Hamburg. Der Club stößt eine Reform an und will selber dazu beitragen. Andere Vereine unterstützen das Vorhaben. Gibt der DFB dem Druck nach?
Am Sonnabend wird voraussichtlich wieder gezündelt im Gästeblock des HSV. Läuft alles wie von der aktiven Fanszene geplant, wird in der Arena von Wehen Wiesbaden blauer Rauch nach oben abziehen. Eine Pyro-Show, die die Mehrheit der Zuschauer begeistern und auf keinen Fall für eine Spielverzögerung sorgen soll. So wie vor zwei Wochen beim Auswärtsspiel des HSV in Osnabrück (1:2), als viele Heimfans ihre Handys zückten, um das Zündeln festzuhalten.
In Osnabrück sorgten die HSV-Anhänger für eine kontrolliert durchgeführte Choreografie mithilfe von Pyrotechnik. Der Fall gilt als Paradebeispiel, wie sich die aktive Fanszene weiterentwickelt hat und die Interessen verschiedener Zuschauergruppen berücksichtigt, auch wenn der Einsatz von bengalischem Feuer und Rauchtöpfen verboten bleibt.
Neben einer gelungenen Inszenierung der eigenen Farben fällt mittlerweile auch die Sicherheit aller Stadionbesucher stärker ins Gewicht. Bilder von auf den Platz geworfener Pyrotechnik, die der HSV als hochproblematisch bewertet, sollen der Vergangenheit angehören.
HSV in der Pyro-Klemme des DFB
„Grundsätzlich sind wir gegen den unkontrollierten Einsatz von Pyrotechnik, insbesondere wenn Gegenstände die Hand verlassen und Böller eingesetzt werden“, sagte Cornelius Göbel, Leiter der Fankultur beim HSV, dem Abendblatt. Und dennoch bleibt die Reaktion des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) unverändert. Für die Pyro-Show in Osnabrück wird der HSV abermals eine fünfstellige Summe zahlen müssen.
Die Fans zündeln, der Verein zahlt. So läuft es jetzt schon seit Jahrzehnten. Verändert hat sich dadurch: nichts. Die Kollektivstrafe für die Vereine schreckt die Ultras der Traditionsclubs nicht von Pyrotechnik ab, die für sie zur Fankultur dazugehört. Eine Ansicht, die der HSV teilt. „Wir akzeptieren die Tatsache, dass der Einsatz von Pyrotechnik für die Ultra-Szenen ein wesentlicher Bestandteil ihrer Fankultur ist“, sagt Göbel.
Pyro-Vorbild Skandinavien für DFB?
Der DFB hofft dagegen vergeblich auf einen erzieherischen Effekt. Gleichzeitig können die betroffenen Vereine kaum mehr unternehmen als aktuell. So hat der HSV in den zurückliegenden Jahren beispielsweise das Sicherheitspersonal erhöht und die Fanbetreuung erweitert.
Solche Maßnahmen sowie regelmäßige Stadiondurchsagen, mit denen die Fans aufgefordert werden, das Abbrennen von Pyrotechnik zu unterlassen, reichen für Clubs in Schweden und Dänemark bereits aus, um von einer Strafe befreit zu werden.
In Deutschland rechnet der DFB dagegen weiter kompromisslos nach einer Tabelle ab. Jeder identifizierte pyrotechnische Gegenstand kostet den Verein 1000 Euro. Wird dieser geworfen, werden 3000 Euro fällig. Ein destruktives Vorgehen, klagen mehrere Bundesligisten hinter vorgehaltener Hand.
HSV will Pyro-Pilotstandort werden
Für den HSV summieren sich die Strafen jede Saison im sechsstelligen Bereich. Geld, das an anderer Stelle fehlt. Deshalb regt der Club nun an, diesen Kreislauf zu durchbrechen. „Wir müssen andere Mechanismen entwickeln, weil der bisherige Weg fehlgeschlagen ist. Insbesondere lineares Sanktionieren ist ein gescheitertes Instrument“, sagt Göbel, den das Thema seit Jahren beschäftigt. Immer wieder führt er Gespräche mit dem Verband, der Feuerwehr sowie der Fanszene, um neue Wege aufzuzeigen und gemeinsame Lösungen zu erarbeiten.
