Hamburg. Beispiel Bayer Leverkusen: Boldt prüft nach dem Vorfall um das mutmaßliche Autorennen Einstellung eines “Kümmerers“.

Bayer Leverkusen hat in der Vergangenheit viele herausragende Südamerikaner verpflichtet: Jorginho, Lucio, Zé Roberto, Arturo Vidal oder auch Charles Aranguiz, der noch immer in Leverkusen spielt. Den möglicherweise wichtigsten Bayer-Südamerikaner kennen aber nur die Wenigsten: Carlos Sobarzo. Bereits seit Jahren ist der Deutsch-Chilene Leiter der Integrationsmaßnahmen bei Bayer 04 und hat als wichtigste Aufgabe, das Eingewöhnen von neuen Spielern zu erleichtern.

„Bayer ist in Fußball-Deutschland bekannt dafür, sich sehr gut um die Inte­gration der Neuzugänge zu kümmern“, sagt HSV-Sportvorstand Jonas Boldt, dem man aber eine gewisse Subjektivität unterstellen muss. Zum einen, weil Boldt bis 2019 zwölf Jahre in Leverkusen gearbeitet hat. Zum anderen, weil er als Sportdirektor Sobarzo, der mittlerweile ein zweiköpfiges Team bei Bayer leitet, verpflichtet hat.

HSV-News: Aus dem Leben eines Sportvorstandes

Dass nun Boldt in diesen Tagen wieder öfter an Sobarzo und Co. denken muss, liegt an seiner neuen Rolle als HSV-Sportvorstand. So ist es gerade einmal zwei Wochen her, dass der 41-Jährige ein Buch mit dem Titel „24 Stunden HSV“ hätte schreiben können. Morgens musste Bakery Jatta vor dem Landgericht Hamburg gegen einen ehemaligen Berater aussagen, abends lieferten sich die HSV-Franzosen Jean-Luc Dompé und William Mikelbrencis mutmaßlich ein illegales Autorennen mit Unfall und Unfallflucht, und schließlich musste Boldt auch den Dopingprozess rund um Innenverteidiger Mario Vuskovic vorbereiten. All das in nicht einmal 24 Stunden.

Kein Wunder also, dass Boldt schon seit etwas längerer Zeit über eine zusätzliche Hilfe für die Profis auch beim HSV nachdenkt. Doch besonders der schwierige Fall Dompé hat die Gedanken des Sportvorstand noch einmal verstärkt.

Was Boldt nur am Rande mitbekommen hat: Der HSV hatte sogar schon mal einen Integrationsbeauftragten. Von 2008 bis 2011 war Dennis Pauschinger in dieser Rolle im Volkspark tätig. Zunächst sollte sich der Hamburger nur um die Südamerikaner Thiago Neves, Alex Silva, Zé Roberto und Tomas Rincon kümmern, später war er auch für die anderen Legionäre zuständig. Als Pauschinger 2011 den HSV verließ, legte er ein schriftliches Konzept zur Integration von Neuzugängen beim HSV vor, das vom damaligen Vorstand allerdings nicht weiterverfolgt wurde.

Ex-Integrationsbeauftragter Pauschinger rät zur Investition

„Schade, dass wir nun über die gleiche Thematik wie früher sprechen“, sagt Pauschinger zwölf Jahre später am Telefon. Mittlerweile lebt und arbeitet er in der Schweiz, verfolgt den HSV aber natürlich noch immer. „Im Fußball tätigt man sehr große Investitionen und überlässt diese dann – etwas überspitzt formuliert – ihrem eigenen Glück. Ich finde es deswegen sehr begrüßenswert, wenn der aktuelle HSV-Vorstand um Jonas Boldt sich nun noch mal verstärkt Gedanken um die Integration von Neuzugängen macht“, sagt Pauschinger. „Natürlich kostet so eine neue Stelle auch ein wenig Geld, aber es würde sich meiner Meinung nach langfristig lohnen, wenn man es als Verein ernst meint.“

