Hamburg. Der Aufsichtsratsneuling wurde zum Chefkontrolleur gewählt. Seine wichtigste Aufgabe wird ein neuer Vorstand sein.

Das Timing hätte kaum besser sein können. Als das Tor vor der Vereinsgeschäftsstelle in der Westtribüne des Volksparkstadions am Dienstagmorgen um 9.15 Uhr aufgeschlossen wurde, gewährte Petrus den vorfahrenden Funktionären des HSV eine Dreiviertelstunde Regenpause.

Präsident Marcell Jansen kam als einer der ersten im Smart vorgefahren, wenig später folgte Aufsichtsratskollege Markus Frömming (in einem etwas größerem Auto). Bis zum Beginn der AG-Hauptversammlung um 10 Uhr reisten alle Räte, Vorstände, Anteilseigner und deren Vertreter der Reihe nach an, ehe das Tor um kurz nach 10 Uhr wieder geschlossen wurde – und der Regen von Neuem begann.

Wüstefeld gestaltet die Zukunft des HSV

Auf der offiziellen Tagesordnung wurden in den trockenen VIP-Räumlichkeiten der Westtribüne mehrere Punkte abgearbeitet: Der Vorstandsbericht der vergangenen und der laufenden Saison von Finanzchef Frank Wettstein und Sportvorstand Jonas Boldt, die Zustimmung zum Verkauf von 5,11 Prozent der AG-Anteile von Milliardär Klaus-Michael Kühne an den Hamburger Unternehmer Thomas Wüstefeld, die Verabschiedung der Kontrolleure Michael Krall und Felix Goedhart und natürlich die Neuwahl der neuen Aufsichtsräte Lena Schrum (Geschäftsführerin der aware the platform GmbH), Michael Papenfuß (Vizepräsident des HSV e. V.), Hans Walter Peters (Präsident des Bundesverbandes deutscher Banken) und Neu-Anteilseigner Wüstefeld (Geschäftsführer der CaLeJo GmbH).

Zusammenfassen kann man all diese offiziellen Tagespunkte auch mit nur einer Überschrift der inoffiziellen Tagesordnung: Die Zukunft des HSV.

Diese wird ab sofort vor allem von Ratsneuling Wüstefeld maßgeblich mitgestaltet. Der Chef der Sanagroup wurde nach der Hauptversammlung in der konstituierenden Sitzung des neuen Kontrollgremiums überraschend zum neuen Vorsitzenden gewählt. „Als Aufsichtsrat ist es unsere Verpflichtung, den HSV für die Zukunft stark auszurichten“, sagte Wüstefeld, der dabei auch weiterhin auf die Unterstützung seines Vorgängers zählen darf. „Ich freue mich auf die zukünftige Zusammenarbeit“, sagte Jansen, der bereits in den Tagen vor der Hauptversammlung diese überraschende Personalrochade eingefädelt hatte.

Wie sehr verändert Wüstefeld den HSV-Vorstand?

Wüstefelds wichtigste und erste Aufgabe als Chefkontrolleur: Die Neu-Ordnung des AG-Vorstands zum kommenden Sommer. Diese ist vor allem deswegen vonnöten, weil Noch-Finanzchef Wettstein vor knapp einem Monat bekanntgegeben hatte, seinem auslaufenden Vertrag nicht zu verlängern.

Hört man sich innerhalb des neuen Kontrollgremiums um, dann ist bislang weder eine Entscheidung über die personelle noch über die numerische Neubesetzung des Vorstands gefallen. Eine sehr dezidierte Meinung hierzu hat dagegen einer, dem es eigentlich egal sein könnte: Noch-Vorstand Wettstein.

Im Abendblatt-Podcast HSV – wir müssen reden warb der 48-Jährige vehement dafür, nach seinem Abschied mit Boldt als Allein-Vorstand weiterzumachen. „Mit ihm im Vorstand und der zweiten Reihe dahinter wäre die Geschäftsstelle sehr gut aufgestellt“, hatte Wettstein am Tag vor der Hauptversammlung gesagt – und eingeräumt, sich bereits mit Boldt selbst über dieses Gedankenmodell ausgetauscht zu haben.

HSV: Was sich Boldt unter Führung vorstellt

Kurioserweise saß der Angesprochene gleichzeitig zu Wettsteins Besuch im Abendblatt-Studio selbst in einem Podcast, der am Montagmorgen in seinem Büro aufgezeichnet wurde und an diesem Mittwoch erscheint. In dem offiziellen DEL-Podcast „Eiskalt auf den Punkt“ sprach Boldt mit dem früheren HSV-Pressesprecher Konstantin Krüger über seine Affinität zu Eishockey, aber auch grundsätzlich über Führungskraft, Leadership und mentale Stärke.

Frank Wettstein (l.) hört nach der Saison als HSV-Finanzvorstand auf. Wird Jonas Boldt dann alleiniger Vorstand?
Frank Wettstein (l.) hört nach der Saison als HSV-Finanzvorstand auf. Wird Jonas Boldt dann alleiniger Vorstand? © Witters

Boldts Theorie: „Die mentale Belastung wird viel zu wenig erkannt. Die ist meiner Meinung nach nirgendwo so groß wie im europäischen Fußball.“ Das würde zum einen am riesigen öffentlichen Interesse liegen, zum anderen an den Strukturen: „In Traditionsvereinen ist es schwieriger, weil man normalerweise viele Leute hat, die gerne mitreden wollen.“

Weitere HSV-Berichte:

Wie viele Leute künftig im HSV-Vorstand mitreden werden, gilt als die zentrale Zukunftsentscheidung des Clubs. Dabei hat Boldts Noch-Kollege Wettstein ein deutliches Plädoyer gegen die Überlegung abgegeben, den Vorstand ab dem kommenden Sommer wieder auf drei Mitglieder zu erweitern. „Beim dreiköpfigen Vorstand in Verbindung mit einem neuen Aufsichtsrat wäre die Eruption zu groß“, sagte der Rheinländer.

Was plant Boldt beim HSV?

Boldt selbst, dessen Vorstandsvertrag bis 2023 läuft, hat längst die Wichtigkeit erkannt, alle Schlüsselpositionen im Club adäquat zu besetzen. „Man muss sich weiterentwickeln“, sagte er ganz allgemein im DEL-Podcast. „Man braucht eine gut funktionierende Geschäftsführung – ganz egal, ob es sich im Fußball um eine GmbH oder eine AG handelt. Wenn es einem dann gelingt, eine gewisse Strategie über einen langen Zeitraum zu entwickeln, dann kann man auch nachhaltigen Erfolg haben.“

So sind die Anteile der HSV Fußball AG verteilt:

  • HSV e.V.: 75,10 Prozent
  • Klaus-Michael Kühne: 15,21 Prozent
  • Thomas Wüstefeld: 5,07 Prozent
  • Familie Burmeister: 1,33 Prozent
  • Familie Bohnhorst: 1,2 Prozent
  • AmPri Handelsgesellschaft: 1,41 Prozent
  • Erbengemeinschaft Margaritoff: 0,67 Prozent

Für diese Strategie ist nach der Hauptversammlung vor allem Wüstefeld verantwortlich. Die HSV-Zukunft hat am Dienstagmittag begonnen – und plötzlich kam sogar kurz die Sonne heraus.

Lesen Sie auch: