Kiel. Beim 0:1 in Kiel ergaben sich die Hamburger in der zweiten Hälfte ihrem Schicksal. Der Club muss nun wichtige Fragen beantworten.

Es liefen die letzten Sekunden des Spiels, doch Tim Walter hatte sich bereits auf seinen Stuhl gesetzt. Der HSV-Trainer, der normalerweise 90 Minuten lang durch seine Coachingzone tigert, wirkte so, als ob er selbst nicht mehr an ein Tor seiner Mannschaft glaubte. Die Spieler waren immer noch dabei, sich irgendwie den Ball hin und her zu spielen und nach irgendwelchen Räumen zu suchen. So wie sie es gegen Holstein Kiel 90 Minuten lang gemacht hatten.

Doch auch bei ihnen sah am Ende alles nach Aufgabe aus. Wenig später war es dann besiegelt. Mit 0:1 (0:1) verloren die Hamburger ein Spiel, das stellvertretend für all die bisherigen vier Zweitligajahre stand und nach dem der HSV nun die Gewissheit hat, für ein fünftes Jahr Zweite Liga planen zu können.

Tabellenspitze 2. Bundesliga
1. FC Schalke 04 29 / 59:34 / 53
2. Werder Bremen 29 / 53:38 / 53
3. FC St. Pauli 29 / 54:39 / 52
4. Darmstadt 98 29 / 57:38 / 51
5. 1. FC Nürnberg 29 / 44:38 / 49
6. HSV 29 / 51:30 / 45
7. 1. FC Heidenheim 29 / 37:39 / 45

„Zweite Liga, Hamburg ist dabei“, sangen die Fans von Holstein Kiel. Und wenn in den kommenden fünf Spielen nicht noch ein Wunder geschieht, werden sie recht haben. Es passte zu diesem Tag des HSV, dass ein fieser Regen aus allen Richtungen einsetzte, als Walter nach dem Spiel gerade bei der ARD Rede und Antwort stand. Seine Mannschaft hatte den Trainer zuvor einmal mehr im Regen stehen lassen. Nur fünf von 21 möglichen Punkten hat der HSV aus den jüngsten sieben Spielen geholt. Zu wenig, um noch einmal in das Aufstiegsrennen einzugreifen, nachdem St. Pauli und Darmstadt 98 am Tag zuvor eine Vorlage geliefert hatten.

HSV leistet sich in Kiel entscheidenden Fehler im Aufbauspiel

Der HSV hätte mit einem Sieg in Kiel noch einmal bis auf vier Punkte an Platz drei heranrücken können. „Hätte, hätte, Fahrradkette“, sagte Walter, als er auf die erneute verpasste Chance angesprochen wurde. „Wenn wir keine Spiele gewinnen, brauchen wir nicht von Aufstieg reden.“

Und schon gar nicht braucht der HSV vom Aufstieg zu reden, wenn er so spielt wie in der zweiten Halbzeit im mit 15.034 Zuschauern ausverkauften Holstein-Stadion. Dabei hatte Walters Mannschaft eigentlich gut begonnen und sich die tief gestaffelten Kieler mit ihrem Ballbesitzspiel gut zurechtgelegt. Doch in diesem System mit hoch stehenden Verteidigern dürfen eben keine Fehler im Aufbauspiel passieren.

Und der passierte erneut Bakery Jatta. Wie schon vor einer Woche im Heimspiel gegen den SC Paderborn verlor der Gambier den Ball, als er von rechts in die Mitte zog. Ein Tackling von Marco Komenda reichte, um Kiels einzige Spitze Kwasi Okyere Wriedt in die Tiefe zu schicken. Alleine vor Daniel Heuer Fernandes und nicht mehr eingeholt von Sebastian Schonlau traf der gebürtige Hamburger und beim FC St. Pauli ausgebildete Wriedt zum 1:0 – mit dem einzigen Torschuss der Heimmannschaft in Halbzeit eins (13.).

