Hamburg/Kiel. Die Hamburger laufen beim Nordrivalen erfolglos einem frühen Rückstand hinterher. Fans sorgen für minutenlange Unterbrechung.
Das Entsetzen stand den Spielern ins Gesicht geschrieben: Das war’s wohl mit dem Aufstieg des HSV. Die Angst, ein fünftes Jahr zweitklassig zu bleiben, wird allmählich zur Gewissheit. Durch eine 0:1-Niederlage bei Holstein Kiel verspielten die Hamburger die große Gelegenheit, zu den Aufstiegsrängen der 2. Bundesliga aufzuschließen. Fünf Spieltage vor Saisonende ist der Rückstand auf den FC St. Pauli auf dem Relegationsplatz auf sieben Punkte angewachsen.
Tabellenspitze 2. Bundesliga
1. FC Schalke 04 29 / 59:34 / 53
2. Werder Bremen 29 / 53:38 / 53
3. FC St. Pauli 29 / 54:39 / 52
4. Darmstadt 98 29 / 57:38 / 51
5. 1. FC Nürnberg 29 / 44:38 / 49
6. HSV 29 / 51:30 / 45
7. 1. FC Heidenheim 29 / 37:39 / 45
Fünf Tage nach dem teilweise rauschenden 4:0-Heimsieg gegen Erzgebirge Aue fiel der HSV in ein Muster zurück, das ihn in dieser Saison schon so viele Punkte gekostet hatte: Viel Dominanz, wenig Ertrag – und einmal zu häufig anfällig in der Verteidigung. Dass der HSV gegen Holstein auch im achten Anlauf in der 2. Bundesliga ohne Sieg blieb, geriet da fast zur Nebensache.
HSV-Trainer Walter hakt nach 0:1 in Kiel Aufstieg ab
„Wir haben in der ersten Halbzeit die Chancen nicht reingemacht und waren in der zweiten Halbzeit zu fahrig. Das ist unser Kernthema und muss unser Schwerpunkt sein: dass man sich dafür belohnt, was man eigentlich gut macht“, sagte HSV-Trainer Tim Walter bei Sky. Den Aufstieg hakte er ab: „Hätte, hätte, Fahrradkette: Wenn wir keine Spiele gewinnen, brauchen wir darüber nicht zu reden. Aber bei aller Enttäuschung sehe ich auch viele gute Dinge.“
Walter hatte im Vergleich zur Startelf, die den souveränen Sieg gegen Aue eingeleitet hatte, eine Veränderung vorgenommen: Anstelle von Maximilian Rohr durfte Anssi Suhonen beginnen. Der Finne hatte unter der Woche seinen Vertrag langfristig verlängert.
„Max war leicht angeschlagen. Anssi hat nach der Vertragsunterzeichnung eine breite Brust, er gibt uns hoffentlich Energie“, sagte Walter bei Sky. Der Sieg gegen Aue habe der Mannschaft gutgetan, „weil er uns auf unserem Weg bestätigt hat. Wir haben gezeigt, dass wir Angriffe zu Ende spielen und Tore schießen können. “Faride Alidou saß trotz überstandener Sprunggelenksverletzung zunächst auf der Bank. Seinen Platz auf Linksaußen nahm der ebendort wieder erstarkte Sonny Kittel ein.
Dank St. Paulis Punkteteilung gegen Werder und Nürnbergs Sieg gegen Darmstadt am Sonnabend waren die Aufstiegsplätze plötzlich wieder in Reichweite gerückt. „Aber wir sind gut beraten, wenn wir nur auf uns schauen“, sagte Walter.
HSV-Fans sorgen für minutenlange Unterbrechung
Allerdings brauchten auch die Kieler angesichts von nur noch sechs Punkten Vorsprung auf die Abstiegsränge dringend ein Erfolgserlebnis. Fünf der vorausgegangenen sechs Partien gingen verloren. Neue Impulse erhoffte sich Holstein-Trainer Marcel Rapp erhoffte sich von zwei ehemaligen St-Pauli-Spielern: Der wieder genesene Fin Bartels und Kwasi Okyere Wriedt rückten für Benedikt Pichler und das einstige HSV-Supertalent Fiete Arp in die Startelf.
