Mit einem Sieg am Millerntor kann der FC St. Pauli auf einen Aufstiegsplatz springen. In der Pflicht steht jedoch vor allem Gegner 1. FC Köln.

Hamburg. Knapp 30.000 Zuschauer, Flutlicht, ein Duell um die Spitzenplätze und nebenan die bunten Lichter des Winterdoms – kein Wunder, dass die Profis und Verantwortlichen des FC St. Pauli kollektiv ins Schwärmen geraten. Nach zwei Siegen in Serie gehen die Hamburger mit viel Euphorie und noch mehr Selbstvertrauen in die Partie gegen den Aufstiegstopfavoriten 1. FC Köln. Die Frage, ob seine Mannschaft gegen ein solches Team möglicherweise etwas defensiver auftreten werde als zuletzt, beantwortete Roland Vrabec daher auch mit einem entschiedenen Nein. „Wir spielen an einem Freitagabend unter Flutlicht am Millerntor. Da ist es eine Selbstverständlichkeit, dass wir das Spiel gewinnen wollen und voll nach vorne spielen“, sagt Vrabec, „dominant sein, das Spiel kontrollieren, Chancen erarbeiten – das ist unabhängig vom Gegner unser Ziel.“

Dieses Selbstverständnis, dass der 39-Jährige seiner Mannschaft binnen kurzer Zeit eingeimpft hat, hat dazu geführt, dass sich beide Clubs an diesem Freitag um 18.30 Uhr (Sky live, Liveticker auf abendblatt.de) fast auf Augenhöhe begegnen – zwei Punkte und zwei Plätze liegt der Tabellenvierte St. Pauli noch hinter dem FC.

„Jederzeit Dominanz ausstrahlen“, so nennt Vrabec seine Philosophie: „Wir entscheiden im Grunde, was auf dem Platz geschieht“, macht er klar. Mit seinem dritten Sieg in Folge als Profitrainer könnte nun der vorübergehende Sprung auf einen Aufstiegsplatz gelingen – vorbei am 1. FC Köln.

Während Vrabecs Team den Moment genießen will und befreit ins Spiel gehen kann, stehen die Gäste nach den ersten zwei Saisonniederlagen schon gehörig unter Druck. „Playstation-Fußball“ und „Selbstgefälligkeit“ waren Begriffe, die Kölns Sportdirektor Jörg Schmadtke unter der Woche verwendete, um die Profis aufzurütteln. Kein Tor gelang in den vergangenen zwei Spielen, obwohl man zuvor unter dem neuen Coach Peter Stöger 16-mal in Folge ungeschlagen geblieben war und die ganze Stadt bereits wieder von der Bundesliga träumte. Für Stögers Team hat das Spiel am Millerntor richtungweisenden Charakter. „Die Meisterschaft wird nicht am Freitag entschieden, aber wir könnten uns etwas Ruhe verschaffen“, sagt der Österreicher.

St.-Pauli-Legende Holger Stanislawski war in der vergangenen Saison am Projekt Wiederaufstieg in Köln gescheitert, nun muss Stöger die finanziell dringend notwendige Rückkehr schaffen. Mit einem Spieleretat von rund 15 Millionen Euro (St. Pauli: circa acht Millionen Euro) ist der Traditionsclub in die Zweite Liga gestartet, die Bilanz weist schon jetzt Schulden von 32 Millionen Euro auf. Nach dem Maßstab der Handelsbilanz ist der Verein bereits überschuldet. Nur durch eine Reduzierung der Stadionpacht und den Verkauf von Christian Clemens an Schalke 04 für 3,5 Millionen Euro bekam der Club die Lizenz der DFL ohne Auflagen. Geschäftsführer Alexander Wehrle erklärte unlängst, der FC könnte durch eisernes Sparen an anderer Stelle noch eine weitere Saison mit einem ähnlichen Budget Zweitliga-Fußball spielen. Sollte bis Sommer 2015 der Aufstieg jedoch nicht geschafft sein, müsste in Köln der große Ausverkauf beginnen.

Beim FC St. Pauli nimmt man das Schnuppern an den Aufstiegsrängen indes mit Genugtuung, aber auch Realismus zur Kenntnis. Die Bundesliga ist zwar das Ziel, jedoch erst in den kommenden Jahren. „Den Moment, den wir vorfinden, wollen wir genießen, aber auch nutzen. Sollte das nicht klappen, ist es aber kein Beinbruch“, erklärt Vrabec: „Unsere Zielsetzung ist nicht, um den Bundesliga-Aufstieg zu spielen, sondern eine Spielweise zu entwickeln und mit den Spitzenteams mithalten zu können.“ Ähnliche Töne stimmt auch Sportdirektor Rachid Azzouzi an. „Nach 15 Spielen kann man der Tabelle schon trauen“, sagt er. Man habe sich diese Situation mit den jüngsten Erfolgen erarbeitet, nun müsse man die Überzeugung haben, Köln schlagen zu können. „Wenn dies tatsächlich gelingt, werden wir uns nicht dagegen wehren, auf einem Aufstiegsplatz zu stehen. Aber es bleibt dabei, dass der Aufstieg kein Muss ist“, sagt Azzouzi.

Verzichten muss Vrabec erneut auf Stürmer John Verhoek, der mit muskulären Problemen erneut ausfällt. Sein letzter Startelfeinsatz liegt nun schon fast zwei Monate zurück. Sebastian Schachten, der reduziert trainiert hatte, steht indes ebenso zur Verfügung wie Jan-Philipp Kalla, der in Aalen mit Muskelproblemen gefehlt hatte.

Bei der Jahreshauptversammlung am Mittwoch hatte Präsident Stefan Orth einen langfristigen Verbleib Vrabecs bereits angedeutet. „Wir sind optimistisch, dass die Arbeit mit unserem neuen Cheftrainer Roland Vrabec und seinem Team fortgesetzt werden kann“, erklärte Orth den 555 anwesenden Mitgliedern. Mit einem Sieg gegen Köln hätte der frühere Co-Trainer wohl endgültig alle Argumente auf seiner Seite.