Hamburg. Nach Fifa-Kriegsbeschluss: Profis in Russland und der Ukraine stehen vor Entscheidung. Das stellt den HSV vor drei Probleme.

Das Video, das vor zwölf Tagen um die Fußball-Welt ging, ist gerade einmal 1.07 Minuten lang. Zu sehen sind keine Tore, Dribblings oder Ballstafetten, sondern ein dramatischer Appell einer Gruppe brasilianischer Fußballstars mit ihren Familien, die sich in einem Hotel in Kiew versteckt hatten.

Hochgeladen wurde das Video auf dem Instagram-Account von Marlon Santos, der gerade erst vor ein paar Monaten für zwölf Millionen Euro vom italienischen Serie-A-Club US Sassuolo zum ukrainischen Abomeister Schachtar Donezk gewechselt war – und nun die brasilianische Regierung und die Fußballwelt um Hilfe bat. „Wir müssen hier raus“, schrieb der 26 Jahre alte Mittelfeldspieler unter das Instagram-Video.

Krieg gegen die Ukraine betrifft Fußballer – und den HSV

Die gute Nachricht: Santos und die rund 40 Mitstreiter aus dem Video sind dem Krieg entkommen. Über Czernowitz im Westen der Ukraine floh die Gruppe mit dem Zug nach Rumänien, von wo aus sie zurück nach Brasilien flogen. Die schlechte Nachricht: Noch immer sollen auch zahlreiche Fußballlegionäre im Kriegsgebiet festhängen. Und die zweite schlechte Nachricht: Selbst die, die es trotz Dauerbombardements Russlands geschafft haben, wissen nun nicht wirklich, wie es weitergehen soll.

„Wir mussten uns in den vergangenen zwei Wochen um sehr viele Spieler in der Ukraine kümmern, die evakuiert werden mussten“, sagt Jonas Baer-Hoffmann im Gespräch mit dem Abendblatt. Der 33-Jährige ist Generalsekretär der internationalen Spielergewerkschaft Fifpro und damit qua Amt erster Ansprechpartner für die Fußballlegionäre in der Ukraine, aber auch in Russland.

Denn auch im Putin-Land stehen derzeit 370 Ausländer unter Vertrag, von denen eine ganze Reihe nach dem Beginn des Angriffskrieges lieber heute als morgen Russland verlassen wollen. „Wir hatten Unmengen von Anfragen von Spielern, die in Russland und in der Ukraine unter Vertrag sind. Auch viele Agenten haben nachgefragt und um Hilfe gebeten“, sagt Baer-Hoffmann am Telefon.

Fifa: Spieler können russische Clubs verlassen

Am Montagabend konnte der Inter­essensvertreter immerhin einen großen Teilerfolg feiern. So beschloss die Fifa auf ihrem Council nach mehreren Verhandlungsrunden mit der Fifpro, dass die Verträge von ausländischen Spielern in Russland oder in der Ukraine auf eigenen Wunsch bis zum 30. Juni ausgesetzt werden dürfen. Spieler wie Marlon Santos können sich nun beispielsweise in Brasilien trotz Ende der Transferperiode einem neuen Club anschließen. Allerdings nur bis zum Sommer, was nun vor allem Baer-Hoffmann auf den Plan bringt: „Schlecht ist, dass sie diese Klarheit jetzt nur bis Ende Juni haben. Wir hatten uns für ein außerordentliches Kündigungsrecht ausgesprochen.“

„Kommen diese Top-Stars jetzt alle ablösefrei?“, hatte die „Bild“-Zeitung wenig empathisch kurz vor der Fifa-Entscheidung gefragt. Die Antwort lautet nun: nein. Denn im Sommer bleiben die Transferrechte bei den Clubs – was Baer-Hoffmann besonders für Russland als problematisch einschätzt.

Allerdings reagieren auch nicht alle Legionäre ähnlich wie die beiden deutschen Trainer Markus Gisdol und Daniel Farke, die direkt nach dem Beginn der Bombardements ihre Verträge bei Lokomotive Moskau und beim FK Krasnodar auflösten. „Ich kann meiner Berufung nicht in einem Land nachgehen, dessen Staatsführer einen Angriffskrieg mitten in Europa verantwortet. Das stimmt mit meinen Werten nicht überein“, hatte der frühere HSV-Trainer Gisdol gesagt.

