Hamburg/Berlin. Hinter den Kulissen rumort es seit Wochen, doch Mannschaft und Trainerteam in Hamburg haben Hertha BSC etwas voraus.

Der Tag vor dem Tag, nach dem nichts mehr so sein soll wie zuvor, begann in der Hauptstadt früh. Um 9.30 Uhr setzten sich Herthas Trainer Felix Magath und Geschäftsführer Fredi Bobic in den Medienraum der Geschäftsstelle und lauschten 17 Minuten und 28 Sekunden lang den Fragen der Berliner Journalisten zum Relegationsrückspiel an diesem Montag (20.30 Uhr/Sky und Sat.1 und im Liveticker bei abendblatt.de) in Hamburg gegen den HSV. Welche Rolle spielt jetzt der Kopf? Was macht noch Hoffnung? Was sind die fußballerischen Schlüsse aus der 0:1-Niederlage im Hinspiel?

Das Aschaffenburger Kindl Magath ließ die beiden Flaschen Berliner Kindl vor ihm unberührt stehen und trank – natürlich – einen Tee. Die Leistung seiner Mannschaft, die Beobachter am Donnerstag als desolat bewertet hatten, wäre zwar „nicht außergewöhnlich gut gewesen“, sagte Magath. Aber die Chancen würden nun gut stehen, dass seine Mannschaft im Rückspiel endlich mal Glück haben würde. Wieso? Weshalb? Warum? „Wir können nur noch gewinnen. Der Druck liegt beim HSV“, antwortete Magath. „Nur der HSV kann etwas verlieren.“

HSV in der Relegation: "Druck ist ein Privileg"

Zwei Stunden später saß derjenige, der nur noch etwas verlieren kann, lächelnd im Presseraum der HSV-Geschäftsstelle. „Druck ist ein Privileg“, antwortete Tim Walter seinem Berliner Kollegen im Pressekonferenz-Fernduell und freute sich. Über seine Antwort. Auf das Spiel. Auf und über alles. „Wir wollen die Fans, die Stadt und uns selbst glücklich machen“, sagte der Coach, der 17 Minuten und 40 Sekunden von den Hamburger Medienvertretern befragt wurde.

Seit Tagen sind es meist die gleichen Antworten, oft aber auch die gleichen Fragen. „Wir wollen bei uns bleiben“, ist so ein Floskelsatz, den Walter im Copy-and-Paste-Modus so oft ausspricht, als wenn er wie Zähneputzen zu seiner täglichen Routine gehören würde. Doch es sind die Kleinigkeiten, das Zwischen-den-Zeilen und eher das Wie als das Was, die vor dem letzten Spiel dieser Saison etwas über die Befindlichkeiten der Protagonisten verraten.

HSV: „Wir haben ja schon seit Wochen Endspiele“

Magath wirkte in seiner Fragerunde ähnlich angespannt und verkrampft wie seine Mannschaft am Donnerstag auf dem Platz, während Walter mit Pressesprecher Philipp Langer zu Scherzen aufgelegt war, über seine Familie berichtete („Natürlich sind alle im Stadion“) und ehrlich den Anschein machte, als würde er sich fern von der überdimensionalen Bedeutung dieser Partie tatsächlich nur auf das Spiel freuen. Diese Leichtigkeit ist vielleicht einer der entscheidenden HSV-Trümpfe. „Wir haben ja schon seit Wochen Endspiele“, erklärte Walter, der mit seiner Mannschaft bereits bei sechs Siegen in Folge steht – und nun Nummer sieben anpeilt. „Teams können große Dinge erreichen“, sagte er. „Und wir sind ein Team.“

Dieser Teamgedanke war es auch, der von Walter und Magath am Sonntag ganz unterschiedlich bewertet wurde. Magath erklärte, dass all die angeschlagenen und verletzten Spieler natürlich nicht nach Hamburg mitreisen würden, „weil wir uns auf uns konzentrieren wollen“. Walter berichtete dagegen von seinem Gespräch mit dem verletzten Anssi Suhonen, der nach seinem Wadenbeinbruch am Sonnabend seine Mannschaft beim Training besuchte – „und der uns allen so viel Kraft und Energie gibt“. Auch Langzeitverletzte wie Tim Leibold oder Elijah Krahn waren bereits beim Saisonfinale in Rostock (erst auf der Tribüne und später in der Kabine) dabei, genauso wie dann auch am Donnerstag in Berlin. „Alle unsere Jungs sprühen vor Energie, vor Mut, vor Überzeugung.“

