Hamburg. Vor großer Kulisse können die Hamburger nicht zu den Aufstiegsrängen aufschließen – und bekommen deftige Kritik zu hören.
Bis zuletzt war die Unterstützung groß, doch dem letzten Pfiff des Schiedsrichters schlossen sich die der Enttäuschten auf den lange nicht mehr so gut gefüllten Rängen des Volksparkstadions an: Gegen Fortuna Düsseldorf kam ihr HSV im Topspiel am Sonnabendabend trotz Führung und mehr als einstündiger Überzahl nicht über ein 1:1 (1:0) hinaus und verpasste es, den Anschluss an die Aufstiegsränge der 2. Bundesliga herzustellen.
Nur ein Sieg aus fünf Heimspielen – das ist entschieden zu wenig für die eigenen Ansprüche, darüber kann auch die Serie von nun sieben Spielen ohne Niederlage nicht hinwegtäuschen.
„Es kann nicht sein, dass wir führen, in Überzahl sind und den Ausgleich fangen. Dieses Déjà-vu ist bitter enttäuschend“, sagte HSV-Torschütze Robert Glatzel im Sport1-Interview. Schon gegen Sandhausen hatten die Hamburger in Überzahl den Ausgleich hinnehmen müssen. Damals gab es in der Nachspielzeit ein Happy End. Diesmal nicht. Aber der Reihe nach.
HSV-Trainer Walter lässt gegen Düsseldorf die Jungen ran
HSV-Trainer Tim Walter reagierte auf das enttäuschende 1:1-Unentschieden in Aue vor zwei Wochen und schenkte drei Youngstern das Vertrauen: Anstelle von David Kinsombi und des viermaligen Saisontorschützen Moritz Heyer durften sich im Mittelfeld zunächst Anssi Suhonen (20) und Ludovit Reis (21) versuchen – beide hatten in Aue nach ihrer Einwechslung das Hamburger Spiel belebt. Im Angriff kam überraschend Robin Meißner (22) zu seiner Saisonpremiere, für ihn musste Manuel Wintzheimer weichen.
Verzichten musste Walter auf die verletzten Verteidiger Josha Vagnoman, Maximilian Rohr und Stephan Ambrosius sowie die Torhüter Tom Mickel und Marko Johansson. Als Ersatz für Stammkeeper Daniel Heuer Fernandes stand somit Nachwuchskraft Leo Oppermann (20) erstmals seit acht Wochen wieder im Kader. Auf sein Profidebüt hoffen durfte auch Flügelstürmer Faride Alidou (20), der zunächst auf der Bank Platz nahm.
HSV-Lokalrivale FC St. Pauli hatte am Nachmittag vorgelegt und mit einem 4:2-Sieg beim 1. FC Heidenheim seine Tabellenführung gefestigt. Im Verfolgerduell hatten sich Paderborn und Regensburg am Freitag gegenseitig die Punkte weggenommen, während der FC Schalke mit einem ganz späten Sieg in Hannover den Anschluss an die Aufstiegsplätze hergestellt hatte.
Der HSV sollte also tunlichst nachziehen, auch wenn Walter vor dem Anpfiff im Sport1-Interview versicherte, der Tabelle keinerlei Beachtung zu schenken: „Wir sind noch früh in der Saison. Abgerechnet wird erst ganz am Schluss.“
HSV spielt gegen Düsseldorf erstmals unter 2G-Regeln
Nicht zu ignorieren war die Kulisse. Erstmals kam im Volksparkstadion die 2G-Regel zur Anwendung: Nur geimpfte und genesene Zuschauer erhielten Zugang – theoretisch bis zu 57.000. Am Ende wurden es 38.954, so viele wie seit März vergangenen Jahres nicht. Nach der bisher geltenden 3G-Regel, bei der auch negativ Getestete eingelassen wurden, war die Kapazität auf zuletzt 25.000 Plätze begrenzt gewesen. Auch die Maskenpflicht entfiel nun.
Auf die Unterstützung der lautesten Anhänger muss der HSV aber weiter verzichten. Die aktive Fanszene hatte am Donnerstag einen Stimmungsboykott angekündigt. Die gekommen waren, machten umso mehr Alarm.
HSV führt, Fortuna dezimiert sich selbst
Doch was sie zunächst auf dem Feld geboten bekamen, konnte ihnen nicht gefallen. Immer wieder überspielte die Fortuna feinen Fußes das HSV-Pressing, bis sie ihrerseits vor dem gegnerischen Tor auftauchte. Nach Flanke von Khaled Narey schoss sich Edgar Prib ans Standbein (6. Minute), kurz danach versuchte es der offenbar hoch motivierte Ex-HSVer Narey selbst aus der Distanz (8.). Und als Hamburgs Verteidiger Tim Leibold den Ball im Mittelfeld leichtfertig herschenkte, begann es im Volkspark-Rechteck zu grummeln (12.).
