Hamburg. Vor dem 108. Stadtderby zwischen dem FC St. Pauli und dem HSV sprechen die Topspieler über Gott, Beten und Kraft.

„Vorhang auf für die außergewöhnlichsten Fußballer-Persönlichkeiten dieser Tage“ – das schreibt Mentaltrainer und Schriftsteller David Kadel in der neuen Auflage der Fußball-Bibel. 23 Prominente aus der Fußballszene sprechen in dem Buch über ihren christlichen Glauben. Mit dabei sind auch die wahrscheinlich wichtigsten Spieler des FC St. Pauli und des HSV: Marcel Hartel und Robert Glatzel.

Vor dem direkten Duell im 108. Pflichtspielderby der Hamburger Zweitligisten (Fr., 18.30 Uhr/Sky und Abendblatt-Liveticker) sprachen Hartel (26) und Glatzel (28) auch im Abendblatt über ihre göttliche Geschichte. Glaube, Liebe, Hoffnung sind nicht nur die theologischen Tugenden, sondern auch ein Satz, der am Freitag wieder auf Fan-Bannern am Millerntor zu sehen sein könnte. Zuvor aber heißt es: Glaube, Glatzel, Hartel.

Hamburger Abendblatt: Herr Hartel, Herr Glatzel, Sie sind beide Teil der neuen Fußball-Bibel und stehen dort zwischen Jürgen Klopp, David Alaba und Auszügen aus dem Neuen Testament. Wie kam es dazu?

Robert Glatzel: Der Kontakt zu David Kadel kam über Frank Schmidt, der mein Trainer in Heidenheim war. Die beiden kennen sich, Frank Schmidt wusste von meinem Glauben. Ich habe dann mal mit David telefoniert. Er hat mich gefragt, ob ich Lust habe, meine Geschichte zu erzählen. Das habe ich gerne gemacht.

Marcel Hartel: Unser Co-Trainer Loic Favé hat den Kontakt hergestellt. Ich bin ein Mensch, der zu seinem Glauben steht. Ich spreche offen darüber. Also war es kein Problem für mich, da mitzumachen.

Wie sind Sie zum Glauben gekommen?

Hartel: Als ich klein war, ist mir aus der Kinderbibel vorgelesen worden. Da gefiel mir die Geschichte von der Arche Noah ganz besonders. Ich bin dann den normalen Weg gegangen, hatte meine Kommunion und bin dabeigeblieben, auch wenn andere in meinem Alter danach davon abgerückt sind. Der Glaube hat mir immer Kraft gegeben. Deshalb halte ich auch heute daran fest und bin überzeugt, dass etwas dahintersteckt.

Glatzel: Als ich in München aufgewachsen bin, war der Glaube kein großes Thema bei mir oder meiner großen Schwester. Wir sind nicht oft in die Kirche gegangen. Mein Vater hat aber immer versucht, mir das Thema näherzubringen. Wir waren aber nie streng gläubig. Irgendwann habe ich den Weg selbst gefunden. Als das Leben und auch der Fußball mit 18 ernster wurden, war es wie ein Verlangen, mich stärker mit dem Glauben zu beschäftigen.

In der Fußball-Bibel erzählen Sie von einem Schlüsselmoment.

Glatzel: Das war 2014, als ich bei 1860 München II mit Manuel Bühler zusammengespielt habe. Er hat angefangen, einmal in der Woche bei ihm zu Hause einen Sportler-Gottesdienst zu organisieren. Auch einige Stars des FC Bayern München waren regelmäßig dabei, die von ihrer Geschichte erzählt haben. David Alaba, Dante, Rafinha oder Claudio Pizarro. Es ging immer darum, wie Gott sie auf ihrem Weg unterstützt hat. Das war ein super Einstieg für mich. Mein Schlüsselmoment war dann, als Zé Roberto seine Geschichte erzählt hat, wie er in Brasilien in ganz armen Verhältnissen aufgewachsen ist. Die Begegnung mit ihm hat mich beeindruckt und ist mir bis heute im Kopf geblieben. Diese Geschichten haben mich gepackt. Den Bibelkreis Fußball mit Vision gibt es heute noch. Man bekommt dort eine andere Perspektive und lernt, nicht nur in der Fußballblase zu leben.

Auch bei Ihnen gab es ein entscheidendes Erlebnis, Herr Hartel.

