Was in Bremen begann, endete beim HSV: Martin Harnik erklärt vor dem Nordderby, wie man den Aufstieg schafft und was in Hamburg fehlte.
Dennis Aogo und Martin Harnik standen zusammen in der Kabine und tauschten Trikots. Das vierte Spiel der legendären Werder-Wochen war gerade zu Ende gegangen. Nach dem DFB-Pokal und dem Uefa-Cup hatten die Bremer den Hamburgern mit dem 2:0-Heimsieg nun auch noch die letzte theoretische Chance auf die Meisterschaft genommen.
Auch die Qualifikation für die Champions League war quasi weg. „Ihr habt uns komplett zerstört. Ihr habt uns alles genommen, was wir uns aufgebaut haben“, sagte HSV-Verteidiger Aogo zu Werder-Stürmer Harnik, der an diesem 10. Mai als Rechtsverteidiger dazu beigetragen hatte, dass der HSV alles verspielte.
Zweite Bundesliga: Martin Harnik über das Spiel zwischen Bremen und HSV
So erzählt es Harnik 13 Jahre später. Der heute 34-Jährige sitzt am Montagmittag in Golfklamotten im Podcaststudio des Abendblatts und erinnert sich bei „HSV – wir müssen“ reden über die guten alten Zeiten, als die beiden Nordclubs noch zu den Topclubs in Deutschland gehörten und sich auf europäischer Bühne gegenüberstanden. Mittlerweile sind die beiden Rivalen in der Zweitklassigkeit angekommen, treffen sich am Sonntag (13.30 Uhr) im Volksparkstadion aber zu einem echten Spitzenspiel. Dann empfängt der Tabellenzweite aus Hamburg (41 Punkte) den Tabellenersten aus Bremen (42 Punkte).
Harnik, der im Sommer 2020 mit dem HSV unter Dieter Hecking durch ein 1:5 gegen Sandhausen am letzten Spieltag den Wiederaufstieg verspielte und anschließend nach seiner Rückkehr zu Werder Bremen keine Perspektive mehr hatte, ist heute Oberligastürmer bei der TuS Dassendorf und seit zwei Wochen Geschäftsführer der größten Indoor-Golfhalle Deutschlands, die er mit seinem Schwager und Ex-HSV-Stürmer Mattia Maggio in Glinde betreibt.
Hamburger sind keine klaren Aufstiegsfavoriten
Als Experte für Sport1 beobachtet er die Entwicklungen bei seinen zwei Ex-Clubs aber noch aufmerksam. Lagen beide Clubs nach dem ersten Saisondrittel als Sechster (HSV) und Zehnter (Werder) noch weit hinter den eigenen Ansprüchen, hat sich der Wind gedreht. Aktuell herrscht ein Hoch im Norden. „Der HSV hat es jetzt geschafft, das System von Tim Walter zu perfektionieren und die Defensive zu stabilisieren. In der Hinrunde hat der HSV zu leichtfertig verteidigt, da ist aber eine ganz klare Entwicklung zu erkennen“, sagt Harnik zur Lage im Volkspark.
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Selbst nach dem 2:0-Sieg des HSV im Hinspiel im Weserstadion kritisierte Harnik Trainer Walter noch für den fehlenden Plan B im Spielaufbau. Mittlerweile stehe der HSV aber viel stabiler und zu Recht auf Rang zwei. Trotzdem hält Harnik die Hamburger nicht mehr für den klaren Aufstiegsfavoriten. „Qualitativ sehe ich Werder als die beste Mannschaft der Zweiten Liga, den HSV sehe ich „nur“ auf Rang drei. Rein vom Kader scheint mir Schalke noch ein bisschen stärker zu sein“, sagt Harnik. „Vom Kader her hat der HSV nicht mehr die Einzelspieler, die die Bundesligaabsteiger Schalke und Werder haben.“
„Vielleicht haben wir zu wenig als Mannschaft zusammen gemacht“
Dass die besten Einzelspieler nicht für den Aufstieg garantieren, hat Harnik beim HSV selbst erlebt. Am letzten Tag der Transferperiode kam der langjährige Nationalspieler Österreichs im August 2019 von Werder Bremen für ein Jahr auf Leihbasis nach Hamburg. Für den damaligen Trainer Hecking war Harnik das letzte Puzzleteil, das ihm für das große Ziel noch fehlte. Und lange sah es auch so aus, dass der HSV es im zweiten Anlauf schaffen würde. Doch auf den letzten Metern der Saison verspielten die Hamburger mit teils grotesken Gegentoren in den Schlussminuten in Fürth (2:2), in Stuttgart (2:3), gegen Kiel (3:3) und in Heidenheim (1:2) den Aufstieg.
Eine plausible Erklärung hat er auch eineinhalb Jahre danach noch nicht gefunden. „Vielleicht haben wir einfach zu wenig als Mannschaft zusammen gemacht“, sagt Harnik, der den Teamgeist als entscheidende Zutat für den Aufstieg definiert. „Das Wichtigste ist der Zusammenhalt. Für den Aufstieg muss man so viel wie möglich miteinander außerhalb des Platzes machen“, sagt Harnik, der einen eher ungewöhnlichen Vorschlag macht. „Eigentlich wäre es das Wichtigste für eine Mannschaft, dass man am Anfang der Saison nach Mallorca fliegt. Da lernt man seine Kollegen so richtig kennen.“ Als Beispiel nennt er seine Zeit in Hannover. Bei den Niedersachsen wurde Harnik 2016/17 mit 17 Toren zum Aufstiegshelden. „Wir waren eine Kneipentruppe. Wir haben so viel unternommen, haben die Nacht zum Tag gemacht. Das mag nicht zu 100 Prozent professionell klingen, aber da ist jeder für jeden durchs Feuer gegangen.“
Martin Harnik tippt für das Spiel am Sonntag: 1:1
Nach Mallorca flog er mit Hannover aber auch erst nach der Saison. Und ließ in El Arenal die Sau raus. Verkleidet mit einem Fischerhut und einem Kescher wurde Harnik zum „König des Ballermanns“, wie er fünf Jahre später erzählt. Da staunte selbst sein damaliger Sturmpartner Niclas Füllkrug nicht schlecht, der heute bei Werder Bremen spielt und den Harnik als aktuell besten Stürmer der Zweiten Liga bezeichnet.
Dass es beim HSV nicht so lief wie in seiner gesamten Karriere zuvor, lag aber nicht nur an der fehlenden Mallorca-Reise, sondern auch am Druck, den sich der Stürmer vor allem selbst machte. „Ich war immer angespannt. Die Erwartungen sind halt da. Diesen nicht gerecht zu werden, hat mich belastet. Das habe ich auch mit nach Hause genommen. Ich bin in Hamburg zu selten meinen eigenen Erwartungen gerecht geworden. Ich habe es nicht geschafft, den Job Fußball in der Kabine zu lassen“, sagt Harnik.
Nun hofft Dassendorfs Toptorjäger (28 Saisontore), dass sich seine Ex-Clubs unter den Trainern Tim Walter und Ole Werner weiter stabilisieren und wieder dahin kommen, wo sie waren, als der gebürtige Hamburger in Bremen vor 15 Jahren seine Profikarriere begann. Harniks Tipp für Sonntag: 1:1. Sein Schlusswort: „So, wie die Tabelle jetzt ist, würde ich sie mir auch am Ende der Saison wünschen.“