Eine Aktion genügte dem HSV, um die Stimmung umschlagen zu lassen. Sonny Kittel fand nahe dem Elfmeterpunkt Glatzel. Der Stürmer schüttelte mit einem genialen Ballkontakt Düsseldorfs Dragos Nedelcu ab und schloss trocken zum 1:0 ab (19. Minute). Kurz danach kam es für die Fortuna noch dicker: Edgar Prib traf Leibold am Rande des Spielfelds und der Körperverletzung am Knie. Schiedsrichter Christian Dingert wandelte nach Studium der Videobilder die Gelbe in eine Rote Karte um (25.).
Das Spiel war nun ein ganz anderes: Den Hamburgern eröffneten sich Räume, die frustrierte und dezimierte Fortuna verlor ihre anfängliche Ordnung.
HSV-Spieler in der Einzelkritik:
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Einzig den Vorwurf, das nicht zum 2:0 genutzt zu haben, musste sich der HSV jetzt noch gefallen lassen. Immerhin: Anders als noch gegen Sandhausen und in Bremen schien die Überzahl die Mannschaft auch nicht zu lähmen. Doch die großen Chancen blieben aus.
Das änderte sich nach der Halbzeitpause. Nach einem Pass von Meißner setzte Glatzel seinen Abschluss zu zentral an (52.), kurz danach verzog Meißner seinen Volleyschuss nach Glatzels Vorlage (55.).
Alidou feiert HSV-Profidebüt
Das hätte sich beinahe gerächt: Nach einem Pass von Rouwen Hennings lief Narey plötzlich allein auf Heuer Fernandes zu. Doch anstatt es selbst mit einem Torschuss zu versuchen, legte der frühere Hamburger quer zu Hennings und gab Jonas Meffert so die Chance, ultimativ dazwischenzugrätschen (59.). „Wenn ich es im Nachhinein sehe, hätte ich natürlich am Torwart vorbeilaufen können“, ärgerte sich Narey später.
Bliebe die Frage, warum der HSV in Überzahl einen solchen Konter überhaupt zuließ. Womöglich stellte sich auch Walter diese Frage und wechselte Heyer für Suhonen ein, um im Mittelfeld für mehr Sicherheit zu sorgen. Zudem durfte Alidou nun sein Profidebüt geben, für ihn verließ Meißner das Feld (63.).
Ex-Wunschspieler Bozenik schockt den HSV
Doch es waren die Einwechslungen der Düsseldorfer, die sich auszahlten: Narey fand Felix Klaus am ersten Pfosten, der legte gekonnt per Hacke an den ebenfalls gerade eingewechselten Robert Bozenik. Und der Slowake, um den sich einst auch der HSV heftig bemühte, schockte die Hamburger mit dem Ausgleichstor (71.).
„Wir wussten, dass hier trotz Unterzahl etwas geht und in der Viererkette Lücken waren. Das haben wir ausgenutzt“, sagte Narey, den man in Hamburg lange nicht mehr so stark gesehen hatte.
Harnik kritisiert HSV: „Fahrlässig“
Ein früherer Hamburger Angriffskollege rührte in der gleichen Wunde. „Ich kann nicht verstehen, warum man so fahrlässig mit einer Führung umgeht“, wunderte sich Martin Harnik am Sport1-Kommentatorenplatz. Immerhin: Die Fans schienen es der Mannschaft zu verzeihen. Die stellte ihre Bemühungen auch keineswegs ein. Vor allem Alidou wollte seine Premiere krönen, sein erster Abschluss rollte am rechten Pfosten vorbei (77.).
Allerdings schienen auch die Düsseldorfer mit einem Punkt nicht zufrieden zu sein. Und Heuer Fernandes war es zu verdanken, dass Narey mit seinem Schuss aus kurzer Distanz nicht das Spiel drehte (85.).
Die letzten Minuten gehörten dann dem HSV: Die größte Chance verpasste der eingewechselte Miro Muheim, sein Kopfball landete in den Armen von Fortuna-Torwart Florian Kastenmeier (90.+1). Das war’s.
Walter tadelt sein Team: „Einige scheinen nicht bereit zu sein“
HSV-Trainer Walter beließ es anschließend nicht bei interner Kritik. „Wenn du auf Ballbesitz spielst, musst du den Ballverlust besser absichern. Da muss man mehr Verantwortung fürs Team übernehmen und darf den Ball nicht verdribbeln. Das erwarte ich von meinen Jungs. Einige scheinen dazu noch nicht bereit zu sein und eher ihr Ding zu sehen.“
Harniks Kritik, trotz Führung und Überzahl am Risiko-Stil festzuhalten, ließ Walter nicht gelten: „So viele Chancen haben wir nicht zugelassen. Wir sind nicht konsequent aufs zweite Tor gegangen, das stört mich.“
Leichter wird es nicht: Am Freitag geht es für den HSV zum SC Paderborn.