Hamburg. Die beiden Finnen wollen in Zukunft zusammen für die Nationalmannschaft spielen. Aber nur einer von beiden wird den Sprung beim HSV schaffen.

Am Mittwochabend haben Juho und Jesse Kilo ihr nächstes Ziel erreicht. Die beiden Brüder standen erstmals bei einem Heimspiel der U 21 des HSV zusammen von Beginn an auf dem Platz. Beim 1:0-Sieg im Topspiel des Tabellenzweiten gegen den Vierten SV Drochtersen/Assel an der Hagenbeckstraße ließ Trainer Pit Reimers die beiden Brüder aus Finnland zusammen wirbeln.

Juho (20) im defensiven Mittelfeld auf der Sechs, Jesse (19) auf der linken offensiven Außenbahn. Anfang November durften sie im Auswärtsspiel bei Teutonia Ottensen für ein paar Sekunden schon einmal gleichzeitig das HSV-Trikot in einem Pflichtspiel tragen. Für die Kilo-Brüder ein großer Moment.

Jesse und Juho Kilo wuchsen in Helsinki auf

„Das ist schon etwas Besonderes. Für unsere Eltern ist es noch besonderer“, sagt Juho Kilo. Der Nachwuchsspieler des HSV sitzt an der Seite seines eineinhalb Jahre jüngeren Bruders in einer Umkleidekabine des Volksparkstadions und lächelt, als er an seine Eltern denkt. Mutter Päivi und Vater Aki leben 1164 Kilometer entfernt von ihren Söhnen in der finnischen Hauptstadt Helsinki. Dort sind die beiden Brüder geboren und aufgewachsen.

Heute leben sie weit weg von ihrer Familie, um an ihrem Traum zu arbeiten. In ein paar Jahren wollen sie zusammen für die Nationalmannschaft Finnlands spielen. Das Olympiastadion Helsinki, in dem die Finnen ihre Länderspiele austragen, liegt nur wenige Fußmeter entfernt von ihrem Elternhaus. „Es wäre ein Traum, mal mit meinem Bruder zusammen für Finnland zu spielen“, sagt Jesse Kilo, der aktuell für die U-19-Auswahl seines Landes aufläuft. „Das ist realistisch“, sagt Juho, der gerade erst wieder zwei Länderspiele für die U 21 Finnlands bestritten hat.

Die Kilo-Brüder lernten in Hamburg schnell Deutsch

Für ihren Traum haben die Brüder mit jeweils 16 Jahren ihr Zuhause verlassen und sind in die Alexander-Otto-Akademie auf dem HSV-Campus gezogen. Ohne Deutschkenntnisse, ohne Freunde und Familie. Heute wirken die Geschwister noch immer schüchtern, sprechen im Interview mit dem Abendblatt aber gutes Deutsch. Jesse lacht. „Deutsch zu lernen war nicht so schwer für uns. Finnisch ist unglaublich schwer“, sagt er.

Schwer gefallen ist den beiden die erste Zeit im Volkspark aber schon. Abgeschottet vom sozialen Leben, liegt der Fokus im Nachwuchsleistungszentrum komplett auf dem Fußball. Auch für die Schule mussten sie ihr Zimmer im Internat nicht verlassen. Der Unterricht findet allein statt – online.

Juho Kilo verlässt den HSV nach der Saison

Sie bereuen ihre Entscheidung aber nicht. Auch wenn es Juho Kilo beim HSV nicht mehr zu den Profis schaffen wird. Sein Vertrag läuft im Sommer aus. „Ich werde etwas Neues machen, meine Zukunft liegt woanders“, verrät er. „Ich will in Europa bleiben, mich weiterentwickeln. Hier habe ich leider wenig Chancen bekommen, um über den Sommer hinaus zu bleiben.“