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Kiel machte es wie Paderborn eine Woche zuvor: einfach mit zehn Mann hinter den Ball stellen und gelegentlich kontern. Das reicht in der Regel gegen den HSV, der wie immer mehr als 60 Prozent Ballbesitz hatte, aber nur selten mal gefährlich zum Abschluss kam. Robert Glatzel (9./30.) und Jatta (32.) kamen dem Tor nah, wirklich zwingend war das aber nicht.

„Wir hatten fünf Hundertprozentige in der ersten Halbzeit“, sagte Walter nach dem Spiel. Welche Chancen der Trainer meinte, dürfte sein Geheimnis bleiben. Die einzige hochkarätige Möglichkeit vergab erneut Glatzel in der zweiten Halbzeit, als er auf Vorlage von Josha Vagnoman aus der Drehung an Kiels Torwart Thomas Dähne scheiterte (54.).

HSV-Kapitän Schonlau mahnt zu mehr Verantwortung

Danach wurde es von Minute zu Minute ruhiger. Die Kieler hatten nach wie vor kein Bedürfnis, aktiv am Spiel teilzunehmen. Das brauchten sie aber auch nicht. Der HSV passte und passte und merkte offenbar selbst nicht, dass das Spiel irgendwann vorbei war. Und mit dem Spiel auch die letzte Chance, oben anzugreifen. „Wenn Kiel zu elft im eigenen Strafraum steht, kommst du nicht zu vielen Chancen. Und mit denen musst du verantwortungsvoller umgehen“, sagte Kapitän Schonlau, der nach dem Spiel mit seinen Kollegen vom Platz schlich und wusste, dass der HSV seine letzte Chance der Saison verspielt hatte.

Die Verantwortlichen können die Woche bis zum Spiel gegen den Karlsruher SC bereits nutzen, um die bisherige Saison zu analysieren. „Wir müssen uns von Ergebnissen frei machen und besser werden“, sagte Walter, um den es bei der Analyse auch gehen dürfte. Denn letztlich zählen auch für Walter die Ergebnisse. Und die fehlen dem HSV nun schon seit Wochen.

