Hamburg. Der „nur“ 1,88 Meter große Heuer Fernandes spielt die Saison seines Lebens. Wer hätte das gedacht? Die Antwort: er selbst

Es gibt da dieses eine Foto. Weihnachten ’97. Vielleicht auch ’98. Der kleine Daniel, stolz wie Bolle, den Rücken durchgedrückt. Die Hände vor dem Körper, verziert durch nigelnagelneue Torwarthandschuhe. Dazu eine neue Torwarthose vom Weihnachtsmann, ein neues Torwarttrikot. „Das ganze Programm eben“, sagt der kleine Daniel, aus dem 25 Jahre später ein 1,88 Meter großer Daniel geworden ist. „Torwarthandschuhe, Hose, Trikot. Ich fand das super.“

Daniel Heuer Fernandes ist auch ein Vierteljahrhundert nach dem Weihnachtsfoto von damals noch gut für einen Schnappschuss. Als das Vormittagstraining am Freitag gegen 11.30 Uhr beendet ist, wird der HSV-Torhüter um ein Foto gebeten. Nicht von den Eltern, sondern von einem Mädel. Erst eins, dann noch ein zweites. Beide: stolz wie Bolle. Oder besser: wie der kleine Daniel von damals. Und Heuer Fernandes heute? Der Rücken immer noch durchgedrückt, die Hände vor dem Körper. Dazu ein Lächeln.

Daniel Heuer Fernandes: Bester Zweitligaprofi?

Zu lachen hat Daniel Heuer Fernandes vor dem Spitzenspiel bei seinem Ex-Club SC Paderborn an diesem Sonntag (13.30 Uhr/Sky und im Liveticker bei abendblatt.de) jede Menge. Laut dem Fachmagazin „Kicker“ ist der Keeper der notenbeste Torhüter der ersten beiden Profiligen. Mit einem Schnitt von 2,42 ist er sogar der beste Fußballer der gesamten Zweiten Liga. Die Hälfte seiner Spiele hat der 29-Jährige zu null gespielt, insgesamt hat er trotz sechs Gegentoren in den vergangenen zwei Ligaspielen noch immer einen starken Schnitt von nur einem Gegentor pro Partie, dazu 47 abgewehrte Torschüsse. Viel mehr geht nicht.

„Man kann schon sagen, dass ich bisher die beste Saison meiner Karriere spiele“, glaubt Heuer Fernandes – und sagt es dann auch. Der gebürtige Bochumer sitzt in einem Raum ohne Fenster in den Katakomben des Volksparkstadions und ist im Abwehrmodus. Normalerweise muss er Torschüsse abwehren, nun sind es Komplimente. Und nach dem knapp eine halbe Stunde langen Gespräch kann man festhalten: Beim Abwehren von Großchancen ist er konsequenter.

„Meine Darmstadt-Zeit war durchweg auf einem guten Niveau. Dieses Niveau konnte ich beim HSV noch steigern“, sagt der Deutsch-Portugiese, der mit 1,88 Metern Körperlänge kein großer Keeper ist, aber ein großes Selbstbewusstsein hat. „Ich habe Selbstvertrauen und weiß, was ich kann“, sagt er. „Deswegen konnte ich auch nach Rückschlägen geduldig bleiben, weil ich mir immer sicher war, dass es sich für mich auszahlt.“

Heuer Fernandes’ Achterbahnfahrt

Seit anderthalb Jahren ist Heuer Fernandes in einem Überflieger-Modus. Man könnte fast vergessen, dass der Junge aus dem Pott auch schon andere Zeiten beim HSV erlebt hat. Zum Beispiel, als er hinter Julian Pollersbeck auf die Bank musste. In einem Spiel sogar nur Torhüter Nummer drei war. Und eine komplette Saison sich hinter Nun-wieder-Bayer Sven Ulreich anstellen musste. „Auch in dem für mich schwierigen Jahr in Hamburg hatte ich Geduld. Natürlich habe ich mir in der Zeit viele Gedanken gemacht, aber ich wusste eben auch, was ich am HSV habe. Und das wollte ich nicht so einfach aufgeben. Ich wollte mich durchbeißen. Und dieses Festbeißen hat sich ausgezahlt.“

Das Festbeißen hat Heuer Fernandes über die Jahre gelernt. Der Torhüter wurde beim VfL Bochum ausgebildet, erhielt dort aber nie die Chance auf einen Profieinsatz. Er spielte in der A-Jugend unter Hannes Wolf bei Borussia Dortmund, wurde aber auch dort zunächst erst einmal auf die Bank gesetzt. Ähnlich ging es weiter im Herrenbereich. Seine erste Station: der VfL Osnabrück. Dort dann endlich Stammtorhüter – und dann doch wieder auf der Bank.

