Hamburg. Auch wenn sich der Aufstieg erledigt hat, steht für den HSV eine Menge auf dem Spiel. Dabei geht es auch um Glaubwürdigkeit in Interviews.

Wenn es eine gute Nachricht für den HSV nach der abermals ernüchternden Vorstellung in Kiel (0:1) gibt, dann die, dass der Club bereits zu einem frühen Zeitpunkt Planungssicherheit für die neue Saison hat. Nach nur fünf Punkten aus den vergangenen sieben Spielen hat der HSV Gewissheit über das nun schon fünfte Zweitligajahr in Folge.

Ungewiss ist dagegen, wer die Planungen für den Aufstiegsversuch zur neuen Spielzeit vorantreiben soll. Nach aktuellem Stand der Dinge gibt Sportvorstand Jonas Boldt die Strategie vor, Sportdirektor Michael Mutzel kümmert sich um die Zusammenstellung des Kaders, und Trainer Tim Walter soll für sportlichen Erfolg auf dem Rasen sorgen. Doch es mehreren sich die Zweifler, ob es bei dieser Dreierkonstellation über den Sommer hinaus auch bleibt.

Was wird aus Boldt? HSV-Manager im Fokus

Interessant ist dabei vor allem Boldts Rolle. Der Manager hat sich öffentlich hinter Walter gestellt und beteuert, mit ihm den eingeschlagenen Weg fortsetzen zu wollen. Seine Jobgarantie für den kriselnden Coach kommt wenig überraschend. Schließlich geht es längst auch für Boldt um seine Zukunft im Volkspark. Der 40-Jährige steuert auf den dritten verpassten Aufstieg in seiner Amtszeit beim HSV zu.

Bislang hatte er anschließend jeweils die Trainer (Dieter Hecking und Daniel Thioune) sowie einen Großteil des Spielerpersonals ausgetauscht. Eine Wiederholung dieser personellen Rochade käme nun einem Eingeständnis gleich, auch mit dem dritten unterschiedlichen Trainertyp gescheitert zu sein. Daher wird Boldt aller Voraussicht nach an Walter festhalten.

Mit Spannung darf dagegen die Analyse des Aufsichtsrats erwartet werden. Denn dem siebenköpfigen Gremium um den Vorsitzenden Marcell Jansen ist längst aufgefallen, dass die von der HSV-Führung vorgegebene Strategie Entwicklung seit Längerem rückläufig ist.

Bringt HSV-Aufsichtsrat die Steine ins Rollen?

Im Volkspark hat die Suche nach Erklärungen längst begonnen. Liegt es an Boldt und Mutzel, die den Kader so zusammengestellt haben, dass es kaum adäquate Alternativen für die Offensive, gerade auf den Flügelpositionen, gibt? Liegt es am Trainer, der möglicherweise nicht das Maximum aus der Mannschaft herausholt? Oder war dieses Jahr einfach nicht mehr möglich?

Sollte der Aufsichtsrat – der zwar den Vorstand bestellt, gemäß der Satzung aber nicht frei über den Trainer entscheiden kann – in seiner Saisonbewertung anderer Meinung als Boldt sein und auf einen Trainerwechsel pochen, wäre folgendes Szenario denkbar: Das Kontrollorgan könnte den Daumen beim Sportvorstand senken und einen neuen starken Mann bestellen. Dieser würde dann nicht nur über einen neuen Coach, sondern auch über die Zukunft von Sportdirektor Mutzel entscheiden.

Lesen Sie dazu auch:

So weit die Theorie, die nach aktuellem Stand erst nach dieser Saison infrage kommt. In der Praxis geht es für die Verantwortlichen in den nächsten Wochen auch um ihre Jobs. Obwohl sich der Aufstieg angesichts von sieben Punkten Rückstand auf den Relegationsplatz, den derzeit Stadtrivale St. Pauli innehat, de facto erledigt hat, steht für den HSV bis Mitte Mai noch einiges auf dem Spiel.

Boldt, Walter und Mutzel kämpfen um HSV-Jobs

In den verbleibenden sechs Pflichtspielen (fünf in der Liga sowie das Pokalhalbfinale gegen Freiburg) müssen Boldt, Walter und Mutzel glaubhaft für ihren Weg werben. Vor allem mit besseren Leistungen auf dem Platz, aber auch mit einer starken Kommunikation nach außen. Wie es (verbal) nicht geht, zeigte zuletzt Trainer Walter. Bei der Niederlage in Kiel sah der Coach „fünf hundertprozentige“ Torchancen in der ersten Halbzeit, als der HSV, wenn überhaupt, zwei gute Gelegenheiten durch Robert Glatzel hatte, und lachte die Fragen nach dem verpassten Aufstieg und der fehlenden Entwicklung weg. Es war ein kurioses TV-Interview bei Sky, das in Fankreisen sehr kritisch gesehen wird.

Schon vor einer Woche missfiel es einigen Fans, dass Walter auf die Frage, ob das Heimspiel gegen Paderborn (1:2) ein Pflichtsieg sei, antwortete, dass es für ihn lediglich Pflicht sei, nach der Partie mit seiner Familie zu facetimen. Klar ist: Um die Fans von dem eigenen Weg zu überzeugen und die Zweifler wieder hinter sich zu bringen, würde dem HSV ein bisschen mehr Ernsthaftigkeit guttun.

Vergrault der HSV seine treuen Fans?

Denn in den kommenden Wochen kämpfen die Hamburger nicht nur um die persönliche Zukunft einzelner Entscheidungsträger, sondern auch um den Rückhalt der Fans. Gegen Paderborn (27.100) und Aue (21.900) kamen zuletzt weniger als 30.000 Zuschauer ins Stadion, obwohl sämtliche Corona-bedingte Kapazitätsbeschränkungen entfielen.

Diesen Zustand allein auf die Folgen der Pandemie zurückzuführen, würde zu kurz greifen. Denn an anderen Standorten sind die Stadien wieder voll. Nach vier Jahren tristem Zweitligaalltag haben sich einige Fans vom HSV abgewendet. Der Club muss jetzt aufpassen, mit seinen Leistungen auf und seiner Kommunikation neben dem Rasen nicht seine treuen Anhänger langfristig zu vergraulen. Sonst setzt irgendwann eine Art genervte Gleichgültigkeit ein. Es wäre das schlimmste aller Szenarien – schlimmer als ein verpasster Aufstieg.