Doch sie alle wurden erst einmal von Hamburger Fans ausgebremst. Kaum dass Schiedsrichter Daniel Schlager das Nordduell angepfiffen hatte, zündeten einige Unverbesserliche Pyrotechnik. Schlager unterbrach zunächst die Partie, weil Rauchschwaden über dem Spielfeld lagen. Als dann noch Böller gezündet wurden, schickte er beide Mannschaften für fast zehn Minuten in die Kabine.
Wriedt trifft, Bartels erleidet Schlüsselbeinbruch
Im zweiten Anlauf erwischte der HSV den besseren Start: Nach Vorarbeit von Bakery Jatta scheiterte Stürmer Robert Glatzel mit seinem Kopfball an Kiels Torwart Thomas Dähne (9. Minute). So gut Jatta vorgelegt hatte, so unglücklich war seine nächste Szene: Kiels Marco Komenda spitzelte dem HSV-Rechtsaußen den Ball vom Fuß, und plötzlich konnte Wriedt allein aufs HSV-Tor zulaufen – und zum 1:0 vollenden (13.). Für den gebürtigen Hamburger, der erst im Winter gekommen war, war es bereits der dritte Treffer.
Kurz danach aber mussten die „Störche“ einen Rückschlag hinnehmen: Bartels fiel nach einem Rempler von Jatta so unglücklich auf die Schulter, dass er ausgewechselt werden musste (27.). Eine Untersuchung im Krankenhaus bestätigte noch am Nachmittag den ersten Verdacht: Schlüsselbeinbruch.
Eine deutliche Schwächung für die Offensive der Kieler, die fortan vor allem mit Verteidigen beschäftigt waren. Doch den Hamburgern sollte sich in dieser überlangen ersten Halbzeit keine große Ausgleichschance mehr eröffnen, auch wenn Walter später „fünf Hundertprozentige“ gesehen haben wollte.
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HSV-Einzelkritik:
Eine gab es kurz nach der Pause tatsächlich: Im Kieler Fünfmeterraum kam Glatzel aus der Drehung zum Schuss, doch Dähne konnte den Ball irgendwie über die Latte lenken (55.). Walter wechselte kurz darauf Alidou für Jatta und Giorgi Chakvetadze für Suhonen ein (65.). Auch Rapp reagierte und brachte Pichler und Arp für Wriedt und Holtby (66.).
Wriedt war nach seinem Tor nur noch als Manndecker gegen HSV-Kapitän Sebastian Schonlau aufgefallen. Später erklärte er die ungewohnte Maßnahme: „Man weiß, dass Schonlau sehr gut im Spielaufbau ist, und wir wollten ihn aus dem Spiel nehmen.“ Schonlau selbst fand das Mittel später „legitim, aber daran ist unser Spiel nicht gescheitert“.
Letztes Saisonziel DFB-Pokal
Weil das Anrennen weiter erfolglos blieb, erhöhte Walter das Risiko und wechselte Stürmer Mikkel Kaufmann für Verteidiger Moritz Heyer ein (73.). Doch der Däne fiel nur noch durch einen überharten Zweikampf mit Marco Kumenda auf, für den er die Gelbe Karte sah. Auch die anderen stemmten sich letztlich vergeblich gegen die sechste Saisonniederlage.
Und so kämpfen die Hamburger im Heimspiel gegen den Karlsruher SC am kommenden Sonnabend (20.30 Uhr/Sport1 und Sky, Liveticker bei Abendblatt.de) wohl nur noch um eine rechnerische Aufstiegschance. Es wäre nicht verwunderlich, wenn die Spieler in Gedanken schon drei Tage weiter wären: beim DFB-Pokal-Halbfinale gegen den SC Freiburg. Eine Leistung wie in Kiel wird dann aber kaum reichen.