Hamburg. Thomas Wüstefeld spricht in seinem ersten Interview über die Pandemie, Finanzen des Hamburger Clubs und den Vorstand der Zukunft.
Thomas Wüstefeld (52) ist zu spät. Aber zumindest seine Entschuldigung ist gut. Es täte ihm leid, er würde nun direkt losfahren, sagt er am Telefon um zehn Uhr. Die Chinesen waren schuld. Oder besser gesagt: das Zentralkomitee der Kommunistischen Partei Chinas.
Mit deren Vertretern hatte der Hamburger Medizin- und Biotech-Unternehmer am Dienstagmorgen einen ausführliche Zoom-Call, in dem es über Produktionsstätten vor Ort, Mitarbeiter und die Möglichkeit einer Zusammenarbeit beim Testen von Corona bei den Olympischen Winterspielen von Peking ging. „Wir sind da gerade in sehr intensiven Gesprächen“, sagt der geschäftsführende Gesellschafter der SanaGroup, als er eine Viertelstunde später an der Abendblatt-Redaktion am Großen Burstah mit seinem Mini angekommen ist.
HSV News: Wüstefeld spricht über neuen Job
Auch mit dem Abendblatt will Wüstefeld ein intensives Gespräch führen – allerdings nicht primär über China, Peking und Olympia, sondern über den HSV, seinen neuen Job als Aufsichtsratsvorsitzender und seine Entscheidung, 5,11 Prozent der HSV-AG von Mitgesellschafter Klaus-Michael Kühne zu erwerben. „Als ich das erste Mal im Volkspark war, war für mich klar: Es zählt nur noch der HSV“, sagt Wüstefeld, dessen Vater großer Schalke-Fan war, der aber durch seine Großtante aus Altona vom HSV überzeugt wurde.
Mit sechs Jahren hätte die ihn zu einem Heimspiel des HSV ins Volksparkstadion mitgenommen, und fortan wurde für Wüstefeld junior aus königsblau blau-weiß-schwarz. „Um mich war es geschehen“, sagt Wüstefeld, der dem Unentschieden zwischen dem HSV und Schalke dennoch nicht hinterher trauert: „Es war ein verdientes 1:1.“
„Alle Szenarien sind denkbar“
Bereits vor dem Spiel hatte sich Wüstefeld erstmals in seiner neuen Funktion als Aufsichtsratsvorsitzender zu einer Jahresabschlusssitzung mit seinen neuen Kontrolleurskollegen getroffen. Die Themen: die Finanzen im Hinblick auf die Wintertransferperiode und der Prozess zur Findung eines Nachfolgers vom scheidenden Noch-Finanzvorstand Frank Wettstein. „Wir haben uns noch einmal ausgetauscht und die Situation bewertet“, sagt Wüstefeld, der sich bei seinem ersten öffentlichen Auftritt als Chef-Kontrolleur noch nicht zu sehr in die Karten gucken lassen wollte.
„Alle Szenarien sind denkbar“, sagt Wüstefeld, der erklärt, dass der Aufsichtsrat und er im Hinblick auf eine Nachfolgeregelung zunächst einmal bei Phase eins seien: „Wir reden über Aufgaben und Prozesse. In Phase zwei reden wir dann über Personen.“ Bei der Suche nach der richtigen Neu-Ordnung des Vorstands könne er sich viele Ansätze vorstellen, zum Beispiel auch die Möglichkeit eines COO, also eines Chief Operating Officer. So wird allgemein ein Manager genannt, der das operative Geschäft leitet beziehungsweise betreut.
Wüstefeld setzt auf Einigkeit
Unabhängig von der Aufgabenbetreuung sei er überrascht über das rege Interesse an dem noch offenen Vorstandsthema. „Ich bin begeistert, wie viele Bewerber wir für den Posten haben“, sagt Wüstefeld amüsiert und erzählt eine kleine Anekdote. So sei er unlängst mit einem Freund, einem Flugkapitän, essen gewesen. Nur kurze Zeit später sei er auf dieses Essen angesprochen worden mit der Frage, ob sein Begleiter neuer HSV-Chef werden würde.
