Hamburg. Noch vor der Abreise nach Spanien an diesem Mittwoch hat der HSV-Coach um ein Jahr verlängert – genau wie sein Team.
Am Ende wollte der HSV-Trainer nicht mehr lange um den heißen Brei herumreden. „Wir haben stets betont, dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis wir den Vertrag verlängern“, sagte der Chefcoach, der nach seiner Unterschrift auch keinen Hehl aus seinem Innersten machen wollte: „Ich bin glücklich“, sagte der Trainer und erklärte: „Es ist ja keine normale Beziehung zwischen Club und Trainer.“
Der einzige Haken: Es war nicht Tim Walter, der all das gesagt hat, sondern Bruno Labbadia. Auf den Tag vor sieben Jahren, als er im Trainingslager von Belek sein Arbeitspapier vorzeitig um eine Saison verlängerte und damit bis heute der letzte HSV-Trainer war, der einen auslaufenden Vertrag nicht nur erfüllte, sondern sogar verlängerte. Der damalige Sportchef Peter Knäbel sprach nach dem Trocknen der Tinte sogar beglückt von der „wichtigsten Personalie in einem Fußballverein“.
Die ist es natürlich auch noch sieben Jahre später – und dementsprechend dürften Hamburgs aktuelle Entscheidungsträger an diesem Mittwoch genauso glücklich wie ihre Vorgänger damals sein. Denn ab heute heißt es: wieder Trainingslager – und wieder eine Vertragsverlängerung.
HSV-Trainer Tim Walter verlängert Vertrag nur um ein Jahr
Am Tag vor der Abreise nach Sotogrande (Spanien) machte es Walter allerdings noch anders als Labbadia vor sieben Jahren: Er redete um den heißen Brei herum. „Schaun mer mal“, antworte Walter auf die rhetorische Frage, ob er seinen Vertrag an diesem Mittwoch kurz vor dem Abflug um 11 Uhr unterschreiben würde. Dabei war nach Abendblatt-Informationen bereits seit Wochen alle Details ausverhandelt, Sportvorstand Jonas Boldt hat den Einjahresvertrag längst unterzeichnet.
Und Walter? Ein Lächeln. Und noch einmal: „Schaun mer mal.“ Dann wurde aus dem Lächeln sogar ein Grinsen. „Schaun mer mal, ob der Füllfederhalter gefüllt ist und ich ein bisschen Zeit habe.“
Vom HSV bekam Walter jedenfalls die Zeit und auch die Rückendeckung, die ein Trainer braucht. Genau wie Labbadia und seine Co-Trainer 2016 haben auch Walter und sein Trainerteam (die Assistenten Filip Tapalovic, Julian Hübner und Merlin Polzin sowie Torwarttrainer Sven Höh) ihre Verträge lediglich um ein Jahr verlängert.
„Ich freue mich, dass der Verein den eingeschlagenen Weg mit mir fortführen möchte. Es ist zum einen eine große Aufgabe, aber auf der anderen Seite eine große Ehre für den Verein zu arbeiten“, ließ sich Walter am Mittwoch auf der HSV-Homepage zitieren und würdigte auch die Arbeit seines Stabs: „Ich stehe als Trainer vielleicht im Vordergrund, aber alle anderen, die hintendran sind, sind genauso gut.“
Tim Walter über HSV: „Verein und seine Wucht sind außergewöhnlich“
Ein Walter, ein Wort. „Der Verein und seine Wucht sind außergewöhnlich“, hatte der Coach bereits Ende November auf der USA-Reise des HSV gesagt, als längst feststand, dass er beim HSV über den Sommer hinaus bleiben würde. „Ich bin gerne hier. Ich möchte, dass wir uns als Verein von der Struktur her weiterentwickeln“, hatte er gesagt. „Und ich möchte mit dem Team in der Bundesliga spielen.“
Damit das auch wirklich gelingt, müssen Walter und seine Mannschaft zunächst einmal die Basis dafür in den kommenden acht Tagen in Andalusien schaffen. Wie bereits im vergangenen Winter wird das Team im Hotel SO Sotogrande logieren und im knapp neun Kilometer entfernten Santa Maria Polo Club trainieren. Getestet wird gegen gegen den SC Freiburg am 13. Januar (15 Uhr, 90 Minuten) und gegen die Vancouver Whitecaps aus der Major League Soccer (MLS) am 18. Januar (15 Uhr, 90 Minuten).
Die wenigen Trainingszuschauer, die sich trotz Hamburger Schmuddelwetters die letzte Einheit vor der Abreise am Dienstag anschauten, konnten mehr oder weniger sehen (aber vor allem sehr laut hören), dass in Spanien noch viel zu tun ist. Es war kurz vor Schluss der Einheit, als der Vulkan Walter explodierte. Eine halbe Minute lang stand der Cheftrainer auf dem Platz, schimpfte lautstark, drehte sich um die eigene Achse, brüllte und schrie dann ganz zum Schluss seinen Spielern zu: „Und nun macht es besser!“
Walter kann wütend, Walter kann aber auch menschlich
Ein paar Minuten später hatte sich der 47-Jährige aber wieder beruhigt. „Wir betreiben so viel Aufwand, kommen oft in gute Situationen, und die spielen wir so schludrig aus, weil wir nicht konsequent sind“, erklärte Walter seinen Ausbruch. „Das habe ich im Training sowohl auf der einen als auch auf der anderen Seite beobachtet. Wir müssen vor dem Tor konsequenter werden. Der Ball muss rein.“
Walter kann wütend, Walter kann aber auch menschlich. So brauchte der neue, alte HSV-Trainer am Dienstagmittag nur wenige Sekunden, um den Schalter vom Sportlichen auf das Private umzulegen. Als er auf den plötzlichen Tod seines langjährigen Wegbegleiters Rainer Ulrich angesprochen wurde, der am Wochenende mit nur 73 Jahren an einem Herzinfarkt verstarb, suchte der angefasste Walter nach den richtigen Worten.
„Der Rainer war und ist wie ein Teil meiner Familie. Ich bin traurig. Ich hätte mich gerne noch mit ihm getroffen, unterhalten, gelacht und ihm gesagt, dass er für mich einer der tollsten und besondersten Menschen in meinem Leben war und ist“, sagte Walter, der mit Ulrich in Karlsruhe, bei Bayern München, Holstein Kiel und dem VfB Stuttgart zusammengearbeitet hat. Auch zum HSV wollte er seinen Mentor vor anderthalb Jahren als Co-Trainer mitnehmen. „Er war für mich wie ein Papa. Ich werde ihn sehr vermissen und die schönen Erinnerungen an unsere gemeinsamen Zeiten in Ehren halten.“
- „Tut mir einfach leid“ – Tom Mickel verpasst Trainingslager
- HSV findet Vuskovic-Ersatz – doch droht der Deal zu platzen?
- Tim Leibold: Wechsel bestätigt – diese Hürden warten noch
Mensch, Walter. Neben dem klaren Konzept – Kritiker dürften von einem starren oder sturen Plan sprechen –, das der Fußballtrainer beim HSV verfolgt, ist es besonders diese Empathie, die Sportvorstand Boldt überzeugte. Da ist einerseits der Trainerprolet, der an der Seitenlinie pöbelt, sich mit dem Schiedsrichter anlegt, breitbeinig Auskunft erteilt, und da ist andererseits der Spielerversteher, dem die Fußballer vertrauen, der besonders auf junge Talente setzt und der sich immer schützend vor seine Mannschaft stellt.
Seine Mannschaft schützen will Walter also auch in der kommenden Saison – am liebsten in der Bundesliga. Dass beim HSV Verlängerungen aber nicht einmal im Fall des erhofften Aufstiegs eine Garantie sind, dürfte dem Familienvater klar sein. Bestes Beispiel hierfür ist Bruno Labbadia. Der musste nur ein Dreivierteljahr nach seiner Vertragsverlängerung schon wieder gehen. Nach fünf Spieltagen. Und einem knappen 0:1 gegen die Bayern. Also, wie Tim Walter oder Franz Beckenbauer sagen würden: Schaun mer mal.