Also hamburgische Jubel-, Trubel-, Heiterkeitsstimmung vor dem letzten großen Tusch? Ganz so einfach ist es dann auch wiederum nicht. „Es ist schön, dass wir was zum Leben erweckt haben“, sagte Walter am Sonntag – und ließ ein „Aber“ folgen. „Es war aber auch nicht einfach. Ich kann mich noch an ganz andere Zeiten erinnern.“

HSV: Walter-Weg galt vor einigen Wochen noch als gescheitert

Diese ganz anderen Zeiten sind nur ein paar Wochen her – was in Hamburg der eine oder andere vergessen zu haben scheint. So war der HSV noch vor sechs Wochen abgeschrieben – extern von den Fans und Medien, aber auch intern. Der Walter-Weg, der in diesen Tagen so gelobt wird, galt als gescheitert, der große Umbruch wurde vorbereitet. Sportvorstand Jonas Boldt, der ebenso in der Kritik stand, und Walter selbst spürten das Misstrauen aus dem eigenen Verein – und verbündeten sich mit der Mannschaft zu einem verschworenen Haufen.

Das Bizarre: Sobald der letzte Schlusspfiff dieser Saison an diesem Montagabend ertönt, ist die Zukunft der Protagonisten dieser Spielzeit trotz laufender Verträge völlig offen. Die ursprünglich für Dienstag oder Mittwoch geplante Aufsichtsratssitzung soll zwar noch einmal verschoben werden – doch wie es vor allem mit Sportvorstand Boldt (und seinen Vertrauten) nach dieser Saison weitergehen wird, bleibt vorerst ungeklärt. Öffentlich äußern wollten sich Boldt, Vorstandskollege Thomas Wüs­tefeld und Aufsichtsratschef Marcell Jansen vor dem Relegationsfinale nicht.

Alle HSV-Spieler für Spiel gegen Hertha BSC fit

Vereinspolitik interessiert Walter ohnehin nicht – und am Vortag des möglicherweise größten HSV-Feiertages seit vielen Jahren schon mal gar nicht. Der Fußballlehrer sorgt sich vielmehr um die Muskulatur Bakery Jattas oder um Jonas Mefferts Zipperlein. Während Meffert am Sonntag mittrainierte, blieb Jatta in der Kabine. Trotzdem hatte Walter gute Nachrichten: „Alle sind fit!“

Auch interessant

Auch interessant

Anders als vor anderen Endspielen ist an diesem Montagabend mit keinen Überraschungen zu rechnen. Hier Walters variables 4-3-3-System, dort Magaths traditionelles 4-4-2 gegen den Ball. Am späten Sonntag ließ sich der frühere HSV-Star sogar anstandslos in die Karten gucken, als er vom Mannschaftshotel Treudelberg zum Abschlusstraining in den Volkspark anreiste. Seine Botschaft vor dem Spiel der Spiele: Wir sind bereit und haben nichts zu verbergen.

Relegation: HSV bestreitet letztes Training öffentlich

Das haben auch Walter und Co. nicht. Ihr Abschlusstraining neben dem Volksparkstadion war am Sonntagmittag sogar öffentlich. Spieler und Trainer wurden mit viel Applaus begrüßt – und eine knappe Stunde später wieder mit ähnlich wohlmeinendem Beifall verabschiedet. „Der Weg bis hierhin war unser Ziel“, sagte Walter – und ließ ein letztes Mal ein „Aber“ folgen: „Aber wir sind noch nicht am Ende.“ Geht sein Plan auf, dann ist der morgige Dienstag tatsächlich der erste Tag, an dem er in Hamburg aufwacht und an dem nichts mehr ist, wie es in den vier Jahren zuvor war.

Hamburger SV: Heuer Fernandes – Heyer, Vuskovic, Schonlau, Muheim – Meffert – Reis, Kittel – Jatta, Glatzel, Vagnoman.

Hertha BSC: Christensen – Pekarik, Boyata, Kempf, Plattenhardt – Ascacíbar, Tousart – Serdar, Boateng, Mittelstädt – Belfodil.