Unter der Woche nutzte Stanislawski ein Treffen, um Missverständnisse auszuräumen und seinen Standpunkt deutlich zu machen.
Hamburg. In seinen 16 Jahren beim FC St. Pauli ist es Holger Stanislawski noch nie in den Sinn gekommen die Stimmung am Millerntor zu kritisieren. Nach dem letzten Heimspiel gegen Alemannia Aachen (1:0) war es so weit. Die "Aufwachen, aufwachen!"-Rufe der Fans seien eher schädlich denn förderlich, wurde der Trainer nicht müde, in die Blöcke zu diktieren. Eine Aussage, die hohe Wellen schlug und einer Erklärung bedurfte. Unter der Woche nutzte Stanislawski ein Treffen mit der Sport-Info-Gruppe, einer Institution, die vor einigen Jahren ins Leben gerufen wurde und den regelmäßigen Austausch zwischen sportlichem Bereich und Fans ermöglichen soll, um etwaige Missverständnisse auszuräumen und seinen Standpunkt deutlich zu machen.
Dreieinhalb Stunden saßen Vertreter des Aufsichtsrats, der Abteilung Fördernde Mitglieder (AFM), der Ultras St. Pauli und Fansprecher zusammen und diskutierten die Problematik. "Es war ein sehr positives Gespräch, und es herrschte große Einigkeit darüber, dass wir nur gemeinsam unsere Ziele erreichen können", sagte Stanislawski. Seine Worte über die Fans seien nicht unbedingt als Kritik gemeint gewesen und "falsch rübergekommen". Genauso wie die "Aufwachen"-Rufe falsch bei der Mannschaft angekommen waren. Stanislawski geht es eigentlich auch um etwas anderes, Grundsätzlicheres. "Wir müssen das bisher Erreichte als große Chance begreifen. Ich weiß, was es bedeuten kann, wenn eine Mannschaft von einem ganzen Stadion nach vorne geschrien wird. Das werden wir auch diese Saison brauchen."
Beim FC St. Pauli ist ein Problem angekommen, das sich bereits in vielen deutschen Stadien zeigt: die veränderte Fankultur. Auf der einen Seite singen die Ultra-Fans 90 Minuten durch, beziehen das aber nur noch selten auf das Spiel. Auf der anderen Seite überlässt der Rest der Fans und Zuschauer die Unterstützung fast komplett den aktiven Fangruppen.
"Das Fanverhalten ändert sich, das ist ein allgemeines Phänomen", sagt Roger Hasenbein, Aufsichtsratmitglied des FC St. Pauli und im Fansprecherrat. "Die Unterstützung ist von Tribüne zu Tribüne unterschiedlich." Die vermeintliche Kritik von Stanislawski, vor allem aber die Aussprache danach, bei der Hasenbein anwesend war, sei deshalb äußerst konstruktiv gewesen. Es habe Fans gegeben, die sich von Trainer Stanislawski unberechtigterweise kritisiert fühlten, jetzt würden aber Überlegungen angestellt, wie man den Support optimieren könne. "Am Ende waren alle höchst zufrieden, und in Duisburg wird man sicher schon merken, dass Fans und Mannschaft an einem Strang ziehen."
Damit hätten die kritischen Worte des Trainers ihren Zweck erfüllt. "Ich wünsche mir in den Heimspielen einen Support, dass die Kräne wackeln", sagte Stanislawski. "Das kann aber nur funktionieren, wenn alle zusammenstehen, wenn USPler, Hartz-IV-Empfänger, Punk und Anzugträger sich alle einhaken und die Post abgeht."
Ein Appell, mit dem der Trainer das Umfeld auf die heiße Phase der Saison in der zweiten Bundesliga einstimmt und mit dem er unterschwellig klarmacht, worum es geht: um nichts Geringeres als den Aufstieg.