Hamburg. Missmanagement, verbrannte Millionen, streitbarer Investor: Die größten Clubs der größten Städte eint ein ähnliches Schicksal.
Wer nacheinander die beiden streitbarsten Fußball-Investoren Deutschlands besuchen möchte, der braucht nicht einmal eine halbe Stunde. 31,6 Kilometer sind es, die man an der Westseite des Zürichsees herumfahren muss. Vorbei an Kilchberg, Thalwil und Oberrieden. Bei gutem Wetter kann man sogar von einem Büro in der Ferne das Büro des anderen erahnen. Hier, in Zürich, im elften Stock des Hochhauses „Zur Palme“, residiert Berlins New-Economy-Geldgeber Lars Windhorst. Die Einrichtung: gediegen. Der Ausblick: genial. Dort, im idyllischen Schindellegi, zwei Supermärkte, ein Gasthof, eine weiße Kirche, ist HSV-Milliardär Klaus-Michael Kühne zu Hause.
Wenn am Donnerstag (20.30 Uhr/Sky und Sat.1) Windhorsts Hertha Kühnes HSV zum Relegationshinspiel empfängt, könnten sich die Unternehmer auch zum TV-Abend auf halbem Weg treffen. Ins Stadion gehen beide so gut wie nie. Aber kaum ein Interview, in dem Kühne nicht davon berichtet, dass er bei Spielen seines HSV immer und überall eine Sky-Karte dabeihabe. Und Windhorst verfolgt nach eigenen Angaben die Spiele seiner Hertha auch mal am iPhone. Vielleicht sollten sich die beiden auf dem Berggipfel von Bürglen treffen, um von dort in den Fußball-Abgrund zu schauen. Denn ganz oben waren Windhorst und Kühne mit ihren beiden Lieblingsclubs schon lange nicht mehr.
HSV: Wie kam es zum schicksalhaften Duell mit Hertha?
Wer verstehen will, warum sich am Donnerstag und am Montag die jeweils größten Fußballclubs der beiden größten Städte Deutschlands in den Schicksalsspielen um Auf- oder Abstieg gegenüberstehen, der muss auch die Geschichte von Klaus-Michael Kühne (84) beim HSV und von Lars Windhorst (45) bei Hertha kennen. Es ist eine Geschichte von verpulverten Millionen, haarsträubendem Missmanagement, persönlichen Beleidigungen und vom großen Traum Europas, der in der Zweiten Liga endete (HSV) oder enden könnte (Hertha BSC).
Kühne war bereits ein paar Jahre vor Windhorst am Start. Im Sommer 2010, als der HSV zum zweiten Mal in Folge ein europäisches Halbfinale bestritten hatte, stieg der Uwe-Seeler-Fan im Rahmen des Projektes „Anstoß3“ bei seinem Herzensclub seit Kindestagen ein. Der HSV war ein europäischer Spitzenclub und fast ganz oben. Mit den Kühne-Millionen sollte der letzte Schritt auf den Gipfel gelingen – doch es folgte ein mehr als zehnjähriger Absturz. Rund 100 Millionen Euro hat der gebürtige Hamburger seitdem in den Club mit der Raute investiert, hat öffentlich immer wieder „Drittliga-Manager“ oder intern unfähige Trainer kritisiert und mindestens genauso oft damit gedroht, sich komplett vom HSV zurückzuziehen, um dann aber doch wieder für ein paar Milliönchen die Namensrechte am Volksparkstadion zu kaufen.
HSV: Kühnes schlechteste Investition
Sein Engagement beim HSV bezeichnete Kühne im Nachhinein als „schlechteste Investitionsentscheidung meines Lebens“ und sagte noch vor Kurzem verbittert zum Abendblatt: „Beim HSV wird herumgewurstelt wie eh und je, im vorigen Jahr setzte man auf ältere Spieler, die aus unterschiedlichen Gründen nach einem Jahr wieder abgewandert sind, jetzt will man der Jugend den Vorrang geben und verpflichtet zusammengewürfelte unbeschriebene Blätter.“ Kühne ist ein enttäuschter Fan. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.