Bayer Leverkusen meint es ernst. In einer Zeit, in der das Wort Integration noch ein Fremdwort war, kümmerte sich der mittlerweile verstorbene Deutsch-Brasilianer Heinz Prellwitz wie eine Vaterfigur jahrelang um die Brasilianer. Etwas akademischer wurde der Ansatz unter Frank Ditgens, der Pädagogischer Leiter von Bayers Nachwuchsleistungszentrum und gleichzeitig Integrationsbeauftragter in Doppelfunktion war, ehe Boldt zusätzlich Sobarzo von einer Sprachschule in Köln abwarb. „Sprache ist das A und O bei der Integration“, sagt auch Pauschinger, der sich für schriftliche Erwartungsgespräche bei einem Transfer ausspricht. „Da kann dann beispielsweise auch drin stehen, was sich ein Neuzugang in Sachen Deutschkenntnisse vornimmt.“

HSV-Spieler Dompé und Mikelbrencis haben Deutschunterricht

Dompé und Mikelbrencis haben Deutschunterricht, sprechen allerdings bis heute weder Deutsch noch passables Englisch. „Es ist ein schmaler Grat, einerseits Fußballern bei der Adaption in einer neuen Stadt und einem neuen Verein zu helfen und sie andererseits zu sehr zu pampern“, sagt Pauschinger, dem aus seiner Zeit Rincon als Positivbeispiel in Erinnerung geblieben ist. Der Venezolaner habe sehr schnell sehr gut Deutsch gelernt, sei optimal integriert gewesen und habe sich trotzdem bei Behördengängen und Ähnlichem über Hilfe gefreut.

Für Boldt ist die entscheidende Frage im Hinblick auf die Installation eines Integrationsbeauftragten, wie die Kaderstruktur einer Mannschaft ist. So brauche eine Mannschaft wie Heidenheim, die fast nur deutschsprachige Profis hat, eher kein zusätzliches Personal, Bayer Leverkusen mit derart vielen Spitzenkräften aus dem Ausland dagegen sehr wohl. Beim HSV wäre laut Boldt alleine wegen der beiden Franzosen Dompé und Mikelbrencis eine zusätzliche Hilfe neben dem Teammanagement um Lennart Coerdt, Mats Wesling, Lasse Böttcher und Nadja Kischkat angebracht – wobei der Vorstand auch betont, dass ein zusätzlicher Integrationsbeauftragter nicht zwangsläufig den Fall Dompé hätte verhindert können.

HSV-News: Dompé – Staatsanwaltschaft Hamburg ermittelt weiter

Zur Erinnerung: Noch immer ermittelt die Staatsanwaltschaft wegen des Verdachts eines illegalen Autorennens, das beide Franzosen gegenüber den Verantwortlichen des HSV allerdings bestreiten. „Jean-Luc hat einen Fehler begangen. Vor allem, weil er vom Unfallort verschwunden ist. Deswegen haben wir ihn als Verein entsprechend sanktioniert“, hat Trainer Tim Walter im NDR-Sportclub gesagt, als er erklärte, warum er sich für eine Geldstrafe und gegen eine vorübergehende Suspendierung entschied: „Nachdem er sich vor dem Team und vor der Öffentlichkeit ehrlich entschuldigt hat, kann man auch nachsichtig sein. Für mich ist es nur wichtig, dass es vom ganzen Herzen kommt und ehrlich ist. Dann hat jeder eine zweite Chance verdient.“

Pauschinger ist beim Fall Dompé zwiegespalten. Der Wahl-Schweizer hält nicht viel von Geldstrafen, findet das Verhalten der beiden HSV-Franzosen aber sehr wohl sanktionswürdig. „Offenbar haben die Spieler in diesem Fall nicht über ihre privilegierte Rolle und ihre Vorbildfunktion nachgedacht. Ein mutmaßliches, illegales Autorennen ist schon ein heftiger Vorwurf“, sagt er. Und auch die Staatsanwaltschaft hat sich noch nicht festgelegt, ob sie es auch beim erhobenen Zeigefinger belassen will. Ein Fahrtenschreiber von Dompés Crashauto ist bereits ausgewertet, ein zweiter wird noch analysiert. Sollte dabei herauskommen, dass es sich entgegen Dompés Beteuerung um ein illegales Autorennen gehandelt hat, dürfte Anklage erhoben werden – und dem HSV eine Diskussion drohen, die sehr viel unangenehmer ist als die Frage, ob man nach einem möglichen Aufstieg einen zusätzlichen Integrationsbeauftragten braucht.