Hamburg. Welchen Anteil Mentor Wolfgang Wolf daran hat, dass Steffen Baumgart in Hamburg landete, und wie die gemeinsame Zeit den Coach prägte.
Steffen Baumgart ist ein Frühaufsteher. Am Tag nach dem 1:0-Erfolg des HSV gegen Elversberg griff Hamburgs neuer Trainer bereits um 6.30 Uhr zum Handy, um seinen Mentor Wolfgang Wolf anzurufen. „Er hat mich aus dem Bett geklingelt“, erzählt Wolf im Abendblatt-Podcast HSV – wir müssen reden. „Ich sagte ihm, dass er mit zwei Schiebermützen alles wiedergutmachen kann.“
Trotz der frühen Störung kam Baumgart also glimpflich davon – wie schon so häufig in der Beziehung der beiden, die 1998/99 ihren Ursprung beim VfL Wolfsburg fand, als der damalige Stürmer jedoch nicht viel spielte, weil Andrzej Juskowiak und der spätere Hamburger Roy Präger „besser zusammenpassten“, erinnert sich Wolf.
„Wer Steffens Ehrgeiz kennt, der weiß, dass ihm das nicht gefallen hat.“ Und trotzdem wurde damals der Startschuss einer innigen Freundschaft gelegt.
HSV-Trainer Baumgart: Wie Wolf sein Mentor wurde
„Ich habe Steffen mitgegeben, jedem Spieler ehrlich zu erklären, warum er mal außen vor war und was er tun musste, um wieder zu spielen“, beschreibt Wolf die auch für Baumgarts spätere Trainerlaufbahn prägende Zeit. „Es zeichnet auch Steffen aus, alle Spieler auf seinem Weg mitzunehmen. Er hilft den Reservisten, näher an die Mannschaft heranzukommen.“ Eine Eigenschaft, die er von Wolf lernte und teilweise offensiv einforderte.
Wenn der heute 66 Jahre alte Pfälzer Baumgart im Training in eine B-Elf einteilte, „sagte mein Co-Trainer zu mir, dass ,nachher wieder die Tür eingetreten wird‘“, berichtet Wolf. Und so kam es dann auch. Der emotionale Angreifer habe nicht nur an der Trainertür geklopft, „sondern geschlagen“, um zu erfahren, warum er nicht erste Wahl sei.
Wie Baumgart im Teambus für Furore sorgte
Baumgart sei schon als Spieler ein unverwechselbarer Typ gewesen, der „im Training immer provoziert“ habe und mit „einem losen Mundwerk“ ausgestattet war, erinnert sich Wolf. Als der Stürmer bei Wolfsburgs 3:2-Sieg bei 1860 München in der Startelf ran durfte und einen Treffer erzielte, habe er im Mannschaftsbus auf dem Weg zum Flughafen „einen entscheidenden Fehler“ gemacht.
„So laut wie er war, schrie er von hinten durch den ganzen Bus: ,Trainer, jetzt bin ich mal gespannt, ob ich nächste Woche von Anfang an spiele‘“, erzählt Wolf diese Anekdote, die nach einem Rapport in einen Bankplatz mündete. Und trotzdem lässt Wolf nichts Negatives auf Baumgart kommen.
Was Wolfs größter Fehler bei Baumgart war
„Ich habe ihn mit seiner Art geliebt. Er hat immer aggressiv trainiert, seine Leistung gebracht und war immer da, wenn ich ihn brauchte“, sagt Wolf, dem die Bedeutung Baumgarts als Führungsspieler erst nach dessen Abgang nach nur einer Saison auffiel. Plötzlich sei die Stimmung im Team spürbar schlechter geworden.
„Im Nachhinein war es ein riesiger Fehler von mir, seinem Wechsel zuzustimmen“, sagt Wolf rückblickend. „Ich hatte damals nicht erkannt, dass Steffen als Sprachrohr so viel Einfluss in der Kabine hatte. Er war beliebt und trieb die Mannschaft an, auch wenn er nicht spielte.“
Baumgart ist für Wolf der prädestinierte Trainer
Es dauerte schließlich zwölfeinhalb Jahre, bis sich die Wege der beiden wieder kreuzten. „Als ich in Rostock Trainer war, rief Steffen mich an und fragte, ob ich noch einen Assistenten bräuchte“, schildert Wolf, der seinen Ex-Profi in sein Trainerteam aufnahm.
Am Anfang habe Baumgart „zu viel von seinen Spielern verlangt“, doch es habe sich schnell herauskristallisiert, dass er „prädestiniert für den Trainerjob“ sei.
„Weil er fußballverrückt ist, einen konkreten Plan im Kopf hat, Spieler begeistern und das Maximum aus ihnen herauskitzeln kann“, sagt Wolf, der Baumgart wegen seiner oftmals gebückten Haltung am Spielfeldrand einen „Sumoringer-Trainer“ nennt. Zum 50. Geburtstag vor zwei Jahren habe Wolf ihm deshalb auch eine Sumoringer-Hose geschenkt.
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HSV und Steffen Baumgart: Wolf sieht eine Ära
Zum HSV passe der neue Mann „wie die Faust aufs Auge“. Baumgart werde im ersten Jahr aufsteigen, „eine Ära prägen“ und „den schlafenden Riesen wachküssen“, ist Wolf überzeugt. Der Ex-Coach hat sogar einen kleinen Anteil an Baumgarts Wechsel zum HSV, als er ihm vor einigen Wochen trotz Anfragen anderer Vereine dazu geraten habe, „nicht zum erstbesten Verein“ zu gehen.
„Er zählte die Vereine auf, die mit seinem Berater in Kontakt standen. Zu einem wäre er auch gern gewechselt, aber ich riet ihm davon ab“, erinnert sich Wolf. „Ich sagte ihm, dass sich der HSV bei der nächsten Niederlage von Tim Walter trennen werde, und der Club dann auf ihn zukommen wird.“ Eine Prognose, die sich bewahrheiten sollte.
Die HSV-Fans hätten wohl nichts dagegen, wenn auch Wolfs Prognose eines 3:0-Heimsiegs am Sonntag gegen Osnabrück aufgeht. Ob er am Montag um 6.30 Uhr wieder von Baumgart angerufen wird? „Das habe ich ihm ausgetrieben, mein Handy wird auf lautlos gestellt sein.“
HSV-Notiz:
- Stephan Ambrosius fällt wegen einer Schambeinverletzung vorerst aus.