Hamburg. Der frühere Hamburger spricht vor der EM über Belgiens Chancen, Trainer Tedesco, die Bayern, Kompany, Everton und seine Schwester.

Amadou Onana sitzt im Auto. Als das Abendblatt das frühere HSV-Talent zum verabredeten Zeitpunkt mittags um Punkt 13 Uhr erreicht, spricht er direkt auf Deutsch los. „Wie geht’s in Hamburg?“, fragt er. Gerade war der Profi vom FC Everton, der mittlerweile mit einem Transferwert von 50 Millionen Euro zu den teuersten Mittelfeldspielern dieses Planeten gehört, bei einer Veranstaltung des belgischen Parlaments in Brüssel.

Ab dem 9. Juni beziehen Onana und seine Nationalmannschaftskollegen das Schlosshotel Monrepos in Ludwigsburg. Er freue sich darüber, dass er ein Einzelzimmer habe, sagt der mittlerweile 22-jährige Onana und lacht. Als 18-Jähriger wechselte er zum HSV, wo er in nur einem Jahr für so viel Furore sorgte, dass er nach nur einer Saison im Volkspark für sieben Millionen Euro zum OSC Lille wechselte. Nun, bei der EURO 2024, könnte Onana erstmals nach vier Jahren wieder in den Volkspark zurückkehren.

Onana über den HSV, Belgien, Bayern und die EM

Abendblatt: Monsieur Onana, mal sehen, wie gut Sie auf die Europameisterschaft vorbereitet sind: Wissen Sie, was am Abend des 5. Juli auf dem Programm steht?

Amadou Onana: Wenn Sie mich so fragen, dann ist da bestimmt ein EM-Spiel in Hamburg, oder?

Stark. Um 21 Uhr wird das einzige Viertelfinale in Ihrer alten Wahlheimat angepfiffen. Und wenn die Ergebnisse entsprechend ausfallen, könnten Sie mit Belgien dann tatsächlich im Volksparkstadion um den Einzug ins Halbfinale spielen…

…und das wäre für mich natürlich fantastisch. Beim HSV bin ich von einem Jungen zum Mann geworden. Für mich ist der Volkspark immer noch etwas ganz Besonderes. Irgendwie würde sich dann ein Kreis schließen. Ich hätte nur ein sehr großes Problem.

Nämlich?

Ich würde sicherlich deutlich mehr Kartenanfragen bekommen, als ich sie erfüllen könnte. Aber diesem Problem würde ich mich gerne stellen (lacht).

Jeder Karriereschritt von Onana ist geplant

Drei Jahre ist unser letztes Interview her – und damals sagten Sie, dass jeder einzelne Karriereschritt von Ihnen geplant sei. Wie sicher waren Sie sich schon damals, dass Sie nun mit Belgien Ihre erste EURO spielen?

Sie werden mir nicht glauben, aber ich war mir schon damals sicher. Ich habe die Herangehensweise, dass alles, wovon ich träume, auch wahr werden kann. Ich träumte davon, Profi zu werden, was ich beim HSV wurde. Ich träumte davon, nach Frankreich zu wechseln und bei einem Champions-League-Club zu spielen, was mir mit Lille gelungen ist. Und ich träumte davon, in der Premier League zu spielen, was Everton mir ermöglichte. Es stimmt tatsächlich, dass jeder Schritt in meiner Karriere geplant ist. Das klingt unglaublich. Aber zur Wahrheit gehört natürlich auch, dass ganz viel harte Arbeit und natürlich auch Rückschläge zum Karriereplan dazugehören.

Wenn Sie vor drei Jahren schon alles wussten, dann wollen wir wissen, wo Sie in drei Jahren sind.

Ich will ein noch viel besserer Spieler sein. Und mein Ziel ist es, dass ich in drei Jahren bei einem internationalen Weltclub spiele. Außerdem will ich mich mit Belgien in drei Jahren für die WM 2026 in Amerika qualifiziert haben. Davon träume ich. Und ich werde alles daransetzen, dass auch diese Träume wahr werden.

Ihre erste Weltmeisterschaft haben Sie bereits hinter sich. Als ewiger Geheimfavorit schied Belgien in Katar genau wie Deutschland in der Vorrunde aus. Wie lange mussten Sie anschließend daran knabbern?

Das Vorrunden-Aus hat wehgetan. Aber trotzdem war die WM für mich eine besondere. Es war das erste große Turnier für mich – und obwohl wir so früh ausgeschieden sind, habe ich alle Momente aufgesaugt.

Ihre Karriere geht seit Ihrem Wechsel von der zweiten Mannschaft in Hoffenheim zum HSV eigentlich immer nur aufwärts. Das frühzeitige WM-Aus war einer der wenigen Rückschläge. Können Sie mit Rückschlägen umgehen?

Kann ich. Aber ich muss Ihnen trotzdem widersprechen: Es stimmt nicht, dass es für mich in meiner Karriere immer nur aufwärtsging – ganz im Gegenteil. Bevor ich überhaupt Profi wurde, hatte ich so viele Rückschläge, dass ich sie gar nicht zählen kann. Ich musste mit Verletzungen kämpfen, mit Absagen, mit geplatzten Probetrainings und Ähnlichem. Bevor ich beim HSV durchstarten konnte, war es ein sehr, sehr langer Weg für mich.