Der Kapitän, so viel sei an dieser Stelle verraten, wird kein neuer Finanzvorstand. Dem zum 31. Mai ausscheidenden Frank Wettstein sei er dankbar, dass der HSV bislang „vergleichsweise gut durch die Corona-Phase gekommen“ sei. Einerseits. Andererseits müsse man bemängeln, dass der HSV bereits vor Corona seit Jahren rote Zahlen präsentieren würde. „Die Hoffnung ist da, dass wir irgendwann wieder die schwarze Null schreiben“, sagt Wüstefeld, der versichert, noch keine Personalgespräche für den Vorstand geführt zu haben. „Ich finde es wichtig, dass sich alle Personen beim HSV und auch die Anteilseigner einig sind, wie sich der HSV aufstellt.“
„Es waren keine harten Verhandlungen"
Seine endgültige Entscheidung, ebenfalls Anteile am HSV zu erwerben, habe er am 7. August diesen Jahres getroffen. An diesem Tag habe er die Mitgliederversammlung des HSV e.V. besucht und die gesamte Veranstaltung über sechs Stunden gebannt verfolgt. Was aufgrund unendlicher Diskussionen für viele ein Horrorszenario wäre, war für Wüstefeld ein echtes Aha-Erlebnis.
„Nach diesem Tag habe ich die Entscheidung getroffen, dass ein Einstieg als HSV-Anteilseigner ein guter Zeitpunkt wäre“, sagt der 52-Jährige, der zeitnah nach der Versammlung mit den Kühne-Vertretern Karl Gernandt (Ex-Aufsichtsratschef) und seinem heutigen Ratskollegen Markus Frömming Kontakt aufnahm. „Es waren keine harten Verhandlungen, aber sehr intensive Gespräche über eine längere Periode“, erinnert sich Wüstefeld, der sich auch mit Klaus-Michael Kühne persönlich traf: „Es war der Austausch zwischen zwei Fans.“
„Es ist natürlich eine wirtschaftliche Entscheidung"
Bei der Frage, zu wie viel Prozent der Anteilskauf wirtschaftliche und emotionale Gründe habe, weicht Wüstefeld aus: „Es ist natürlich eine wirtschaftliche Entscheidung. Die ist getrieben durch die emotionale Entscheidung. Deshalb beides mit 100 Prozent.“ Besonders seine drei Söhne Laurence (10), Leonard (14) und Carl (18), allesamt große HSV-Fans und lebenslange HSV-Mitglieder, hätten ihm zu dem Kauf geraten.
„Ein Investment beim HSV kann man nicht mit einem herkömmlichen Investment vergleichen“, sagt der Papa, der früher für Arminia Furbach und beim SV Rhumspringe im defensiven Mittelfeld aufgelaufen ist und heute als einer der einflussreichsten HSV-Verantwortlichen offensiv die Zukunft des Clubs gestalten will.
Seine größte Herausforderung ist die gleiche wie in seinem Hauptjob: der Kampf gegen Corona. So hat Wüstefeld fünfeinhalb Stunden vor dem Beginn der Ministerpräsidentenkonferenz, auf der über die Rückkehr von Geisterspielen debattiert wurde, noch immer die Hoffnung, dass diese verhindert werden könnten. „Es wäre bitter zu erfahren, wenn generell auf Geisterspiele gesetzt wird“, sagt er. „Die Hoffnung stirbt zuletzt.“
HSV muss sich auf Geisterspiele einstellen
Doch am frühen Abend war auch der letzte Rest Hoffnung verflogen, als Hamburgs Bürgermeister Peter Tschentscher den Medien die Maßnahmen erläuterte. Wie bereits befürchtet, muss sich der HSV ab Januar wieder auf Heimspiele ohne Zuschauer einstellen. Besonders bitter: Als nächstes Heimspiel steht das Stadtderby gegen den FC St. Pauli am 21. Januar an. Der Einnahmeverlust liegt bei 1,7 Millionen Euro.
