, weil ich so in ihrer Figur drin bin. Beeindruckend finde ich, wie schnell sie dann wieder Bernadette sein kann.
Bernadette: Wenn ich zufrieden mit mir bin, kann ich den Dreh schnell abhaken. Manchmal kommt aber mein Wettkampf-Ich zum Vorschein und gibt mir keine Ruhe. Vor allem dann, wenn ich wahnsinnig emotionale Sachen zu spielen habe. Du öffnest dich so stark, dass ich danach noch ordentlich zu kämpfen habe. Nicht umsonst werden Schauspieler kurz nach dem Auftritt für nicht zurechnungsfähig erklärt.
Das dürfte dem Fußballer Heerwagen bekannt vorkommen.
Philipp: Auch ich muss erst mal runterfahren, wenn der ganze Körper 90 Minuten auf Spannung war. Mit der Erfahrung wird das einfacher. Früher habe ich verlorene Spiele auch mit in die Nacht genommen und mich schlecht gefühlt.
Meinen Sie Ihre Zeit in Bochum, als Trainer Friedhelm Funkel Sie im September 2010 nach drei Fehlern in Folge aus dem Tor genommen hat?
Philipp: Ich hatte in Bochum einen Sportpsychologen, der mir sehr viel geholfen hat. Daraus schöpfe ich heute noch. Geholfen hat mir auch der Glaube, dass das Fußballerleben immer weitergeht, auch nach Bochum. Die Grenzerfahrung muss man aber erst mal machen, um Sachen besser einzuordnen.
In Hamburg geht es Ihnen wieder besser?
Philipp: In Hamburg fühle ich mich wohl, hier kann ich mich mit dem Verein identifizieren. Ich bin wieder hungrig, fühle mich wie Anfang 20. Das war in Bochum nicht der Fall.
Bernadette: Ich habe das auch mitbekommen und mich immer gefragt, wie er das packt, mental so gut aufgestellt zu sein. Ich hätte das nicht so gut durchgehalten. Als ich erfuhr, dass er zurück nach Hamburg kommt, habe ich mich sehr gefreut.
Philipp: Als ich 2012 für ein halbes Jahr bei St. Pauli spielte, war das bereits wie eine Kur. Wir hatten einen Teamspirit, den ich so nicht kannte. Aber dann musste ich wieder zurück nach Bochum. Ich kam zum ersten Training und wusste, dass mir jetzt wieder Steine in den Weg gelegt werden.
Und jetzt sind Sie zufrieden mit der Rolle als Ersatztorhüter bei St. Pauli?
Philipp: Für mich geht es nach der Zeit in Bochum erst einmal wieder darum, konkurrenzfähig zu werden. Da bin ich auf einem guten Weg. Es wird die Situation kommen, wo die Mannschaft mich braucht. Dann muss ich auf den Punkt fit sein. Deswegen muss ich immer so trainieren, als würde ich spielen.
Bernadette: Als Reservespieler die ständige Motivation zu finden, finde ich eine große mentale Leistung. Wenn ich dauernd ans Set kommen würde, und jemand sagt dann, die Rolle spielt jemand anderes, weiß ich nicht, wie lange ich das mitmachen könnte.
Auch Schauspieler stehen unter ständigem Druck.
Bernadette: Es gab schon Zeiten, da habe ich an mir gezweifelt, wenn ich nach zwei Wochen keinen Dreh mehr bekommen habe. Da gab es Existenzängste. Zum Glück sind die Prognosen nie eingetreten, mit Mitte 20 sei meine Karriere vorbei.
Trotzdem sind Sie heute noch aufgeregt vor Ihren Auftritten?
Bernadette: Immer. Vor dem ersten Drehtag denke ich immer, ich kann nichts. Das legt sich dann am ersten Drehtag. Lampenfieber macht mich wach und schubst mich in die Rolle hinein. Wenn man versucht es wegzudrücken, macht man es nur schlimmer.
Philipp: Beim Fußball ist das Kribbeln wichtig, um 100 Prozent abzurufen. Am Millerntor bin ich durch die Stimmung immer besonders aufgeregt.
Passieren Fehler häufiger, wenn man nervös ist?
Philipp: Ich notiere mir grüne und rote Trainingswochen für gute und schlechte. Wenn ich eine grüne Woche habe, kann mir im Wettkampf nichts passieren. Trotzdem kommst du manchmal in Phasen, da läuft es einfach nicht. Gerade als Torwart. Da muss man mental rauskommen. Und dafür brauche ich grüne Trainingswochen.
Bernadette: Auch im Schauspiel gibt es natürlich Momente, in denen es schlecht läuft. Man bleibt zum Beispiel immer wieder an derselben Textstelle hängen. Du weißt, es kommt gleich die Stelle, und dann kriegst du es nicht hin. Man darf nicht blockieren.
Sind Sie durch die Geburt Ihrer Tochter gelassener geworden?
Bernadette: Meine Tochter hat auf meinen beruflichen Weg keinen Einfluss. Da trenne ich wiederum zwischen meinem Schauspiel-Ich und meinem privaten Ich.
Philipp: Dafür hat sie bei mir etwas verändert. Ich habe jetzt auch Lust auf eigene Kinder, es fehlt nur noch die passende Frau. Aber ich habe ja noch ein bisschen Zeit.
Ihre Eltern haben zwei prominente Kinder. Zufall oder Familienplan?
Philipp: Unsere Eltern haben uns nie zu etwas gedrängt. Ich kann mich nur an einen Satz erinnern: Wenn ihr etwas macht, dann macht es vernünftig. Und wenn du dich für einen Weg entscheidest, dann musst du es durchziehen.
Bernadette: Unsere Berufe waren unsere eigene Entscheidung. Wir hatten immer freie Hand, sollten das machen, was uns Spaß macht. So soll es bei meiner Tochter auch sein.
Philipp: Aber ihr rechter Fuß ist schon gut. Sie hat Talent, jetzt muss sie nur noch mit links arbeiten (beide lachen).
Haben Sie sich als Geschwister immer so gut verstanden?
Philipp: Als kleiner Bruder musste ich mich häufig wehren. Als ich dann irgendwann so groß war wie Bernadette, haben wir angefangen zu rangeln. Das ist bis heute geblieben. Wenn sie aufmüpfig wird, dann wird ein bisschen geboxt. Natürlich immer im Spaß. Das ist aus der Kindheit geblieben.
Können Sie sich vorstellen, gemeinsam einen Film zu drehen?
Philipp: Das würde mich sehr reizen. Ich habe schon eine 20-sekündige Szene in einem Kinofilm gespielt und mich für neue Rollen angeboten.
Bernadette: Ich kann mir das auch gut vorstellen. Und Philipp würde ich das zutrauen. Wie wär’s mit einem Ermittlerduo auf St. Pauli?
Philipp: Ich spiele auch gerne den Mörder oder die Wasserleiche (lacht). Allerdings gehen die Drehs manchmal bis tief in die Nacht. Absolut anstrengend. Daran müsste ich mich erst gewöhnen.
Bernadette: Man hat teilweise 17-Stunden-Tage und muss auf den Punkt präsent sein. Das kostet viel Kraft, ist aber nichts im Vergleich zum Fußball. Jeden Tag Training, das würde ich niemals durchhalten. Fußball gucke ich mir lieber im Fernsehen an.