Rostock. Der HSV darf sich nach einem dramatischen Sieg bei Hansa Rostock auf die Relegation gegen Hertha BSC und Felix Magath freuen.

Als das ganze Stadion stand, musste sich Jonas Boldt erst einmal hinsetzen. Ganz allein nahm der Sportvorstand des HSV auf der längst verwaisten Auswechselbank Platz und schaute sich in Ruhe an, wie seine Mannschaft auf dem Rasen einen dramatischen 3:2-Sieg gegen Hansa Rostock und die damit verbundene Qualifikation für die Relegation gegen Hertha BSC feierte.

Auch die Rostocker Spieler ließen sich mit einer Ehrenrunde bejubeln. Nur Boldt saß sogar Minuten später noch auf seinem Platz, als alle Protagonisten in kurzen Hosen längst in der Kabine waren und schien noch nicht so richtig glauben zu können, was sich in den 90 Minuten zuvor direkt vor seinen Augen abgespielt hatte. Erst die rund 3000 mitgereisten HSV-Fans holten den 40-Jährigen zurück in die Realität, als sie ihm noch einmal lautstark verkündeten, wohin auch für ihn die nächste Reise gehen wird: „Berlin, Berlin, wir fahren nach Berlin!“

Es war bereits kurz vor 18 Uhr, als dann Boldt doch noch aufstand und nach Worten für das eben Passierte rang. „Wir geben einfach nicht auf“, lobte der Sportvorstand bei Sky – und zog dann schon einmal vor den beiden Zusatzspielen gegen die Hertha ein Zwischenfazit. „Es war eine überragende Saison, die wir gespielt haben.“

HSV ließ sich von Rostocker Fans beeindrucken

Dass sein HSV aber diese „überragende Saison“ auch mit dem fünften Sieg in Folge krönen und so die vor Wochen nicht mehr für möglich gehaltene Relegation erreichen konnte, schien im Laufe des vorangegangenen Nachmittags noch extrem fraglich. Nicht einmal eine Viertelstunde war in Rostock gespielt, als sowohl die Darmstädter Führung gegen Paderborn als auch die Bremer Führung gegen Regensburg die Runde machte – und dann auch noch Hansas Nico Neidhart das frühe 1:0 machte (13.). Schlechter hätte dieser Nachmittag für Boldt und den HSV, dem zu diesem Zeitpunkt der vierte Platz vier in Folge drohte, nicht beginnen können.

„Wir waren einfach zu hektisch“, gab Trainer Tim Walter nach der Partie zu. „Wir waren nicht geduldig genug, waren zu hippelig.“ Walters Mannschaft tat sich schwer mit der beeindruckenden Kulisse – und mit dem eigenen Spiel. Dass der HSV nach 45 Minuten „nur“ mit einem 0:1-Rückstand in die Kabine ging, war aus Hamburger Sicht noch die beste Nachricht der ersten Halbzeit. Das dürften auch die extra in zwei Bussen mitgereisten Mitarbeiter der Geschäftsstelle und das Team um das Team so gesehen haben, die gemeinsam mit den verletzten und nicht nominierten Spielern um Tim Leibold auf der Haupttribüne das Geschehen verfolgten.

Stehen Seite an Seite: HSV-Trainer Tim Walter und Sportvorstand Jonas Boldt wollen ein Team bleiben.
Stehen Seite an Seite: HSV-Trainer Tim Walter und Sportvorstand Jonas Boldt wollen ein Team bleiben. © Witters

Kaufmann sorgt für die HSV-Party

Die knapp zweistündige Reise an die Ostsee sollte sich aber gelohnt haben – auch wenn einige „Fans“ aus beiden Lagern gleich mehrfach durch Pyrodelikte für kollektives Kopfschütteln während des Spiels sorgten.

Doch was die Hamburger Daumendrücker in den zweiten 45 Minuten auf dem Rasen zu sehen bekamen, dürften sie noch lange in Erinnerung behalten. Erst Flanke Mario Vuskovic, Kopfball Robert Glatzel, 1:1 (50.). Dann Flanke Ludovit Reis, Kopfball Sebastian Schonlau, 2:1 (75.). Als auch noch der eingewechselte Mikkel Kaufmann per Traumtor zum 3:1 traf (85.), schien der Party endgültig nichts mehr im Wege zu stehen.

Doch der HSV ist eben noch immer der HSV. Und so sorgte Lukas Frödes später Anschlusstreffer – natürlich per Kopf – noch einmal für bange Minuten, ehe doch alle Dämme brachen.

HSV-Spiel in Rostock war HSV-like

„Es ist symptomatisch für unsere Saison“, gab kurz nach dem Schlusspfiff 22-Tore-Torjäger Robert Glatzel glücklich zu Protokoll. „Wir sind immer wieder hingefallen, aber immer wieder aufgestanden. Wir haben nie aufgegeben. Alle haben uns abgeschrieben, auch heute wieder.“

Genau das war es auch, was Trainer Walter hervorhob, als er kurz nach Boldt als letzter vom Rasen ging und sich noch einmal gesondert von dem mitgereisten Geschäftsstellenfeierclub bejubeln ließ. „Wir haben die totale Überzeugung. Das macht mich einfach glücklich“, sagte der Coach, der in den vergangenen vier Wochen jede Menge Diskussionen um seine eigene Zukunft in den Medien lesen durfte. „Wir können alles überwinden – und das macht richtig Spaß.“

HSV: Boldt macht Ansage pro Walter

Auch Boldt ließ nach dem langen Nachmittag in Rostock keine Zweifel mehr aufkommen, dass sich Walter unter ihm definitiv keine Sorgen machen bräuchte. „Es gibt nur einen, der für den Sport zuständig ist, und das bin ich“, sagte der Sportvorstand, der auf Trainer Walter angesprochen, antwortete: „Ich habe gute Argumente. Ich bin schon lange dabei und kann die Dinge gut einschätzen.“

Die mit 60 Punkten beste HSV-Zweiligasaison ist nun vorbei – für den HSV geht es aber jetzt erst so richtig los. Am Donnerstag (20.30 Uhr, Sky und Sat.1) folgt Relegationsspiel Nummer eins in Berlin, am Montag darauf steht Bonusspiel Nummer zwei in Hamburg auf dem Programm. Das bescheidende Ziel für Walter, Boldt und den ganzen HSV bis dahin: Geschichte schreiben.

Die Statistik:

  • Rostock: Kolke – Malone, Fröde, Roßbach – Neidhart (59. Meier), Bahn, Rhein, Rizzuto (40. Schwede) – Ingelsson (76. Omladic) – Sikan (58. Breier), Verhoek (76. Munsy). – Trainer: Härtel
  • HSV: Heuer Fernandes – Heyer, Vuskovic, Schonlau, Muheim – Meffert – Reis, Kittel (80. Kaufmann) – Jatta (89. David), Glatzel (89. Wintzheimer), Vagnoman (65. Alidou). – Trainer: Walter
  • Tore: 1:0 Nico Neidhart (13.), 1:1 Glatzel (50.), 1:2 Schonlau (75.), 1:3 Kaufmann (85.), 2:3 Fröde (90.+1)
  • Schiedsrichter: Dr. Felix Brych (München)
  • Zuschauer: 26.150
  • Gelbe Karten: Sikan (2), Verhoek (9) – Alidou (3),
  • Torschüsse: 12:18; Ecken: 4:9; Ballbesitz: 41:60 Prozent; Zweikämpfe: 135:122