Hamburg. Auf der Hauptversammlung krachte es gewaltig. Aktionäre kritisieren vor allem Präsident Jansen und Ex-Aufsichtsrat Dinsel. Ein Report.
Mitten in der Versammlung, so berichten es zumindest einige Teilnehmer der HSV-Hauptversammlung am vergangenen Donnerstag, reichte es Detlef Dinsel. Der Unternehmer soll das Volksparkstadion fast fluchtartig verlassen haben, nachdem zuvor mehr als vier Stunden getagt, geredet und vor allem gestritten wurde.
Der geschäftsführender Partner der schwedischen Investmentfirma IK Partners war bei dem Zusammenkommen im Zentrum des Geschehens – und in der Kritik der Anteilseigner. Genauso wie HSV-Präsident Marcell Jansen und Ex-Vorstand Thomas Wüstefeld. Mit einigen Tagen des Drüberschlafens stellt sich nun die Frage: Wie kann es in den zerstrittenen HSV-Gremien nur weitergehen?
Diese Frage hat sich auch Dinsel selbst gestellt – und ist dabei zu einer überraschenden Antwort gekommen. Der 62-Jährige, dem auf der stundenlangen Hauptversammlung die Eignung als Aufsichtsrat abgesprochen wurde, will weitermachen. Als Kontrolleur. Und sogar als potenzieller Anteilseigner. Sofern der e.V. ihn weiterhin nominiert, würde er als Aufsichtsrat zur Verfügung stehen, bestätigte Dinsel dem Abendblatt. Und trotz der heftigen Auseinandersetzungen auf der Hauptversammlung mit Karl Gernandt, dem Vertreter der Kühne Holding, könnte er sich auch weiterhin einen Kauf von AG-Anteilen vorstellen. Er würde zeitnah mit Gernandt das Gespräch suchen wollen.
HSV-Vorwurf: Verfolgen Jansen, Dinsel und Wüstefeld eigene Agenda?
Ob der frühere Aufsichtsratsvorsitzende das Gesprächsangebot annimmt, muss allerdings nach der emotionalen Hauptversammlung bezweifelt werden. Gernandt war bei dem Zusammenkommen aller Anteilseigner, des Vorstands und des Aufsichtsrats der Hauptankläger, der nicht nur Dinsel schwer kritisierte. Vor allem Präsident Marcell Jansen musste sich heftige Vorwürfe gefallen lassen, Versammlungsteilnehmer berichteten von „verbalen Attacken unter der Gürtellinie“. Auch Thomas Böhme von der AMPri Handelsgesellschaft soll seinen Unmut freien Lauf gelassen haben.
Der Vorwurf, der allerdings nur hinter vorgehaltenen Händen formuliert wurde: Jansen, Dinsel und Wüstefeld bilden ein Trio, das eine eigene Agenda verfolge und den gesamten HSV spalte. Die drei Beschuldigen widersprachen dieser Darstellung gegenüber dem Abendblatt. Besonders Ex-Vorstand Wüstefeld legt großen Wert darauf, eine neutrale Haltung in der explosiven Gemengelage einzunehmen.
Und tatsächlich: Ausgerechnet der abberufene Ex-Vorstand, der noch vor Kurzem vor einer juristischen Auseinandersetzung mit der Kühne Holding war, soll auf einer Krisensitzung, die nach Abendblatt-Informationen bereits in der kommenden Woche stattfinden soll, zwischen den zerstrittenen Parteien als Vermittler auftreten. Erst nach diesem Friedensgipfel soll zeitnah eine weitere Hauptversammlung terminiert werden.
Hat Wüstefeld in seiner Zeit als HSV-Vorstand Geschäfte mit sich selbst gemacht?
Das Prozedere überrascht insofern, als dass auch Wüstefeld sich auf der Hauptversammlung ein weiteres Mal schwere Vorwürfe gefallen lassen musste. So wurde im Kreis der Anteilseigner nach Abendblatt-Informationen eine Rechnung im knapp sechsstelligen Bereich moniert, die Wüstefelds Firma Medsan dem HSV vor Kurzem gestellt haben soll. Der krasse Vorwurf: Hat Wüstefeld in seiner Zeit als HSV-Vorstand Geschäfte mit sich selbst gemacht?