In Paderborn war es umgekehrt: erst Reservist, dann Stammtorhüter. Dann Darmstadt: Wieder erst die Bank, dann das Tor. „Meine Karriere wirkte von außen betrachtet vielleicht wie eine Achterbahnfahrt, hat sich aber nicht so angefühlt, weil ich für mich immer wieder den nächsten Schritt nehmen konnte“, sagt Heuer Fernandes.

Heuer Fernandes plötzlich Stürmer beim HSV

HSV-Trainer Tim Walter weiß jedenfalls ganz genau, was er an seinem Keeper hat. „Daniel hat eine große Bereitschaft, sich jeden Tag zu verbessern. Er hört zu, er nimmt Dinge an. Er ist ein herausragender Fußballer – und Sveni (Torwarttrainer Sven Höh, die Red.) hat ihn auch im Torwartspiel verbessert. Es passt einfach.“

Einen Eindruck von diesem herausragenden Fußballer konnten die Fans am vergangenen Sonntag bekommen, als Heuer Fernandes in der fünf Minuten langen Nachspielzeit nichts mehr in seinem eigenen Tor hielt. Heuer Fernandes spielte Stürmer, Flügelflitzer und Zehner zugleich.

„Für mich war es ungewohnt, dass ich in der Nachspielzeit viele Ballkontakte und sogar eine Tormöglichkeit im gegnerischen Strafraum hatte. Ich habe auch kurz mal überlegt, ob ich nicht eigentlich absichern müsste“, sagt Heuer Fernandes. „Aber ich wollte unbedingt gewinnen.“

Heuer Fernandes wollte gar nicht Torwart werden

Das wollte der kleine Daniel auch schon als Kind. Und obwohl ihm der Weihnachtsmann eine komplette Torhüterausrüstung schenkte, spielte Heuer Fernandes anfangs fast immer im Feld. „Auf dem Bolzplatz bin ich auch nur ins Tor gegangen, wenn ich mal dran war“, erinnert er sich an heiße Nachmittage auf dem Käfigplatz in der Stockumer Straße in Bochum-Langendreer.

Sogar im Verein wollte er lange Zeit nicht nur der Torhüter sein. „In der Jugend war ich mal Torwart, mal habe ich im Feld gespielt. Ich habe auch öfter in der ersten Halbzeit im Tor angefangen und bin in der zweiten Halbzeit ins Feld gewechselt.“ Mal in den Sturm, mal ins offensive Mittelfeld. Wahrscheinlich gibt es nicht viele Profikeeper, die in der A-Jugend-Bundesliga als Stürmer ein Tor erzielt haben. „Ein klassisches Abstaubertor“, sagt Heuer Fernandes.

Portugals U-21-Vizeeuropameister von 2015, der noch immer die Nummer von Manchester Citys Bernardo Silva im Handy gespeichert hat, will aber nicht nur als guter Kicker abgespeichert werden. „Ich wurde immer als der mitspielende Torhüter wahrgenommen. Aber die besten Noten habe ich bekommen, wenn ich in der Torverteidigung meine Qualitäten bewiesen habe.“ Gerne auch am Sonntag. In der alten Heimat. In Paderborn. Gegen ein schickes Siegerfoto, versichert Heuer Fernandes, hätte er nichts einzuwenden.

Die voraussichtlichen Aufstellungen:

  • Paderborn: Huth – Müller, Heuer, Hoffmeier – Schallenberg – Obermair, Srbeny, Muslija, Justvan – Platte, Leipertz.
  • HSV: Heuer Fernandes – Mikelbrencis, Vuskovic, David, Muheim – Meffert – Reis, Benes – Königsdörffer, Glatzel, Dompé.