Hamburg. Personalrochade in der HSV Fußball AG – mit Konsequenzen auch für Marcell Jansen. Langfristiger Wettstein-Nachfolger in Stellung.

Am Ende des Nachmittags hatte Jonas Boldt Zeit, noch ein wenig mit dem Trainerteam zu kicken. Der Sportvorstand des HSV nahm nach der zweiten Trainingseinheit am Dienstag mit Chefcoach Tim Walter und dem Rest des Staffs auf dem Rasen des Santa Maria Polo Clubs im spanischen Sotogrande am Kreisspiel teil und hatte sichtlich Spaß. Zuvor hatte Boldt nahezu den gesamten Tag über telefoniert. Und während der Manager sich beim Fußballspielen vergnügte, wurde auch bekannt, warum er zuvor so viele Gespräche geführt hatte. Boldt bekommt einen neuen Vorstandskollegen.

Um 16.51 Uhr teilte der HSV auf seiner Homepage mit, dass der noch bis zum Sommer laufende Vertrag mit Finanzvorstand Frank Wettstein (48) vorzeitig aufgelöst wurde. Eine große Überraschung war das nach den Spekulationen der vergangenen Woche nicht mehr. Überraschend war allerdings, wer künftig an der Seite von Boldt den Club führen wird: Thomas Wüstefeld, erst seit Ende November neuer Aufsichtsratsvorsitzender der HSV Fußball AG, rückt kommissarisch für ein Jahr in den Vorstand.

HSV: Für Frank Wettstein kommt Thomas Wüstefeld in den Vorstand

Sein Amt als Kon­trolleur lässt der 53-Jährige in dieser Zeit ruhen. Für ihn übernimmt Vereinspräsident Marcell Jansen wiederum erneut den Sitz des Kontrollgremiums, den er erst vor fünf Wochen bei der Neubesetzung des Aufsichtsrats an Wüstefeld abgegeben hatte. „Uns ist bewusst, dass wir aufgrund der aktuellen Corona-Welle und ihrer Folgen erneut vor einer großen Herausforderung stehen“, wird Wüstefeld in der HSV-Mitteilung zitiert. „Die Konsequenzen werden weit in die Zukunft Auswirkungen haben, darum wollen und müssen wir den Club über den Sommer hinaus stabilisieren und die nächsten Entwicklungsstufen anpeilen.“

Dr. Thomas Wüstefeld – starker Mann beim HSV
Neuer starker Mann beim HSV, mit erweiterter Befugnis: Dr. Thomas Wüstefeld. © HA | Thorsten Ahlf

Ausschlaggebend für die aktuelle Dynamik war auch die Entscheidung des Senats von Dienstag, in Hamburg ab sofort wieder Geisterspiele einzuführen. Damit findet auch das Stadtderby des HSV gegen den FC St. Pauli am 21. Januar definitiv ohne Zuschauer statt. Bislang hatte Wettstein dieses Thema federführend begleitet und seit Beginn der Corona-Pandemie zur Zufriedenheit aller gemanagt. Doch aufgrund der Tatsache, dass Wettstein den HSV im Sommer nach dann fast acht Jahren ohnehin verlassen hätte, reifte im Aufsichtsrat die Entscheidung, schnell zu handeln und das Krisenmanagement jemandem zu übergeben, der das schwierige Thema mit ganzer Energie bearbeiten kann. Diese Wahl fiel dabei nun auf Wüstefeld.

Wüstefeld soll im nächsten Jahr in den Aufsichtsrat zurückkehren

Der Medizintechnik-Unternehmer (sanaGroup/Calejo GmbH) hatte Ende Oktober von HSV-Investor Klaus-Michael Kühne 5,11 Prozent dessen Anteile der AG (bis dahin 20,44 Prozent) übernommen. Nur vier Wochen später wurde Wüstefeld nicht nur in den Aufsichtsrat des HSV berufen, sondern auch zum Vorsitzenden des Gremiums gewählt. Weitere fünf Wochen später ist er nun Vorstand.

