Hamburg. Vor vier Jahren hat das Abendblatt den damaligen 19-Jährigen beim „Projekt Profi“ begleitet. Profifußballer bleibt für sein Traumjob.
Die ganz große Bühne ist direkt vor ihm. Stephan Ambrosius guckt sich die Stage auf dem Rasen des Volksparkstadions, wo die Red Hot Chili Peppers in genau einer Woche auftreten, ganz genau an. „Da geht es bestimmt ganz schön ab“, sagt der Fußballer – und setzt sich auf einen Gabelstapler am Rand des Spielfelds.
Fast auf den Tag vier Jahre ist es her, dass sich Ambrosius an genau der gleichen Stelle schon einmal mit dem Abendblatt getroffen hatte. Damals saß der bullige Abwehrmann allerdings nicht auf einen Gabelstapler, sondern auf der momentan abmontierten HSV-Auswechselbank. Und die große Bühne, die Ambrosius schon damals schwer beeindruckte, war nicht die Stage für die Red Hot Chili Peppers, sondern das frisch gemähte Spielfeld direkt vor ihm. „Ich will zum gestandenen Profi werden“, sagte der damals 19-Jährige. Oder mit anderen Worten: Er wollte, dass es auf der großen Bühne Profifußball auch für ihn so richtig abgeht.
HSV News: Ambrosius bleibt trotz Rückschlägen am Ball
Ein Jahr lang hatte das Abendblatt den damaligen Jungspund in seinem ersten echten Profijahr 2018/19 auf Schritt und Tritt begleitet. „Projekt Profi“ wurde das Experiment genannt. Ambrosius gewährte ungewöhnliche Einblicke, ließ sich zu Hause, im Auto, beim Training, auf seinem ersten Fußballplatz, mit seinem Bruder, seiner Mutter, beim Fifa-Spielen und beim Fußballgucken filmen. Das Abendblatt war dabei, als sich Ambrosius das Kreuzband riss und besuchte ihn wenige Tage später im UKE. Das einjährige „Projekt Profi“ zeigte eindrucksvoll, durch welche Höhen und Tiefen man als Talent gehen muss, um sich im Haifischbecken Profifußball durchzusetzen.
Vier Jahre später sitzt der Fußballer auf dem Gabelstapler und sagt: „Mein erstes großes Ziel habe ich erreicht. Ich bin Profifußballer. Selbst bei den Verletzungen, die ich erlitten habe, kann ich im Nachhinein sagen: Es gibt Schlimmeres im Leben.“ Ambrosius lächelt. Er ist höflich, aber natürlich auch älter, reifer und erwachsener als vor vier Jahren. „Trotz aller Tiefen: Für mich bleibt der Beruf des Profifußballers ein Traumjob.“
Ex-HSV-Trainer Titz förderte Ambrosius
Dieser Traumjob fing für den gebürtigen Hamburger am 11. Mai 2018 an. Damals unterschrieb er seinen ersten Profivertrag beim HSV. Wenige Tage zuvor hatte er beim Auswärtsspiel in Stuttgart sein Debüt für die HSV-Profis gefeiert. Der damalige Trainer Christian Titz hatte etwas Besonderes in dem Zweikämpfer gesehen und ihm kurz vor dem HSV-Abstieg die große Bühne Bundesliga ermöglicht. Diese Bühne ist und bleibt das Ziel von Ambrosius, der mittlerweile zu den dienstältesten Hamburgern gehört. Doch Profifußball ist nicht nur Ponyhof. Das erzählt Ambrosius auch direkt nach dem Gespräch mit dem Abendblatt ein paar Kids-Club-Kindern, die ihn auf einer Kinder-Pressekonferenz befragen dürfen.
Wie er Profi geworden sei, fragt ein Kind. Man müsse immer an sich glauben, antwortet Ambrosius. Immer an sich arbeiten. Nie zufrieden sein. Nie aufgeben. Auch nicht, wenn man verletzt ist. Wieder verletzt ist. Oder immer noch verletzt ist. Was denn seine schlimmste Verletzung gewesen sei, fragt ein anderes Kind. Die Antwort ist einfach. Kreuzbandriss Nummer eins und Kreuzbandriss Nummer zwei. Beide Male war es das rechte Knie. Viel schlimmere Verletzungen gibt es für einen Fußballer nicht.
Ambrosius: Kreuzbandriss auf beiden Seiten
Nach seinem ersten Kreuzbandriss im Dezember 2018 schaute das Abendblatt kurz nach Ambrosius’ Operation im UKE vorbei. Der Wahl-Luruper sprach über den Moment, als es im Spiel der U 23 des HSV gegen Holstein Kiel II passierte. „Ich habe den Ball erst weggeschlagen, dann war da plötzlich der Gegenspieler“, sagte Ambrosius. Sein Knie und der Rücken vom Gegenspieler seien irgendwie aneinandergeraten. Dann spürte er einen plötzlichen Schmerz. Später kam dann der Anruf vom Doc: „Kreuzbandriss.“ Ambrosius war geschockt, dachte über die OP, die Reha und sogar das Karriereende nach. Dann entschied er sich dafür, wofür er sich eigentlich immer entscheidet: zu kämpfen.