Hartel: Ja, das hatte mit meiner Schwiegermutter zu tun. Sie hatte eine Not-Operation, die die meisten Menschen nicht überleben. Sie hat es Gott sei Dank geschafft. Damals haben uns der Glaube und die Gebete sehr geholfen. Wir sind sehr dankbar, dass es ihr auch heute noch sehr, sehr gut geht. Meine Überzeugung, dass der Glaube hilft, war vorher schon stark, ist aber durch dieses Erlebnis noch einmal ein Stück mehr verstärkt worden.

Sie sind beide seit einem Jahr in Hamburg und haben schon zwei Stadtderbys gespielt. Gehen Sie in Hamburg in die Kirche und beten für ihren jeweils zweiten Derbysieg?

Glatzel: Ich bete meistens allein zu Hause. Vor den Spielen spreche ich immer noch ein kurzes Gebet. Ich bete, dass wir alle verletzungsfrei bleiben und Gott mich gut durch das Spiel leite. Ich bitte ihn, mich zu unterstützen.

Hartel: Ich war in Hamburg noch nicht in der Kirche. Ich bete vor jedem Spiel auf dem Platz das Vaterunser und dafür, dass jeder das Spiel gesund überstehen möge. Aber ich bete nicht dafür, dass wir drei Punkte holen oder fünf Tore schießen.

Stichwort fünf Tore, da können Sie eine Geschichte erzählen, Herr Glatzel.

Glatzel: Ja, vor ein paar Monaten habe ich mal auf dem Instagram-Kanal von Real Madrid ein Video gesehen von Cristiano Ronaldo, wie er 2015 gegen Espanyol Barcelona fünf Tore geschossen hat. Ich habe mir alle Tore angeguckt und gedacht, wie geil das wäre, auch mal fünf Tore in einem Spiel zu machen. An dem Tag habe ich noch zu Gott gebetet, dass ich das auch mal schaffen möchte. Zwei Tage später habe ich beim Spiel in Darmstadt vier Tore gemacht. Das war verrückt.

Aber ein Tor zu wenig.

Glatzel: Ich wurde nicht ganz erhört. Es hat nur fast geklappt (lacht).

Sind Sie auch abergläubisch?

Hartel: Da gibt es tatsächlich jede Menge. Zum Beispiel ziehe ich mir immer, vor dem Training oder vor dem Spiel, zuerst den rechten Stutzen an und gehe mit dem rechten Fuß in die Hose. Beim Tapen fange ich dagegen mit dem linken Arm an. Auf das Spielfeld springe ich dann wieder mit dem rechten Fuß. Eigentlich widerspricht ja der Aberglaube dem Glauben. Ich unterscheide da schon. Diese Rituale habe ich mir so angewöhnt, und ich fühle mich dabei wohl. Ich glaube aber nicht, dass ich deshalb wirklich besser spiele.

Glatzel: Ich bin nicht abergläubisch, aber auch ich habe meinen festen Ablauf. Ich bete kurz vor dem Spiel für ein gutes Spiel, für einen Sieg, für ein Tor und für unsere Gesundheit. Dieses Ritual beruhigt mich.

Haben Sie in der Mannschaft ähnliche Rituale, um den Glauben an die Gemeinschaft zu stärken?

Hartel: Ja, wir bilden auch schon vor einem Spiel in der Kabine einen Kreis und sprechen dort bestimmte Dinge an, um uns den nötigen Push zu geben. Zudem gehen wir seit Beginn dieser Saison noch einmal zu den Fans, um sie mit ins Spiel zu nehmen. Seit Kurzem versammeln wir uns auch noch einmal direkt vor der zweiten Halbzeit im Kreis, um uns einzuschwören.

Wie groß ist Ihr Glaube an die sportliche Trendwende mit St. Pauli?

Hartel: Wir glauben nicht nur, sondern wissen, dass wir die Qualität haben. Natürlich würden wir gern weiter oben stehen. Mit dem Derby kann auch etwas entstehen zusammen mit den Fans. Im besten Fall schaffen wir da den Turnaround.

Der HSV hat im April den Turnaround geschafft. Sie haben sich mit der ganzen Mannschaft nach der Niederlage in Kiel eingeschworen. Man hat das Gefühl, der Kabinenschwur wirkt noch immer. Was genau haben Sie gemacht?

Glatzel: Wir saßen alle in der Kabine und haben lange diskutiert. Wir haben uns gesagt, dass wir noch einmal alles geben, egal was passiert, egal was die anderen sagen. Wir ziehen unser Ding durch. Wir gehen unseren Weg gemeinsam weiter. So haben wir uns eingeschworen. Es war richtig cool, weil alle das gleiche gefühlt haben. Daraus haben wir eine Mentalität entwickelt. Wir gehen bis heute anders mit Rückschlägen um.

