Hamburg. Christian Michalkiewicz ist sicherlich einer der verrücktesten HSV-Fans. Seit der ersten Bundesligasaison sammelt er getragene Trikots.
Wenn man es genau nimmt, dann hatte Christian Michalkiewicz’ ungewöhnliche HSV-Liebe ihren Ursprung auch in Brasilien. In Belo Horizonte. Dort, in der Hauptstadt des Bundesstaates Minas Gerais, schrieb die deutsche Nationalmannschaft 2014 Fußballgeschichte, als sie im Halbfinale bei der Weltmeisterschaft Gastgeber Brasilien in einem epochalen Halbfinale im Estádio Governador Magalhães Pinto regelrecht überrollte.
Das „Sete a Um“, das 7:1, war ein Ergebnis für die Ewigkeit – und Fußballfan Michalkiewicz wollte davon eine Erinnerung für die Ewigkeit. „Besonders von diesen schwarz-roten Trikots der Nationalmannschaft war ich begeistert. So eines wollte ich mir unbedingt kaufen“, erinnert sich der Bankkaufmann aus Frankfurt, der sich wenige Tage später tatsächlich das Nationalmannschaftsjersey im Internet sicherte.
HSV: Langjährige Liebe zum Verein
Es war Michalkiewicz’ erstes Trikot überhaupt – und es sollte nicht sein letztes sein. „Irgendwie war ich angefixt“, sagt der gebürtige Elmshorner – und lässt seinen Blick über die Außenalster schweifen. Michalkiewicz sitzt im Panorama-Café Horizon im neunten Stock des Le Méridien, frühstückt und erzählt wenige Tage vor der Relegation des HSV gegen Hertha eine der ungewöhnlichsten Fan-Geschichten überhaupt. In Wahrheit habe seine Liebe zum HSV natürlich nicht erst in Brasilien begonnen, sondern schon in den 70er- und 80er-Jahren in Elmshorn im Speckgürtel von Hamburg.
Manfred Kaltz, Caspar Memering, Rudi Kargus, Georg Volkert, Peter Nogly und Klaus Zaczyk hießen seine Jugendhelden von damals, die er aber indirekt nach Deutschlands 7:1-Triumph neu entdeckte. „Als ich das rot-schwarze Nationalmannschaftstrikot hatte, fing ich an, mich bei Ebay auch mit Trikots von meinem HSV zu beschäftigen.“ Nicht nur das. Michalkiewicz entdeckte schon bald, dass es über das Internet die Möglichkeit gab, sogar original getragene Trikots seiner HSV-Idole zu finden, die „match worn“-Jerseys heißen.
Acht Jahre sammelt der HSV-Fan Trikots
Das erste Original eines HSV-Spielers, das sich Michalkiewicz über Ebay bestellte, war ein von Robert Tesche getragenes Heimtrikot aus der Saison 2013/14. Weiß mit blauen Steifen an den Ärmeln und rotem Aufdruck. Vorne der Schriftzug des Sponsors: Fly Emirates. Hinten die Rückennummer 37. Und
darüber groß natürlich der Name: T e s c h e. 70 Euro hat diese erste Textilperle gekostet.
Es war der Start einer Sammlung, die in der Fußballwelt einmalig sein dürfte. „Mit dem Trikot hat mich die Sammelleidenschaft gepackt“, sagt Michalkiewicz, der acht Jahre später mehr als 250 original getragene HSV-Trikots sein Eigen nennen darf.
Original getragene Trikots aus allen Spielzeiten
Mehr noch: Er hat es geschafft, nahezu aus allen Spielzeiten seit dem Start der Bundesliga 1963 mindestens ein original getragenes Trikot in jeweils allen möglichen Farben zu ergattern. Ein echter Uwe-Seeler (mit der Neun) ist dabei, Dietmar Beiersdorfers blütenweißes BP-Hemdchen aus dem Pokalfinale 1987 oder ein Auswärtstrikot mit der Nummer 23 von Rafael van der Vaart aus der Saison 2006/07, als der Holländer mit dem HSV in Blau (die Betonung liegt auf dem Wort „in“) sogar in der Champions League spielte. Ein ganz besonderes Stück: Felix Magaths blaues BP-Trikot aus der Saison 1980/81. Auf dem Rücken: natürlich die Nummer 10.
Es gibt nichts, was Michalkiewicz nicht hat. Hinter Sondereditionen, die nur in einem Spiel getragen wurden, war der Anhänger besonders her. Ein blaues „Dubai“-Trikot, das der HSV in einem Testspiel gegen Arsenal London in der Saison 2006/2007 getragen hat. Das weiße Sondertrikot „Mein Freund ist Ausländer“ aus der Saison 1992/93, mit dem der HSV nach den ausländerfeindlichen Ausschreitungen in Rostock-Lichtenhagen am letzten Spieltag der Hinrunde gegen Eintracht Frankfurt auflief. Oder die karierten Heim- und Auswärtstrikots ohne Hauptsponsor der Saison 1994/95, weil Geldgeber „TV Spielfilm“ nach eher schwachen Leistungen dem Club in den letzten drei Spielen untersagte, den Schriftzug auf der Brust für Trikotwerbung zu tragen.
Wertvolle Trikot-Sammlung
Eines seiner Lieblingstextilien: Heiko Westermanns Heim- und Auswärtstrikots von einer Werbereise nach China 2014. Der Clou: Die Namen der Spieler wurden mit chinesischen Schriftzeichen auf die Jerseys geflockt.
Was seine Sammlung wert sei? Ehefrau Sandra verdreht die Augen und fragt, ob sie besser kurz vom Tisch aufstehen sollte. Doch Michalkiewicz zuckt nur mit den Schultern. Nicht auf die Frage seiner Sandra, sondern auf die Frage nach dem Wert der Sammlung. Ein anderer HSV-Sammler, den er kenne, habe allein im vergangenen Jahr rund 25.000 Euro ausgegeben. Da könne ja jeder selbst ausrechnen, was seine Sammlung in den vergangenen acht Jahren ungefähr verschlungen habe. „Am Ende ist jedes einzelne Trikot genau so viel wert, wie man als Sammler dafür ausgibt“, sagt Michalkiewicz, dem die Sammlerleidenschaft in die Wiege gelegt wurde. So hatte Papa Michalkiewicz 300 Polizeimützen aus der ganzen Welt über die Jahre gesammelt.
Trikotübergabe in Rom
Ob der Senior aber auch 5000 Euro für eine einzelne Mütze ausgegeben hat, darf bezweifelt werden. Horst Hrubeschs Originaltrikot aus dem Europapokalfinale der Landesmeister 1983 war Michalkiewicz junior das allemal wert. Das habe er von keinem geringeren als von Hrubeschs damaligen Juventus-Gegenspieler Sergio Brio gekauft.
„Bei so viel Geld wollte ich auf Nummer sicher gehen“, sagt Michalkiewicz, der sich zur Geld- und Trikotübergabe mit Brio persönlich am Flughafen in Rom verabredete. Warum er Hrubeschs Hemd überhaupt verkaufen wolle, fragte Michalkiewicz den Italiener. Seine Antwort klang simpel: „Weil wir das Spiel verloren haben.“
HSV-Hemden sponsored by „Lumpi“ Spörl
Ein echter Gewinn für den Sammler war dagegen ein persönlicher Besuch bei Harald „Lumpi“ Spörl. Mit dem früheren Nationalspieler trank Michalkiewicz einen Kaffee und plauderte eine ganze Weile in dessen Haus bei Bamberg über alte HSV-Zeiten und alte HSV-Trikots. Ein paar Wochen später rief Spörl noch einmal an und berichtete von einem Koffer, den er nach ihrem Gespräch im Keller gefunden habe. Der Inhalt: jede Menge getragener HSV-Trikots. Und eines vom SSC Neapel. Gegen die hatten Spörl und der HSV 1987 das Jubiläumsspiel zum 100. Vereinsgeburtstag absolviert. Auch mit dabei: Diego Maradona. Nach der Partie wurden Trikots getauscht. Spörl tauschte mit Salvatore Bagni, dessen Leibchen heute fein säuberlich verstaut in Michalkiewicz’ Keller aufbewahrt wird.