HSV: Douglas Santos will in Russland bleiben

Andere, wie beispielsweise auch der frühere HSV-Profi Douglas Santos von Zenit St. Petersburg, haben trotz des Krieges nicht vor, ihre gut dotierten Verträge in Russland aufzulösen. Noch immer stehen 13 Brasilianer in Russland unter Vertrag. „Die meisten ausländischen Spieler in Russland haben noch nicht den sofortigen Impuls, alle Zelte abzubrechen und das Land so schnell wie möglich zu verlassen. Das kann aber noch kommen“, sagt Spielervermittler Marcus Haase, der sowohl Douglas Santos als auch dessen Namensvetter Marlon Santos gut kennt.

Die Sicherheitslage in der Ukraine und in Russland sei natürlich eine andere. So sei es auch kein Selbstgänger, dass die betroffenen Spieler einen neuen Club finden, der ein ähnliches Gehalt zahlen kann, glaubt Haase, der sich noch immer mit dem HSV vor Gericht über eine Vermittlungsgebühr aus dem Transfer von Douglas Santos nach St. Petersburg streitet. Ein Gerichtstermin im vergangenen Herbst hat keine Einigung gebracht, es geht um einen Streitwert von 1,2 Millionen Euro.

Für den HSV könnte es noch teurer werden

Für den HSV könnte es durch den Krieg nun noch teurer werden. Der Hintergrund: Neben der Ablöse von zwölf Millionen Euro hatte sich der Club beim Wechsel 2019 auch auf Bonuszahlungen (500.000 Euro für jede Zenit-Meisterschaft) von bis zu maximal zwei Millionen Euro geeinigt. Durch St. Petersburgs Meisterschaften 2020 und 2021 haben die Hamburger bereits eine Million Euro zusätzlich erhalten. Auch dieses Jahr führt Zenit nach 20 Spieltagen fast uneinholbar die Tabelle an, wodurch nach Saisonende theoretisch weitere 500.000 Euro für den HSV fällig wären.

Ganz praktisch gibt es nun aber gleich drei Probleme. Nummer eins: Sollte auch Douglas Santos vom neuen Fifa-Beschluss Gebrauch machen, könnte St. Petersburg die Bonuszahlung verweigern. Nummer zwei: Selbst wenn Santos bleibt, dürfte es für Zenit durch die Sanktionen rund um den internationalen Zahlungsverkehr Swift schwierig werden, Geld an den HSV zu transferieren. Und Problem Nummer drei: Die Zahlungsmoral dürfte ohnehin begrenzt sein. Denn der drohende Ausschluss aus den internationalen Wettbewerben, den Zenit St. Petersburg bei einer Weigerung zu befürchten hätte, ist aus politischen Gründen längst vollzogen.

Das alles weiß man natürlich auch beim HSV, weswegen die Verantwortlichen davon absehen, die noch ausstehenden Bonuszahlungen aus Russland im Hinblick auf die DFL-Lizenzierung in der kommenden Woche zu budgetieren. Ähnliche und noch viel krassere Fälle dürfte es international zahlreich geben. So hat alleine Zenit St. Petersburg nur wenige Tage vor dem Krieg noch einen 25-Millionen-Euro-Wechsel von Yuri Alberto (International Porto Alegre) abgeschlossen. Auch hier dürften millionenschwere Zusatzvereinbarungen abgemacht worden sein, die nun fraglich sind.

"Viele Spieler werden nicht zurück nach Russland wollen"

Doch Geld ist nur das eine. Das andere sind natürlich die Ängste und Sorgen der Menschen – darunter auch viele Fußballer. „Viele Spieler werden sicherlich nicht im Sommer wieder zurück nach Russland wollen“, glaubt Baer-Hoffmann. Und auch Spielervermittler Haase, der besonders mit Profis aus Südamerika bestens vernetzt ist, ist gespannt, wie sich die Situation weiter entwickelt.

Der Berliner, der früher für Flamengo Rio de Janeiro gearbeitet hat, erinnert daran, dass gerade die brasilianischen Profis in Russland und der Ukraine sich untereinander gut kennen würden. Die Videos, die Marlon Santos vor wenigen Tagen gepostet hat, verbreiteten sich auch bei den südamerikanischen Russland-Profis schnell. „Wir alle, die wir im Bunker eines Hotels in Kiew waren, haben es geschafft, da rauszukommen“, schrieb der erleichterte Marlos Santos unter sein zweites Video. Und sein letzter Satz an alle Kollegen vor Ort: „Verliert nicht den Glauben!“