Lars Windhorst ist kein Fan. Er ist Investor, Selfmade-Millionär, Start-up-Gründer, Glücksspieler. Er will vor allem eines: Geld verdienen. Als Teenager schmiss er die Schule, um Unternehmer zu werden. Als Helmut Kohl noch Bundeskanzler war, wurde er auf diesen umtriebigen Jungunternehmer aufmerksam und nahm ihn auf Auslandsreisen in der Kanzlermaschine nach Asien mit. 2004 folgte die Dotcom-Krise und der Absturz. Windhorst musste Privatinsolvenz anmelden, schüttelte sich und machte ein paar Jahre später damit weiter, womit er zuvor aufgehört hatte: mit großen Mengen Geld zu jonglieren.
Die Parallelen zwischen HSV und Hertha
Vom Sommer 2019 an bei Hertha BSC. Auf der Pressekonferenz, auf der Windhorst vorgestellt wurde, sagte er: „Es gibt keinen Grund, warum Hertha in den nächsten Jahren nicht eine führende Position in Europa übernehmen sollte.“ Beim HSV kommt einem das bekannt vor. „Aufstellen für Europa“ hieß das Motto der von Kühne goutierten Gruppe HSVPlus, die durch die Ausgliederung 2014 und viele Millionen den großen Wurf landen wollte.
Aufsichtsratschef wurde Kühnes linke Hand Karl Gernandt. Doch das Ende der Geschichte ist bekannt: Nachdem der HSV 2014, 2015 und 2017 mit mehr Glück als Verstand dem Abstieg entkam, hoffte ganz Fußball-Deutschland, dass so viel Inkompetenz bestraft wird. Und sie wurde bestraft: 2018 stieg der HSV ab – und schaffte seitdem nicht mehr die Jahr für Jahr erhoffte Rückkehr in die Bundesliga.
Hertha spielt „Trainer wechsel dich“
Nun haben sich die Vorzeichen geändert. Nun sind es die Berliner, denen ganz Fußball-Deutschland die Quittung für die unverdienten Klassenerhalte der vergangenen Jahre, die clubinternen Intrigen und die verpulverten Millionen wünscht. 375 Millionen Euro hat Windhorsts Tennor Group seit 2019 in den „Big City Club“ gesteckt, dessen Team seit dem Einstieg mehr Marktwert als jede andere Bundesliga-Elf verloren hat. 120 Millionen wurden für Schuldentilgung und Eigenkapitalstärkung genutzt, ein Großteil der restlichen Millionen für überteuerte Transfers, überteuerte Gehälter und überteuerte Beraterhonorare.
Mit Ante Covic, Jürgen Klinsmann, Alexander Nouri, Bruno Labbadia, Pal Dardai, Tayfun Korkut und nun Felix Magath hat Hertha sieben Trainer verschlissen – im Sommer folgt Coach Nummer acht. Das ist – vorsichtig formuliert – eine HSV-Quote aus den dunkelsten Zeiten. Auch Manager Michael Preetz musste gehen, Sportdirektor Arne Friedrich suchte freiwillig das Weite. Doch damit nicht genug: Auf der Funktionärsebene haben die Berliner längst den einstigen Chaosclub aus Hamburg überholt.
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Kürzlich warf Windhorst im Wirtschaftsmagazin „Capital“ Präsident Werner Gegenbauer und dessen Getreuen „Machterhalt und Klüngelei“ vor. „Ich habe darauf gesetzt, dass bei Hertha rational und in die Zukunft denkende Leute das Sagen haben, die auch nachhaltig den Erfolg wollen“, sagte Windhorst in bester Kühne-Manier – doch das sei eben nicht der Fall. Ähnlich äußerte er sich im ZDF und bei Bild-TV – ausgerechnet nach dem 3:0 gegen 1899 Hoffenheim, dem ersten Sieg in diesem Jahr.
Am 29. Mai will Windhorst nun sogar auf der Mitgliederversammlung vorsprechen, um seine harten Vorwürfe an Gegenbauer zu präzisieren. Das hat bislang nicht einmal Kühne in Hamburg gewagt. Ob es in Berlin zum großen Knall kommt, weiß niemand. Genauso wenig wie die Antwort auf die Frage, welcher der „Big Citys“ in der kommenden Saison in der „Small Liga“ spielen muss.
Mehr als genug Gesprächsstoff also für Windhorst und Kühne. Der Berg ruft.