Bruder Jesse hat da schon bessere Karten. Profitrainer Tim Walter mag den Offensivspieler, nahm ihn im Winter mit ins Trainingslager und erwähnte ihn am Dienstag erneut, als es um die Toptalente des HSV ging, die zeitnah wieder bei der ersten Mannschaft trainieren sollen. Im Januar hat Jesse Kilo seinen Vertrag bis 2025 verlängert. Sein großes Ziel: „Ich will irgendwann mal für den HSV im Volksparkstadion spielen.“

Juho Kilo wurde zusammen mit Anssi Suhonen Meister

So wie es Anssi Suhonen am Sonnabend (13 Uhr) gegen Hannover 96 wieder tun wird. Der 22-Jährige ist die bislang größte Erfolgsgeschichte aus der Kooperation zwischen dem HSV und dem wahrscheinlich besten finnischen Nachwuchsclub Käpylän Pallo aus Helsinki. Zusammen mit Juho Kilo wurde Suhonen vor einigen Jahren Jugendmeister in Finnland. Dann ging er zum HSV und wurde dort zum A-Nationalspieler.

Diesen Weg wollen auch die Kilo-Brüder gehen. Während man die beiden im Alltag schon einmal verwechseln kann (Juho: „Wir sind beide eher ruhige Typen und sehr familienorientiert“), spielen sie auf dem Platz ganz unterschiedlich. „Jesse ist besser im Dribbling und im Eins gegen eins. Meine Stärke ist das Passspiel und der erste Kontakt“, sagt Juho, der einem Spielweisenvergleich zu den Spanien-Legenden Xavi und An­dres Iniesta zustimmt. „Xavi ist mein Idol, daher passt das“, sagt er und lacht, wohl wissend, dass die beiden Weltmeister in einer anderen Sphäre schweben.

Dass mit Suhonen und den Kilo-Brüdern gleich drei finnische Nachwuchsspieler zu den größten Talenten des HSV gehören, ist kein Zufall. Die Ausbildung in Finnland ist in den vergangenen Jahren stetig besser geworden. Wollen die Talente es aber in den Profifußball schaffen, bleibt ihnen oft nur der Wechsel in ein Land, in dem die Konkurrenz und die Körperlichkeit größer ist. „Körperlich und bei Zweikämpfen muss ich noch zulegen“, sagt Jesse. Und Juhos Schwäche? „Schnelligkeit. Ich versuche, im Kopf schnell zu sein, damit ich mich auf dem Feld gut positionieren kann.“

Zweikämpfe haben die beiden in der Kindheit vor allem gegeneinander geführt, als sie noch bei ihren Eltern wohnten. Juho war der erste, der bei Sapa Helsinki im Verein spielte. „Wir haben beide immer nur Fußball gespielt. Ich habe angefangen, im Verein zu spielen, weil Juho auch gespielt hat“, erinnert sich Jesse.

Die Mutter brachte Jesse und Juho Kilo zum Fußball

Das Talent haben die Brüder höchstwahrscheinlich von ihrer Mutter Päivi geerbt. Die war selbst Fußballerin in der finnischen Stadt Kuopio. Ihr Vater Aki spielte Eishockey. „Unsere Mutter hat uns zum Fußball gebracht. Für unseren Vater war Fußball kein Sport“, sagt Juho.

Vielleicht war das auch der Grund, dass die beiden den HSV gar nicht kannten, bevor sie nach Hamburg kamen. Auch Nachwuchsdirektor Horst Hrubesch sagte den beiden nichts. Das hat sich mittlerweile natürlich geändert. Der 71-Jährige hängt im Volksparkstadion an vielen Wänden mit dem Europapokal von 1983. In wenigen Wochen feiern Hrubesch und der HSV den 40. Jahrestag des größten Erfolgs der Vereinsgeschichte.

Während Juho Kilo ab Sommer seine Geschichte bei einem anderen Club weiterschreiben wird, will Jesse sich den Traum vom HSV-Profi erfüllen. Dann wäre es auch nur noch eine Frage der Zeit, bis die beiden das erste Mal zusammen für Finnlands Nationalteam spielen.