Der Kampf sollte sich lohnen. Ambrosius kam stärker denn je zurück, kämpfte sich in den Kader, in die Startelf und wurde zum Überflieger der Saison 2020/21. Eines der Kinder fragt nach dem schönsten Moment seiner Karriere. Ambrosius überlegt – und antwortet: „Der 18. September 2020.“ HSV-Heimspiel gegen Fortuna Düsseldorf. Erster Spieltag der neuen Saison. Das erste Mal, dass er in der Startelf stand. Der erste Sieg der Saison. 2:1. Was für ein Gefühl.
Ambrosius kämpfte sich zurück auf Feld
28 Spiele in Folge war Ambrosius im Kader, 27 Partien durfte er von Beginn an spielen. Andere Clubs klopften an, der Marktwert stieg, doch der HSV wollte ihn auf keinen Fall abgeben. Ambrosius’ Vertrag wurde zu besseren Bezügen bis 2024 verlängert – dann folgte das nächste Tief. Kreuzbandriss. Diesmal passierte es beim Training. Ein Zweikampf mit Robin Meißner. Wieder erwischte es das rechte Knie. Wieder die alten Gedanken: OP, Reha, Karriereende. Und wieder die Entscheidung: Ich will kämpfen.
Ein Jahr und drei Monate ist das Drama nun bereits her. Ambrosius wird ruhig, wenn er über seine Leidenszeit befragt wird. „Ich habe vor meiner Verletzung meine Spiele gemacht, und genau da will ich gerne wieder ansetzen und bald weitermachen“, sagt er – und erinnert an Antonio Rüdiger, sein großes Vorbild. Über ihn hat Ambrosius auch schon beim ersten Gespräch am Spielfeldrand im Juli 2018 geschwärmt. „Ich mag ihn, weil er sich immer alles hart erarbeitet hat. Er hat sich trotz Kritik immer durchgesetzt“, sagte Ambrosius damals – als er noch nicht ahnen konnte, dass dieser Rüdiger mal einer der begehrtesten Abwehrspieler des Planten werden könnte und vier Jahre später für Real Madrid spielen wird. Was er aber schon damals wusste: Auch Rüdiger hatte sich das Kreuzband gerissen – und sich dann wieder rangekämpft.
Ambrosius muss sich beim HSV behaupten
„Bei ihm sieht man sehr eindrucksvoll, wie weit Mentalität einen bringen kann“, sagt Ambrosius vier Jahre später – und reklamiert eine ähnliche Einstellung auch für sich selbst. „Ich würde über mich selbst sagen, dass ich auch eine sehr gute Mentalität habe. Ich gebe nie auf, glaube immer an mich, bleibe positiv, will immer vorangehen. Zudem will ich mich jeden Tag verbessern. Ich glaube, das hat mich unter anderem dahin gebracht, wo ich heute bin.“
Doch wo genau ist Ambrosius vier Jahre später? Nach den Höhen und den zahlreichen Tiefen ist nur eines vor der kommenden Saison klar: Der 23-Jährige, der auch vom KSC beobachtet wurde, wird wieder einmal kämpfen müssen. In der Innenverteidigung scheinen Kapitän Sebastian Schonlau und Toptalent Mario Vuskovic gesetzt zu sein. Auch Jonas David, der fußballerisch etwas versierter wirkt, scheint vorne zu liegen. „Ich mache mir da keinen Kopf, will einfach Fußball spielen. Den Rest habe ich ja nicht in der Hand“, sagt der Abwehrmann, der auch aus der erneut schwierigen Situation eher das Positive herauszieht.
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„Ich lerne unheimlich viel im Training. Der Fußball von Tim Walter ist ambitioniert und mutig. Er bringt mich als Spieler auch weiter. Fußballerisch habe ich mich unter ihm enorm entwickelt. Es bringt Spaß, wenn man merkt, dass die eigene Lernkurve nach oben geht.“ Dass Walter eher spielerische Innenverteidiger bevorzugen würde, sieht Ambrosius anders: „Bei Tim Walter ist eine der entscheidenden Fragen: Wie groß ist dein Mut? Man muss im Kopf völlig klar sein.“
Ambrosius’ Mut ist riesig, die Erschöpfung aber auch. „Ich habe gemerkt, dass es das erste richtige Trainingslager nach meiner schweren Verletzung ist. Es war brutal anstrengend, hat aber gleichzeitig richtig Spaß gemacht“, sagt der Fußballer.
Sein Plan für die trainingsfreien Montag und Dienstag klingt unspektakulärer als seine bisherige Achterbahn-Karriere. „Ich will mich nur ein bisschen entspannen, will mit meinem Bruder spazieren gehen und vielleicht ein Eis essen.“ Als einer der Kids-Club-Reporter davon hört, will dieser es ganz genau wissen. Was denn seine Lieblingssorte sei? „Vanille“, sagt Ambrosius – und lacht. Denn selbst, wenn man auf der ganz großen Bühne steht, wird man sich ja mal etwas gönnen dürfen.