Dort sind alle seine Schätze luftdicht verpackt und chronologisch geordnet. Auch ein signiertes Thomas-Doll-Trikot aus der Saison 1990/91. Gegen den war der heute 51-Jährige damals noch selbst angetreten. In einem Freundschaftsspiel mit der TSV Sparrieshoop. Michalkiewicz im Tor, Doll im HSV-Sturm. „Er hat dann sogar ein Kopfballtor erzielt“, erinnert sich Michalkiewicz, der später Doll in Budapest besuchte, um auch mit ihm über alte Zeiten und stinkige Trikots zu sprechen. Weitere Doll-Jerseys waren für den Wahl-Hessen allerdings nicht zu holen. „Ich habe inzwischen alle meine HSV-Trikots weggeben“, sagte Doll. „Die letzten beiden erst Ende vorletzten Jahres beim Besuch meines Vaters im Altersheim. Da gibt es jemanden, der sich seit seiner Kindheit halsabwärts nicht bewegen kann und riesiger HSV-Fan ist.“
Sammler schreibt Buch über Trikots
Doch Michalkiewicz sammelt längst nicht nur die Trikots, sondern auch die Geschichten, die dahinter stecken. Und die fügte er nun in dem Buch „Mit der Raute auf der Brust“ im Werkstatt-Verlag zusammen, das in der vergangenen Woche in den Handel ging.
319 Seiten über die abwechslungsreiche Historie der HSV-Trikots. Über die verschiedenen Ärmelaufnäher, internationale Sonderanfertigungen, die Entwicklung des Rautenaufdrucks und natürlich die Geschichte der Hauptsponsoren. Vor anderthalb Wochen präsentierte Michalkiewicz sein Werk dem Anlass entsprechend im HSV-Museum, wo seine größten Schätze noch den ganzen Sommer über zu sehen sein werden.
Kennerblick für getragene Trikots
HSV-Präsident Marcell Jansen übernahm das Vorwort zu Michalkiewicz’ Werk und schrieb so liebevoll über sein erstes HSV-Trikot wie ein Teenager über seinen ersten Kuss berichtet: „Es war die damalige Heimvariante – klassisch weiß, mit schmalen, roten Längsstreifen auf Vorder- und Rückseite“, schwärmte Jansen im Buch. „Dieses Trikot hat für mich einen hohen Stellenwert, ich halte es zu Hause eingerahmt in Ehren.“
Michalkiewicz kennt natürlich auch dieses Stück Stoff. Längst ist er ein echter Experte bei der Einordnung und Echtheitsüberprüfung von Trikots geworden. „Es gibt verschiedene Kennzeichen“, erklärt er. Nähte, Aufdrucke, Hintergrundgeschichte. Echte Kenner unterscheiden in „match worn“ (im Spiel getragen), „match prepared“ (Originaltrikot, aber nicht im Spiel zum Einsatz gekommen) und Fanshop-Trikots.
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Ein Trikot, das sogar noch Grasflecken hat, ist mehr als ein in der Waschmaschine gewaschenes Hemd wert. Bei Hrubeschs 83er-Schatz konnte Michalkiewicz sogar herausfinden, dass er das Trikot nur in der ersten Halbzeit getragen hatte. „Es war größer als das Trikot aus der zweiten Halbzeit“, weiß der Trikot-Detektiv, der in bester Drei-Fragezeichen-Manier Fotos vom damaligen Spiel mit der Lupe verglich und auswertete. „Die meisten Spieler ziehen sich in der Halbzeitpause ein frisches Leibchen an.“
Aus den früheren Bundesliga-Spielzeiten war es einfacher, an Originaltrikots zu kommen. Nach dem Abstieg entschied der Vorstand, dass aufgrund von Sparmaßnahmen Spieler nur noch fünf Trikots pro Saison verschenken oder tauschen dürfen. Jedes weitere Textil wird dem Profi seitdem mit dem nächsten Monatsgehalt in Rechnung gestellt.
Fan-Hoffnung auf das Erstliga-Trikot
Trotzdem hat Michalkiewicz auch in der laufenden Saison kräftig zugeschlagen. Der Vater einer Tochter hat die Originaltrikots von Sebastian Schonlau (weiß, aus dem Spiel vom 2:0-Sieg bei Werder Bremen), Moritz Heyer (rot, vom 2:1-Sieg in Paderborn) und von Bakery Jatta (blau-schwarz, von der 0:1-Niederlage in Hannover). In den kommenden Tagen will der Sammler aber ausnahmsweise gar keine Trikots mehr ergattern, sondern Tickets.
Denn natürlich will Michalkiewicz auch beim entscheidenden Relegationsrückspiel gegen Hertha BSC am Montag dabei sein. „Natürlich bin ich am Start, wenn der Volkspark abgerissen wird“, sagt er. Sein größter Wunsch für die kommende Saison: Sich nach vier langen Jahren endlich wieder auf die Jagd nach einem Erstliga-Trikot des HSV zu machen. Es wird mal wieder Zeit für ein bisschen Ewigkeit.