Welche Rolle spielt dabei Ihr Trainer Tim Walter?

Glatzel: Er lebt den Glauben an die Mannschaft täglich vor. Er hat einfach so eine große Überzeugung in sich selbst, in uns und in unsere Spielidee. Er lässt sich nicht verbiegen. Das färbt auf uns Spieler ab. Wenn man dann Höhen und Tiefen gemeinsam durchlebt, schweißt das noch mehr zusammen. Es ist wichtig, dass er da ist und wir unseren Weg so weitergehen.

Wie vermittelt Timo Schultz seinen Glauben an die Mannschaft?

Hartel: Schulle ist von seiner Art ein sehr positiver Mensch und überträgt diese Positivität auch sehr gut auf die Mannschaft. Er findet immer die richtigen Worte und berücksichtigt dabei auch, ob wir direkt vor einem Spiel sind oder in der Vorbereitung im Laufe der Woche.

Nach dem Siegtor von Bakery Jatta im letzten Stadtderby haben Sie beim Jubel mit ihm wieder zusammen mit den Armen Richtung Himmel gezeigt. Was hat es damit auf sich?

Glatzel: Wir haben uns vor einem Jahr gesagt, dass wir immer so jubeln und uns bei Gott bedanken wollen, wenn er mir ein Tor auflegt oder ich ihm. Manchmal machen wir es aber auch, wenn er ohne meine Vorlage trifft, so wie beim letzten Derby.

Robert Glatzel ist einer der wenigen tattofreien Fußballer. Welche Bedeutung haben Ihre Tattoos, Herr Hartel?

Hartel: Ich habe drei Kreuz-Tattoos, das Auge Gottes, einen Schutzengel und auf der Brust einen Rosenkranz, den ich getragen habe, als ich jünger war. Dazu der Spruch „Gott gibt, Gott nimmt“. Der passt in die Realität und beschreibt, dass Gott einem manchmal etwas nimmt, was einem schwerfällt, aber auch wieder etwas Neues gibt, um sich daran festzuhalten.

Das passt zu Ihrem Motto „grind and pray“, das Sie in dem Buch erwähnen.

Glatzel: Das ist ein Satz, der auch in meinem Profilbild bei Whatsapp steht. Er kommt aus einem amerikanischen Rap-Song von August Alsina und beschreibt meinen Weg bis heute: hart arbeiten und dazu beten.

Sie hatten vor neun Jahren ihren Karriere-Tiefpunkt, als Sie beim SV Heimstetten in der Bezirksligamannschaft spielen sollten. Wer hat in dieser Zeit noch an Sie geglaubt?

Glatzel: Das waren Momente, in denen ich an mir gezweifelt habe. Gefühlt hatte mich jeder abgeschrieben. In der Phase war mein Vater der Einzige, der an mich geglaubt hat. Das war unfassbar. Er hat bei mehreren Vereinen angerufen, um für mich ein Probetraining zu organisieren. Er hat in dem Moment mehr an mich geglaubt als ich selbst.

Auffällig ist, dass Sie beide nahezu nie verletzt sind und jede Trainingseinheit mitmachen. Marcel Hartel ist der laufstärkste Spieler der Liga. Woher ziehen Sie Ihre Kraft?

Hartel: Der Spaß an dem, was wir machen, gibt mir Tag für Tag Kraft. Dazu kommt die Dankbarkeit, dass ich es erleben darf, Profifußballer zu sein und Woche für Woche in solchen Stadien zu spielen.

Glatzel: Ich gehe früh schlafen, trinke viel Wasser und ernähre mich gesund. Dazu kommen gute Gene und natürlich auch Glück. Aber auch in der Bibel steht: Der Glaube an sich selbst bringt nichts, wenn man nichts dafür tut.

Gibt es einen Fußball-Gott – neben Zlatan Ibrahimovic und Alexander Meier?

Hartel: (lacht) Mein Vorbild war immer Thiago wegen seiner Spielweise. Aber ein Fußball-Gott? Das ist nur so ein Begriff.

Glatzel: Ich glaube nur an einen Gott, aber ich glaube auch an die Gesetze des Fußballs. In unserem Sport passieren Dinge, die nur im Fußball passieren.

Glauben Sie denn an den Derbysieg?

Glatzel: Ja, auf jeden Fall.

Hartel: Ich glaube daran, dass wir mit der Art und Weise, wie wir Fußball spielen, mit dem Willen und mit den Fans zusammen wieder in die Erfolgsspur kommen.