Dabei ist ihm aufgefallen, wie die Akzeptanz im gesamten Stadion deutlich gestiegen ist. „Wir bekommen aus vielen Fankreisen das Feedback einer hohen Zustimmung für den Einsatz kontrollierter Pyrotechnik“, sagt er. Wenngleich es immer Zuschauer geben wird, die Pyrotechnik ablehnen, da die Gefahr beim Einsatz von Rauchgasen nie gänzlich ausgeschlossen werden kann.
Aus Göbels Sicht müsse dieses sensible Thema von Verbandsseite neu gedacht werden. Sein Vorschlag, wie das gelingen soll, käme einer Revolution gleich und würde den Blick auf Pyrotechnik grundsätzlich verändern. „Eine Lösung wären die Einführung von Pilotstandorten. Hamburg und das Volksparkstadion wäre aus meiner Sicht ein geeigneter.“
HSV kritisiert DFB für Pyro-Haltung
Nach seinen Vorstellungen soll das Projekt wissenschaftlich begleitet und hinterher transparent und fair bewertet werden – mit dem Ziel, eine Zukunftsfähigkeit zu evaluieren. Das Problem an der Geschichte: Der DFB soll sich bislang wenig begeistert von dieser Idee zeigen und eine Unterstützung ablehnen.
Auf Anfrage teilt der Verband ausweichend mit, Pyrotechnik berge „immer Gefahren in einem voll besetzten Stadion“. Als Beispiel nennt der DFB „in die Fanblöcke geschossene Raketen“, doch dabei geht es bei einem Pilotprojekt natürlich nicht. Und nun?
Die Haltung des DFB hält Göbel für „nicht zielführend“. Er wünsche sich einen konstruktiven Dialog und fordert, die Interessen der Stadionbesucher in den Fokus zu stellen. Doch solange der Verband nicht zu nachhaltigen Veränderungen bereit ist, bleibt dem HSV nur die Möglichkeit, eine kontrollierte Pyro-Show für einzelne Spiele bei der Brandschutzabteilung der Feuerwehr Hamburg sowie dem DFB zu beantragen. So wie 2020, als im Heimspiel gegen Karlsruhe zehn Rauchsimulatoren vor der Nordtribüne eingesetzt worden waren.
HSV will größere legale Pyro-Show
In dieser Saison soll das Schauspiel wiederholt werden. Doch der HSV will mehr. Die Choreografie soll erweitert und nach Möglichkeit auf der Treppe der Fankurve praktiziert werden. Um diesen Wunsch zu realisieren, befindet sich der HSV in einem Austausch mit der Brandschutzabteilung, die die Spielregeln festlegt. So muss der Abstand eines Menschen zu einer Fackel 1,5 Meter betragen.
„Die Auflagen sind unter anderem von den verwendeten Effekten abhängig. Jeder Effekt hat spezifische Sicherheitsabstände oder andere Verwendungshinweise“, teilt die Feuerwehr auf Anfrage mit. Darüber hinaus müssten „geeignete Löschmittel“ gewährleistet werden. In welchem Ausmaß der HSV die Pyro-Show aus dem Karlsruhe-Spiel toppen darf, ist noch offen.
HSV stößt Pyro-Debatte an – Vereine folgen
„Wir wollen proaktiv und in Lösungen agieren, um die Fußball- und Fankultur im Rahmen eines begeisternden und verbindenden Stadionerlebnisses zu unterstützen. So möchten wir gemeinsam unseren eingeschlagenen Weg fortsetzen, Pyrotechnik kontrolliert aus der Illegalität herauszubrechen und verantwortungsvoll mit dem Thema umzugehen“, sagt Göbel. „Unser Ziel ist es, neue Wege zu definieren, gleichzeitig eine hohe Sicherheit im Stadion zu gewährleisten und dabei unser höchstes Gut, die Fankultur, zu wahren.“
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Für den HSV ist es wichtig, die Sicherheit der Stadionbesucher sowie den Einsatz von Pyrotechnik in Einklang zu bringen. Beides sei möglich und schließe sich nicht aus, wie nicht erst die Bilder von Osnabrück gezeigt haben.
Dass die Hamburger mit ihrem Bestreben nicht allein sind, haben die zuletzt getätigten Aussagen von St. Paulis Präsident Oke Göttlich und seinem Amtskollegen Claus Vogt vom VfB Stuttgart gezeigt. Wie Göbel haben die beiden Vereinsvertreter die Kollektivstrafen des DFB öffentlich kritisiert und sich eine Legalisierung gewünscht.
Es ist eine Meinung, die noch weitere Traditionsclubs vertreten. Die Frage ist also auch: Wie lange kann der Verband dem Druck der Vereine noch standhalten?