Gegenstand der Rechnung ist jedenfalls die Leihgebühr für eine PCR-Maschine sowie die benötigten Testmaterialien. All das wurde in einer Überlassungsvereinbarung vom 12. Dezember 2021 schriftlich festgehalten, sollte allerdings vertraglich am 30. Juni 2022 enden.
- Merkwürdigkeit Nummer eins: Die Rechnung umreißt nicht nur das zuvor angegebene halbe Jahr, sondern mehr als ein ganzes Jahr.
- Merkwürdigkeit zwei: Als Vergütung wurde im Winter ’21 von Wüstefeld festgehalten, dass der HSV drei VIP-Karten im Gesamtwert von knapp 14.000 Euro als Gegenleistung einbringen muss. Die nun gestellten Forderungen haben aber einen Gesamtwert von knapp 100.000 Euro.
- Und Merkwürdigkeit drei: Die damaligen Vorstände Jonas Boldt und Frank Wettstein haben eine solche Überlassungsvereinbarung nie unterzeichnet.
HSV-Vorstand erklärt Wüstefeld zur unerwünschten Person
Wüstefeld erklärt die höheren Kosten mit dem gesteigerten Bedarf in Corona-Zeiten, der HSV habe sogar einen Vorzugspreis erhalten. Die VIP-Karten habe seine Firma mittlerweile auch gezahlt, die offenen knapp 100.000 Euro, die auch einen Zeitraum umfassen, in dem er selbst HSV-Vorstand war, fordere er aber weiterhin ein.
Der Vorstand der HSV AG bekräftigte dagegen, nicht zahlen zu wollen, und ließ dem Abendblatt schriftlich ausrichten: „Die HSV Fußball AG distanziert sich in vollem Umfang von Herrn Wüstefeld. Wir haben nach seinem Wirken und Handeln des vergangenen Jahres kein Interesse, weiter mit Herrn Wüstefeld in Verbindung gebracht zu werden, und betrachten dies auch aus unserer Verantwortung heraus gegenüber der Mitarbeiterschaft, Partnern und Mitgliedern.“
Deutlicher kann man nicht werden. Zudem habe Wüstefeld auch keinen rechtlichen Anspruch auf VIP-Karten, die man dem Ex-Vorstand nicht mehr aushändigen will. Selbst Präsident Jansen, der Wüstefeld stets verteidigte, zeigte sich über die plötzliche Rechnung überrascht.
Doch die Rechnung war nicht die einzige Überraschung auf der Hauptversammlung. So soll Böhme, der vor einem Jahr die letzten zu erwerbenden 0,7 Prozent der AG-Anteile gekauft hatte, Jansen und Dinsel vorgeworfen haben, seinen damaligen Kauf torpediert zu haben. Das Abendblatt hatte bereits vor einem Jahr über diesen schwelenden Konflikt berichtet, woraufhin Vertreter des Präsidiums immer wieder von „Fake News“ sprachen.
HSV: Größter Streitpunkt ist die Gesellschafterstruktur
Tatsächlich liefert der HSV aber „Real News“ am Fließband. Nach der eskalierten Hauptversammlung muss man nun den Eindruck gewinnen, dass der größte Streitpunkt aller Parteien die Gesellschafterstruktur ist. Auch der geplatzte Millionendeal mit dem „Hamburger Bündnis“, einem Zusammenschluss zweier Hamburger Geschäftsleute, die im großen Stil von Kühne und vom HSV Anteile erwerben wollten (Abendblatt berichtete), war erneut Thema in der Hauptversammlung.
Genauso wie der ebenso geplatzte Plan, dass Wüstefeld, Kühne und Dinsel jeweils rund sieben Prozent der Anteile als drei gleichberechtigte Anteilseigner halten. Am Rande der Versammlung wurde zudem bekannt, dass nach dem öffentlichen Streit zwischen Wüstefeld und Kühne im vergangenen Jahr Wüstefeld seine Anteile im Winter Dinsel zum Kauf angeboten hatte. Dieser lehnte allerdings ab.
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Und nun? Soll Wüstefeld, der offiziell von der HSV AG zur Persona non grata erklärt wurde, beim Streit zwischen Vereinspräsident Jansen und den Aktionären vermitteln. So etwas schafft: nur der HSV.