2020/2021 spielte Amadou Onana ein Jahr in der Zweiten Liga beim HSV, ehe er nach Frankreich zu OSC Lille wechselte.
2020/2021 spielte Amadou Onana ein Jahr in der Zweiten Liga beim HSV, ehe er nach Frankreich zu OSC Lille wechselte. © dpa | Axel Heimken

Ein steiniger Weg, der wichtig für Ihren weiteren Karriereverlauf war?

Absolut. Heutzutage will ich diese toughe Zeit überhaupt nicht missen. Ich glaube, dass ich diesen harten Weg brauchte, um der Spieler zu sein, der ich heute bin. Ich musste lernen, mich gegen all die Widrigkeiten durchzusetzen. Und mit der Hilfe meiner Schwester habe ich das geschafft.

Auch Belgiens Nationaltrainer Domenico Tedesco, den man natürlich aus der Bundesliga kennt, hält große Stücke auf Sie. Wie beschreibt man Tedesco in drei Sätzen?

Domenico ist ein Gewinner, das hat er in seiner DNA. Er hat vor nichts Angst, schon gar nicht vor großen Zielen. Und er spricht unglaublich viel mit den Spielern, die direkte Kommunikation ist seine große Stärke.

Und welche Zielsetzung hat Tedesco für diese EM kommuniziert?

Wir dürfen nichts bereuen, das hat er uns gesagt. Das klingt zwar sehr unkonkret, aber ich kann mich mit diesem Ziel gut arrangieren. Belgien wurde immer wieder in der Vergangenheit als Geheimfavorit gehandelt, hat dann aber nie einen Titel gewonnen. Nun haben wir eine Mannschaft mit dem einen oder anderen älteren Spieler aus der goldenen Generation. Und vielen jungen Spielern, die erst einmal Fuß fassen müssen. Wir müssen eine gute Mischung hinbekommen. Das ist unser EM-Ziel.

Tedesco ist in Deutschland für seinen ganz eigenen Fußball bekannt …

… und den lässt er auch bei uns spielen. Als Spieler ist diese Art von Fußball eine große Herausforderung – aber sie lohnt sich. Ich mag Trainer, die ihre eigene Fußballphilosophie haben.

Belgien gilt in der Gruppe E mit der Slowakei, Rumänien und der Ukraine als großer Favorit. Einverstanden?

Einverstanden. Aber genau das könnte auch eine Gefahr sein. Jeder hält uns für den Gruppenfavoriten – das müssen wir aber erst einmal bestätigen.

Gibt es aus Ihrer Sicht den einen großen EM-Favoriten?

Nicht einen, aber vier. Frankreich natürlich. Spanien, na klar. England gehört unbedingt in diese Aufzählung. Und bei einem Heimturnier und mit den letzten Ergebnissen würde ich auch Deutschland dazuzählen.

Zuletzt gab es auch immer wieder Gerüchte über eine Deutschland-Rückkehr von Ihnen, Bayern München soll interessiert sein. Gab es Kontakt?

Da muss und werde ich ganz professionell antworten: Ich bin bei Everton unter Vertrag – und alles andere überlasse ich den Medien. Ich gebe einfach mein Bestes bei der EM und dann wird man sehen.

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Ihr Landsmann Vincent Kompany übernimmt jetzt die Bayern. Kennen Sie ihn?

Natürlich kenne ich ihn. Vincent war immerhin viele Jahre Kapitän der belgischen Nationalmannschaft. Er war ein großartiger Spieler – und von allem, was ich so höre, ist er auch ein toller Trainer. Ich wünsche ihm alles Glück der Welt bei den Bayern.

Kompany war einer der größten HSV-Stars der früheren 2000er, mit einem geschätzten Transferwert von mehr als 50 Millionen Euro sind Sie einer der größten HSV-Stars der jüngeren Vergangenheit. Hätten Sie es bei Ihrem Weggang aus Hamburg für möglich gehalten, dass der HSV auch in der Saison 2024/25 noch immer in der Zweiten Liga spielt?

Nein. Der HSV ist ein großer Club, ein Verein mit so viel Geschichte und Potenzial. Sogar in der Zweiten Liga kommen ja zu jedem Heimspiel mehr als 50.000 Zuschauer. Jeder in Europa kennt den HSV. Und ich wünsche mir einfach, dass der HSV möglichst bald wieder da spielt, wo er eigentlich hingehört: in die Bundesliga. Seit meiner Zeit in Hamburg bin ich HSV-Fan. Ich gucke auch gerne Spiele des HSV – auch wenn sie leider noch immer in der Zweiten Liga sind.

Onana hat noch immer Kontakt zum HSV

All Ihre Buddys von damals wie Jan Gyamerah, Josha Vagnoman und Aaron Opoku spielen nicht mehr in Hamburg. Haben Sie dennoch Kontakt?

Habe ich. Ludovit Reis ist ja auch noch beim HSV, auch mit Stephan Ambrosius bin ich weiterhin in Kontakt. Er wird den Verein jetzt ja leider verlassen. Aber mit dem einen oder anderen bin ich immer noch im Austausch.

Zum Abschluss noch einmal eine EM-Datumsfrage: Was machen Sie am Abend des 14. Juli?

(lacht) Wenn alles gut läuft, dann spiele ich an dem Abend mit Belgien in Berlin. Und wenn alles perfekt läuft, dann gewinnen wir an dem Abend den Titel.