HSV scheitert bei Holstein Kiel: die Bilder

HSV-Zweitligafluch gegen Holstein Kiel geht weiter

Hamburgs Jonas Meffert (r.) springt höher als Kiels Alexander Muehling.
Hamburgs Jonas Meffert (r.) springt höher als Kiels Alexander Muehling. © WITTERS | TimGroothuis
Ludovit Reis am Boden: Der HSV muss den Bundesliga-Aufstieg wohl zum vierten Mal abschreiben.
Ludovit Reis am Boden: Der HSV muss den Bundesliga-Aufstieg wohl zum vierten Mal abschreiben. © WITTERS | Tim Groothuis
Sonny Kittel konnte dem HSV in Kiel keine Impulse geben.
Sonny Kittel konnte dem HSV in Kiel keine Impulse geben. © imago/Hübner | Susanne Hübner
HSV-Stürmer Bakery Jatta (r.) muss im Zweikampf mit Kiels Marco Komenda (M.) einstecken.
HSV-Stürmer Bakery Jatta (r.) muss im Zweikampf mit Kiels Marco Komenda (M.) einstecken. © WITTERS | Tim Groothuis
Körpersymmetrie: Hamburgs Bakery Jatta (l.) und Kiels Alexander Mühling formen ein fast perfektes Ypsilon.
Körpersymmetrie: Hamburgs Bakery Jatta (l.) und Kiels Alexander Mühling formen ein fast perfektes Ypsilon. © IMAGO/Holsteinoffice | Jörg Lühn
Kiels Kwasi Okyere Wriedt (M.) feiert seinen Treffer zum 1:0 mit Stefan Thesker (l.) und Jonas Sterner.
Kiels Kwasi Okyere Wriedt (M.) feiert seinen Treffer zum 1:0 mit Stefan Thesker (l.) und Jonas Sterner. © dpa | Axel Heimken
Kiels Alexander Mühling (l.) hakt sich bei seinem früheren Teamkollegen Jonas Meffert unter.
Kiels Alexander Mühling (l.) hakt sich bei seinem früheren Teamkollegen Jonas Meffert unter. © WITTERS | Tim Groothuis
Hamburgs Jonas Meffert (r.) springt höher als Kiels Alexander Muehling.
Hamburgs Jonas Meffert (r.) springt höher als Kiels Alexander Muehling. © WITTERS | TimGroothuis
Kiels Routinier Fin Bartels (u.) verletzte sich früh an der Schulter und musste ausgewechselt werden.
Kiels Routinier Fin Bartels (u.) verletzte sich früh an der Schulter und musste ausgewechselt werden. © WITTERS | Tim Groothuis
Kiels Simon Lorenz (r.) kommt HSV-Verteidiger Josha Vagnoman  in die Quere.
Kiels Simon Lorenz (r.) kommt HSV-Verteidiger Josha Vagnoman  in die Quere. © WITTERS | Tim Groothuis
HSV-Fans zündeten kurz nach Anpfiff Feuerwerkskörper. Bakery Jatta (l.) mochte es nicht mit ansehen.
HSV-Fans zündeten kurz nach Anpfiff Feuerwerkskörper. Bakery Jatta (l.) mochte es nicht mit ansehen. © WITTERS | Tim Groothuis
Rauchschwaden zogen durch das Holstein-Stadion.
Rauchschwaden zogen durch das Holstein-Stadion. © WITTERS | TimGroothuis
HSV-Trainer Tim Walter (r., mit Sportvorstand Jonas Boldt) stellte sein Team auf einer Position um.
HSV-Trainer Tim Walter (r., mit Sportvorstand Jonas Boldt) stellte sein Team auf einer Position um. © WITTERS | Tim Groothuis
Anssi Suhonen (r., mit Miro Muheim) nahm den Startplatz von Maximilian Rohr ein.
Anssi Suhonen (r., mit Miro Muheim) nahm den Startplatz von Maximilian Rohr ein. © WITTERS | Tim Groothuis
Marcel Rapp übernahm im Oktober in Kiel den Posten des Cheftrainers vom zurückgetretenen Ole Werner.
Marcel Rapp übernahm im Oktober in Kiel den Posten des Cheftrainers vom zurückgetretenen Ole Werner. © WITTERS | Tim Groothuis
Beim Aufwärmen trugen die Kieler, hier Ex-HSV-Profi Lewis Holtby, zum Zeichen der Solidarität ein Trikot mit der Aufschrift
Beim Aufwärmen trugen die Kieler, hier Ex-HSV-Profi Lewis Holtby, zum Zeichen der Solidarität ein Trikot mit der Aufschrift "Stand with Ukraine". © WITTERS | Tim Groothuis
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Eine Entwicklung, von der Walter und Sportvorstand Jonas Boldt unermüdlich reden, ist nicht mehr zu erkennen. Im Gegenteil. Die Hamburger schwächeln erneut in der Rückrunde. Wie schon in den vergangenen vier Jahren schafft es die Mannschaft nicht, in der entscheidenden Saisonphase ihr Potenzial auch in Punkten abzubilden. Dabei war am Sonntag kein Spieler mehr auf dem Platz, mit dem der HSV vor vier Jahren beim 0:3 gegen Kiel in die erste Zweitligasaison startete. Holsteins Trainer damals: Tim Walter.

Ob der HSV in der kommenden Spielzeit mit dem 46-Jährigen einen neuen Aufstiegsanlauf startet, ist eine der vielen Fragen, die der Club in den kommenden Wochen beantworten muss. Klar scheint aktuell nur, dass der HSV in der kommenden Saison den neunten und zehnten Versuch starten wird, ein Zweitligaspiel gegen Kiel zu gewinnen.