„Es fehlen Einnahmen, die in jedem Haushalt kalkuliert sind“, sagt Wüstefeld. „Viele Clubs sind von den Zuschauern abhängig. Es sind hohe Anforderungen, diese fehlenden Einnahmen zu überbrücken.“ Und obwohl sowohl der HSV als auch der FC St. Pauli finanziell so aufgestellt sind, dass beide Clubs auch Geisterspiele bis zum Saisonende ausgleichen könnten, nimmt die Angst zu, dass andere Clubs die fehlenden Einnahmen nicht verkraften könnten: „Alle können sich denken, welche wirtschaftlichen Auswirkungen das hat.“ Die Situation sei „eine harte, wirtschaftliche Herausforderung. Die Sorge ist groß.“
HSV in dieser Saison ohne Corona-Fall
Dabei wirbt Wüstefeld, der sich in der Fußballszene mit PCR-Schnelltests einen Namen gemacht hat, nicht nur die Probleme sondern auch Lösungen zu sehen. „Mein Appell an die Politik ist, nicht immer am grünen Tisch zu entscheiden. Sondern sachlich und themenorientiert und sich auch mit den entsprechenden Hygienekonzepten auseinanderzusetzen.“
Bestes Beispiel sei der HSV, der dank der von seinem Unternehmen erfundenen und produzierten PCR-Schnelltests in dieser Saison noch immer ohne einen Corona-Fall davongekommen ist. Neben dem HSV gehören mittlerweile auch der FC St. Pauli, Werder Bremen, Holstein Kiel, ein Drittel aller Bundesliga-Clubs (wie Wolfsburg und Hertha BSC) und die weiteren Hamburger Proficlubs (Hamburg Towers/Basketball und HSV Hamburg/Handball) zu den Kunden der SanaGroup.
Auch Zuschauer könnten getestet werden
„Wir sind mit der SanaGroup sehr aktiv mit unseren Möglichkeiten, um den Sport zu unterstützen, damit die Athleten ihre Tätigkeit weiter fortsetzen können“, sagt der Chef des Hamburger Familienunternehmens, das auch im Hinblick auf die Fußball-WM im Katar eine größere Rolle spielen soll.
So war Wüstefeld kürzlich bei der WM-Generalprobe, dem Arab Cup, um sein Testverfahren vorzustellen. Bei der WM im kommenden Winter könnten neben den Spielern und Verantwortlichen auch Zuschauer getestet werden. Demnach würde eine einzige Testreihe für 90 Tests reichen, deren Ergebnisse in 30 bis 40 Minuten da sein könnten.
HSV gewann 3:1 gegen Würzburg
Wie diese Theorie praktisch aussieht, haben Wüstefelds Tests bereits in der vergangenen Saison bewiesen. So habe er vor dem Heimspiel des HSV gegen die Würzburger Kickers am frühen Morgen von HSV-Mannschaftsarzt Götz Welsch einen Anruf erhalten, ob er aufgrund einer ungewissen Corona-Lage bei den Kickers nicht helfen könnte.
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Wüstefeld rief umgehend im eigenen Labor an, organisierte ausreichend Tests und half Mannschaftsarzt Welsch bei der Testung aller Würzburger in deren Mannschaftshotel. Das Spiel konnte doch noch stattfinden, der HSV gewann 3:1 – und nicht nur Laurence, Leonard und Carl waren am Abend glücklich.
Neuer Impfstoff soll gegen Omikron wirken
Ein gutes Jahr später hat sich viel getan – beim HSV und bei der Bekämpfung von Corona. Wüstefelds an den Elbbrücken gelegenes Unternehmen SanaGroup will 2022 nicht nur die PCR-Schnelltests anbieten, sondern arbeitet längst auch unter Hochdruck mit internationalen Partnern an der Entwicklung eines mRNA-basierten Impfstoffs. Das Ziel dieses Hamburger Impfstoffs: Es soll auch gegen die gefährlichen Corona-Mutationen wie der aktuellen Omikron-Variante wirken.
Über mangelnde Arbeit wird sich Wüstefeld 2022 nicht beklagen müssen. Auch eine Rechtsformänderung wolle er weiter im Auge behalten. Aber nach rund 90 Minuten müsse er nun los. Er wolle ja nicht wieder zu spät kommen. Nur noch schnell sein Fußballwunsch für 2022: Ein Doppelaufstieg beider Hamburger Clubs – „wobei der HSV gerne vor unseren Nachbarn stehen darf.“
Aufgrund eines defekten Aufnahmegeräts kann das als Podcast geplante Gespräch mit Thomas Wüstefeld leider nicht ausgestrahlt werden.