Seit seinem Amtsantritt im Juni 2012 hat Sportchef Rachid Azzouzi für den FC St. Pauli 21 Spieler verpflichtet. „Einige sind hinter den Erwartungen geblieben“, sagt er. Eine Bilanz.
Hamburg. Mangelnde Kreativität im Mittelfeld, zu wenig Torgefahr und kaum Führungspersönlichkeiten: Nach den spielerisch schwachen Auftritten des FC St. Pauli sind die Profis in die Kritik geraten. Für die Zusammenstellung des Kaders ist seit Juni 2012 Sportchef Rachid Azzouzi zuständig. In der letzten Woche der Transferperiode fahndet er noch nach Verstärkungen. Seit seinem Amtsantritt hat Azzouzi 21 Spieler verpflichtet. In diesem Sommer holte er mit Lasse Sobiech (Leihgabe des HSV), Daniel Buballa, Michael Görlitz und Ante Budimir bereits vier. Das Abendblatt zieht Bilanz:
Die Volltreffer: Als Azzouzi Helmut Schulte beerbte, musste er 14 Abgänge verkraften. Am letzten Wechseltag verpflichtete er den in Köln aussortierten Christopher Buchtmann – und landete damit einen Coup. Der 22 Jahre alte Mittelfeldspieler kam ablösefrei, ist heute Spielstratege des Teams. Einzig an der Konstanz mangelt es ihm noch. Ebenfalls ablösefrei kam Marcel Halstenberg 2013 von Borussia Dortmund II. Als Linksverteidiger und defensiver Mittelfeldspieler bestritt er in seiner ersten Profisaison auf Anhieb 32 Spiele. Seine Schnelligkeit, Passsicherheit und seine gefährlichen Schüsse aus der zweiten Reihe fehlen St. Pauli aktuell. Halstenberg befindet sich nach Verletzung im Aufbautraining. Robin Himmelmann und Philipp Heerwagen hoben hinter Philipp Tschauner die Qualität auf der Torwartposition bedeutend an. Innenverteidiger Sobiech darf als Königstransfer dieses Sommers bezeichnet werden. Der mit 900.000 Euro zweitteuerste Transfer der Vereinsgeschichte, Ante Budimir, startete vielversprechend, muss mit Treffern jetzt seine Ablöse rechtfertigen.
Mit Potenzial: Anspruch und Wirklichkeit klaffen bei dem zweifelsohne hoch talentierten Techniker Marc Rzatkowski auseinander. Der sensible Profi, den Azzouzi 2013 aus Bochum holte, kann sein Potenzial zu selten abrufen. Auch Sebastian Maier, 20, kam als Supertalent, muss nun den Schritt zur Stammkraft vollziehen. „Dass bei ihm die Konstanz noch nicht da ist, muss man einplanen“, sagt Azzouzi. Christopher Nöthe, 26, konnte die Erwartungen bislang nicht erfüllen. Der gestandene Stürmer, der mit Fürth schon Bundesligaerfahrung gesammelt hat, sollte eine Führungsrolle übernehmen. Trotz dreier Treffer im Pokal gegen Rathenow und Sandhausen strahlt er zu wenig Torgefahr aus. „Chris wird sehr kritisch gesehen, aber er zieht sich gerade komplett raus“, verteidigt Azzouzi ihn.
„Den nächsten Schritt machen“, wie es Azzouzi formuliert, muss Lennart Thy. Der vorige Bremer Offensivallrounder war einer der ersten Spieler, die der Sportchef verpflichtete. Doch ihm droht der Status des ewigen Talents. Thy muss präsenter und lauter werden – und beweisen, warum er einen neuen Vertrag bis 2016 erhielt. Talent Philipp Ziereis konnte sich bereits zeigen, braucht jedoch noch Entwicklungszeit, um Leistungsträger sein zu können. Routinier Florian Kringe, 32, ist zwar nur noch „Teilzeitkraft“, bewies jedoch wiederholt seine Klasse.
Die Enttäuschungen: „90 Prozent der Leute hätten vorher gesagt, dass es ein toller Transfer ist“, sagt Azzouzi heute über Bernd Nehrig. Der Außenverteidiger, der 2013 mit Nöthe aus Fürth kam, ist der wohl größte Fehlgriff des Managers. Menschlich einwandfrei, doch sportlich ließ Nehrig bislang Klasse vermissen. „Wir haben ihn geholt, damit er die Mannschaft führt. Das war nicht gegeben, er hat seine Form einfach nicht nachgewiesen“, gibt Azzouzi zu. Auch der Kauf von John Verhoek, der in derselben Transferperiode kam, erwies sich als Missverständnis. 300.000 Euro kostete der Niederländer, doch der Konterstürmer passt nicht recht ins System, hat zudem technische Mängel.
Bei Coach Vrabec außen vor ist aktuell Tom Trybull. Im Januar kam er aus Bremen, sollte mit seinem feinen Passspiel die Mittelfeldzentrale stärken. Doch schon bei Werder sagte man ihm auf und neben dem Platz eine überhebliche Art nach. Zudem fehlt es Trybull an Tempo, um für überraschende Momente zu sorgen. Das Trio steht bei St. Pauli zum Verkauf, doch die Profis wollen den Verein nicht verlassen. Die Leihspieler Michael Gregoritsch, Akaki Gogia, Joseph-Claude Gyau und Christopher Avevor konnten sich bei Azzouzi allesamt nicht für eine Weiterverpflichtung empfehlen. Gogia fiel vor allem durch Undiszipliniertheiten auf, weigerte sich, für die U23 aufzulaufen. Gregoritsch, der beim Kiezclub ausschließlich als Stürmer eingesetzt wurde, blüht nun in Bochum im Mittelfeld auf.
„Wir haben erfahrene Spieler geholt, die das Gerüst bilden sollten. Das ist nur zum Teil aufgegangen. Der eine oder andere ist hinter seinen Erwartungen geblieben“, bilanziert Azzouzi, betont aber das Potenzial junger Spieler: „Durch Leistung und Erfolg bilden sich Persönlichkeiten. Diese werden sich jetzt bei uns herauskristallisieren.“
Im Testspiel gegen Altona 93 gewann St. Pauli am Dienstagabend mit 5:1 durch Treffer von Verhoek (2), Nöthe, Rzatkowski und Jungprofi Dennis Rosin. Am 4. September (18.30 Uhr) tritt das Team zu einem weiteren Test bei Bundesligist Bayer Leverkusen an.