Eine HSV-Karriere, die an den früheren Clubchef Bernd Hoffmann erinnert. Dieser war Mitte Februar 2018 zunächst zum Präsidenten gewählt worden, drei Wochen später war er neuer Aufsichtsratschef, und weitere zwei Monate später übernahm er den Vorstandsvorsitz. Zunächst kommissarisch, ehe Hoffmann vier Monate später einen Dreijahresvertrag unterschrieb.

Wüstefeld, so heißt es, soll im Gegensatz zu Hoffmann aber im kommenden Jahr wieder in den Aufsichtsrat zurückkehren. Bis dahin sollen dem HSV vor allem Wüstefelds Kontakte in die Politik helfen, um die Corona-Krise so gut wie möglich zu überstehen. Durch die neuen Verordnungen der Stadt verliert der HSV viel Geld – bis zu 1,5 Millionen Euro pro Heimspiel. Wüstefeld und die HSV-Verantwortlichen wollen in den kommenden Wochen darauf einwirken, womöglich wieder mit einer Teilauslastung des Volksparkstadions planen zu können.

Will Huwer künftig den Finanzvorstand übernehmen?

Wüstefelds künftiger Vorstandskollege Boldt war es zusammen mit Marcell Jansen, der ihm zu Beginn der Corona-Pandemie Kontakte in die Politik vermittelt hatte. Wüstefeld hatte sich in dieser Phase mit der Entwicklung eines neuartigen PCR-Schnelltests einen Namen gemacht.

Seine Geschäfte muss der Unternehmer nun vorerst seinen Mitarbeitern überlassen. Denn auf Wüstefeld wartet beim HSV ein Haufen Arbeit. Wie genau sich Boldt und Wüstefeld künftig die Arbeit teilen, müssen sie in den kommenden Tagen und Wochen noch klären. Erste Gespräche haben sie bereits geführt. Wüstefeld wird nicht der direkte Nachfolger von Wettstein als Finanzvorstand. Diesen Bereich führt Finanzdirektor Eric Huwer ohnehin schon operativ. Der 38-Jährige ist ein enger Vertrauter von Boldt. Ihm werden Ambitionen nachgesagt, künftig die Position des Finanzvorstands zu übernehmen. Wettstein hatte sich Ende November im Abendblatt-Podcast bereits für Huwer stark gemacht – und zudem für Boldt als künftigen Alleinvorstand geworben.

Wettsteins: „Es war großartig, diesen Verein über sieben Jahre gestalten zu dürfen“

Nun aber gibt es wieder zwei Vorstände. Als das Abendblatt kurz vor Weihnachten Wüstefeld im Interview zu Huwer befragte, sagte er: „Wir reden erst einmal über Aufgaben und Prozesse und dann über Personen und Menschen.“ Auch Aufsichtsrat Markus Frömming wurde immer wieder mit einem Posten im Vorstand in Verbindung gebracht. Doch der Kühne-Vertreter bleibt weiterhin ein einfaches Mitglied im Kontrollgremium.

Für Wettstein ist die Amtszeit beim HSV in jedem Fall beendet. Dabei hatte der langjährige Finanzchef noch kurz vor Neujahr auf Nachfrage des Abendblatts betont, keine vorzeitige Auflösung seines Vertrags anzustreben. Nicht einmal eine Woche später wurde sein Vertrag aufgelöst. Wettstein erhält eine Abfindung. Diese hatte er in den vergangenen Jahren an diverse freigestellte Vorstände, Trainer oder Sportdirektoren zahlen müssen und auch dadurch kein einziges positives Jahresergebnis erzielt.

Wettsteins letzte Worte als HSV-Mitarbeiter: „Es war großartig, diesen Verein über sieben Jahre gestalten und mitverantworten zu dürfen. Es war mir eine Ehre.“