Hamburg/Lille. Der frühere HSV-Mittelfeldmann spricht über den Lille-Wechsel, die Zukunft des HSV und verrät, was er von Tim Walter hält.

Amadou Onana (20) sitzt gerade in einem Restaurant in seiner neuen Wahlheimat Lille, als sein Telefon klingelt. Seine Schwester Melissa und er würden gerade Mittag essen. „Aber klar habe ich ein paar Minuten Zeit“, sagt der frühere HSV-Mittelfeldmann, der vor drei Wochen für sieben Millionen Euro zum OSC Lille gewechselt ist und am Sonntag gegen Montpellier möglicherweise das erste Mal von Beginn an für seinen neuen Club spielt.

Hamburger Abendblatt: Monsieur Onana, herzlichen Glückwunsch nachträglich! Sie sind seit letzter Woche offiziell kein Teenager mehr …

Amadou Onana: Oh ja, danke für die Erinnerung! Sehr charmant … Mit 20 Jahren bin ich dann wohl auch kein Talent mehr. Gefeiert habe ich aber trotzdem. Wir waren mit der ganzen Familie in Paris, das liegt nicht einmal eine Zugstunde von Lille entfernt.

Wie waren denn Ihre ersten zwei Wochen in Lille?

Onana: Ich bin sehr nett empfangen worden. Die Kabine ist voll von Spielern, die bereits eine große Karriere haben. Aber keiner hat den Star raushängen lassen. Es ist alles sehr entspannt. Das Einzige, was mir noch fehlt, ist eine eigene Wohnung. Ein paar Apartments habe ich mir schon angeschaut, aber ich wohne noch immer im Hotel. Ich muss mich aber ein wenig sputen, denn in den nächsten Tagen kommen alle meine Sachen aus Hamburg.

Sie wollten unbedingt nach Lille. Warum eigentlich?

Onana: Das hatte zwei Hauptgründe: Zum einen ist Lille ein großer Club in Frankreich, spielt in der Ligue 1, ist gerade Meister geworden und darf nun auch noch in der Champions League antreten. Mehr geht nicht. Und zum anderen wollte ich wieder näher an meiner Familie sein, da meine Mutter, die in Brüssel lebt, leider sehr krank ist.

Sie sind ein Familienmensch, auch Ihre Schwester Melissa, die Ihre Managerin ist, spielt eine große Rolle in Ihrem Leben. Vertrauen Sie nur ihr oder könnten Sie sich auch vorstellen, mal einen anderen Manager zu haben?

Onana: Familie ist alles für mich. Ich vertraue meiner Schwester zu einhundert Prozent. Wir arbeiten seit zehn Jahren zusammen, sind durch dick und dünn gegangen. Wir haben viel zusammen durchgemacht. Und Melissa ist eine richtig gute Beraterin – das hat sie in den vergangenen zehn Jahren bewiesen. Alles, was wir uns gemeinsam vorgenommen haben, ist aufgegangen.

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Seit Ihrem elften Lebensjahr haben Sie quasi dafür gelebt, Profifußballer zu werden. Sie sind aus dem Senegal nach Belgien gezogen, später als Teenager alleine nach Hoffenheim gegangen. Kann man eine Profikarriere planen?

Onana: Ja. Ich habe meine Profikarriere von A bis Z durchgeplant. Natürlich geht nicht immer jede Überlegung sofort auf, aber im Großen und Ganzen sind unsere Pläne schon sehr gut aufgegangen. Meine Schwester und ich haben alles dafür gegeben, dass ich diese Karriere haben kann.

Bis jetzt ging es für Sie immer aufwärts. Haben Sie Angst, dass Sie auch mal ein echtes Tief durchleben müssen?

Onana: Überhaupt nicht. Es stimmt ja auch nicht, dass es immer nur aufwärts für mich ging. Ich hatte auch schon Trainer, die mir ins Gesicht gesagt haben, dass ich es niemals schaffen werde, dass ich nicht das Potenzial für eine Profikarriere hätte. Danach wollte ich es umso mehr schaffen. Ich habe keine Angst vor Rückschlägen. Ich bin sehr selbstbewusst, glaube an mich und an meine Fähigkeiten.

Dann fühlen Sie in Lille auch keinen zusätzlichen Druck? Sie haben sieben Millionen Euro gekostet, sollen Superstar Boubakary Soumaré ersetzen …

Onana: Ich spüre überhaupt keinen Druck. Mir ist völlig egal, wie viel ich gekostet habe oder wen ich ersetzten soll. Ich will Schritt für Schritt ein besserer Spieler werden.

Haben Sie die Champions-League-Hymne bei YouTube schon mal heimlich angehört und hatten Gänsehaut?

Onana: Ich habe sie mir immer wieder angehört und angeguckt. Bei Champions-League-Spielen im Fernsehen habe ich sogar heimlich mitgesummt. Und jetzt darf ich live dabei sein. Ich fiebere auch schon der Auslosung entgegen: Real Madrid, FC Barcelona, einer der großen englischen Clubs … Davon träumt doch jeder Fußballer.

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Nicht ganz so traumhaft war Ihr Start in der Liga. Gegen Nizza wurden Sie beim Stand von 0:4 eingewechselt, am Sonnabend beim 1:1 gegen St. Etienne waren Sie „nur“ auf der Bank. Was ist los beim Meister?

Onana: Wir haben tatsächlich einen schwierigen Saisonstart. Nach unserer Meisterschaft will jeder Gegner sein Leben gegen uns auf dem Platz lassen, um uns zu besiegen. Aber wenn ich mir unseren Kader anschaue, dann mache ich mir keine Sorgen. Wir haben richtig gute Fußballer und werden auch besser spielen.

War es nicht schwer für Sie, im Training den Schalter vom deutschen Zweitliganiveau beim HSV auf Champions-League-Klasse umzulegen?

Onana: Doch, schon. Das Niveau hier ist allgemein höher. Bei allem Respekt vor meinen früheren Kollegen beim HSV. Hier wird schon ein anderer Fußball gespielt, an den ich mich erst einmal gewöhnen muss.

Sie sind erst vor drei Wochen aus Hamburg weggezogen. Schauen Sie eigentlich noch, was beim HSV passiert?

Onana: Klar. Ich bin weiterhin HSV-Fan. Die Truppe, das sind doch auch immer noch meine Jungs. Ich habe auch noch regelmäßig mit vielen der Jungs Kontakt: mit Jan Gyamerah, Jonas David, Josha Vagnoman und Aaron Opoku zum Beispiel.

Haben Sie das Spiel am Sonntag gegen Darmstadt verfolgt?

Onana: Habe ich. Ich habe Sky und wollte natürlich wissen, wie mein HSV spielt. Aus meiner Sicht wäre ein HSV-Sieg verdient gewesen – aber mit einem Punkt kann man auch zufrieden sein. Die Zweite Liga ist extrem schwer einzuschätzen.

Was glauben Sie: Wird der HSV diesmal – trotz Schalke, Bremen und einer völlig ausgeglichenen Liga – aufsteigen?

Onana: Ich gebe Ihnen fast die gleiche Antwort, die ich auf diese Frage schon letztes Jahr gegeben hätte. Mit diesem Kader und dieser Mannschaft muss man aufsteigen. Ich bin auch überzeugt von der Art und Weise, wie Tim Walter jetzt Fußball spielen lässt. Der HSV kann Großes erreichen. Er gehört in die Bundesliga, und ich werde fest die Daumen aus Frankreich drücken.

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