Hamburg. Nach der Niederlage bei St. Pauli versuchen die HSV-Verantwortlichen die Ruhe zu bewahren – und einen Nachfolger für Dudziak zu finden.
Die HSV-Spieler sollten abschalten. Den freien Tag so richtig genießen. Mal nicht an Fußball denken. Die knappe Derbyniederlage beim FC St. Pauli aus den Köpfen kriegen, um mit neuer Energie in die Trainingswoche zu starten. Das war der Plan von HSV-Trainer Daniel Thioune nach dem 0:1 im Stadtduell am Millerntor. Rund fünf Monate ist dieser Abend auf St. Pauli her.
Fünf Monate, in denen sich beim HSV vieles verändert hat. Sieben neue Spieler haben die Verantwortlichen im Volkspark nach dem verpassten Aufstieg geholt. Zehn Spieler haben den Club verlassen. Mit Tim Walter kam für Thioune zudem ein neuer Trainer. Nur eines ist beim HSV gleich geblieben: die Stimmung nach dem erneut verlorenen Derby auf St. Pauli.
„Wir haben einen vor den Latz geknallt bekommen“, sagte Walter am Sonnabend, keine 15 Stunden nach seiner ersten Niederlage als HSV-Trainer. Ausgerechnet gegen St. Pauli. „Wir müssen uns schütteln und dann weitermachen“, sagte Walter und gab seiner Mannschaft nach dem Auslaufen zwei Tage frei. Köpfe frei kriegen. Abschalten. An andere Dinge denken. Und ab Dienstag mit neuer Energie in die Trainingswoche starten, um sich auf das Heimspiel gegen Darmstadt 98 am kommenden Sonntag vorzubereiten.
HSV-Fragen, die man nicht mehr hören kann
Die Stimmung rund um den HSV erinnerte am Wochenende an schon häufig erlebte Zeiten. Nach einem Kaderumbruch im Sommer, einem guten Saisonstart und der allseits diskutierten Frage, ob es diesmal klappt mit der Rückkehr in die Bundesliga, machen sich viele Fans nach der ersten Niederlage schon wieder Sorgen.
Ist der Kader gut genug, um oben mitzuspielen? Stellt der Trainer die richtigen Spieler auf? Müssen doch noch Neuzugänge her? Diskussionen, die man eigentlich nicht mehr hören kann. Die nach der verdienten Derbyniederlage aber wieder ihre Berechtigung haben.
Walter kritisiert fehlende Defensivbereitschaft
HSV-Coach Walter wollte nach einer Nacht mit wenig Schlaf über diese Fragen nicht sprechen. Stattdessen wählte er den Weg der direkten Kritik. In einer schonungslosen Analyse zeigte er seinen Spielern am Sonnabendmorgen ihre Fehler auf. Auch die etablierten Spieler wie Sonny Kittel, Tim Leibold oder David Kinsombi nahm der 45-Jährige nicht aus.
„Ich bin schon ein Mann der offenen Worte. Es ist wichtig, dass man Kritik annimmt und daraus lernt“, sagte der Hamburger Cheftrainer, der vor allem die fehlende Bereitschaft im Defensivverhalten kritisierte. „Wir haben Phasen in unserem Spiel, mit denen ich nicht zufrieden bin, in denen wir nicht die absolute Bereitschaft haben, gegen den Ball zu arbeiten und das Tor kompromisslos zu verteidigen.“
HSV: Die Spieler wechseln, die Probleme bleiben
Es ist ein altbekanntes HSV-Problem, auf das die Verantwortlichen immer wieder mit personellen Veränderungen im Kader reagieren. Als Analyse der vergangenen Saison, auch aus dem verlorenen Derby am Millerntor, hatte sich der HSV von mehreren Spielern getrennt, die im Volkspark über die Jahre zu viele Misserfolgserlebnisse mit sich herumgetragen haben.
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Aaron Hunt. Gideon Jung. Khaled Narey. Auch Rick van Drongelen. Nur vier Spieler standen am Freitagabend in der Startelf, die auch schon beim Stadtderby Anfang März von Beginn an gespielt hatten. Leibold, Kinsombi, Kittel und Bakery Jatta. Doch bis auf Jatta enttäuschten gerade diese Profis in der entscheidenden Spielphase.
HSV: Erhält Suhonen eine Chance von Walter?
Was Walter von seinen Vorgängern unterscheidet: Er scheut sich nicht vor vermeintlich größeren Namen. Es wäre keine Überraschung, wenn er den jungen Anssi Suhonen (20) anstelle von Kinsombi in die Startelf wirft. Unabhängig davon wissen auch die Verantwortlichen, dass sie im Kader nachbessern müssen, um die Ziele erreichen zu können.
Diese sind laut Walter zwar „sehr klein“, intern ist die Maßgabe allerdings klar definiert, auch in dieser Saison um den Aufstieg mitspielen zu können. Die Qualität des vorhandenen Kaders halten die HSV-Bosse dafür auch für ausreichend.
HSV darf sich über Dudziak-Deal freuen
Eine weitere Planstelle auf dem Transfermarkt ist dennoch definiert. Weil nach Amadou Onana und Klaus Gjasula mit Jeremy Dudziak ein weiterer zentraler Mittelfeldspieler den HSV verlassen wird, sucht der HSV einen Nachfolger. Dudziak wird zum Bundesligisten Greuther Fürth wechseln.
Die Franken zahlen eine Ablöse von rund 800.000 Euro, die bei entsprechenden Erfolgsfällen (wie dem Klassenerhalt) auf eine Million Euro anwachsen könnte. Kein schlechter Deal angesichts der Vertragsrestlaufzeit (2022) und der Tatsache, dass der HSV Dudziak nach Disziplinlosigkeiten ohnehin gerne abgeben wollte.
HSV beschäftigte sich mit St. Paulis Hartel
Bei der Suche nach einem Ersatz wird der HSV auch auf das nötige Profil für die typischen Zweitligaspiele achten, in denen sich der Club seit drei Jahren schwertut.
Nach Abendblatt-Informationen hatte sich der HSV auch mit dem gerade vom FC St. Pauli aus Bielefeld verpflichteten Marcel Hartel (25) beschäftigt. Es fehlte aber die letzte Überzeugung, den im Derby groß aufspielenden Achter zum HSV zu holen. Zwei Wochen ist der Transfermarkt noch geöffnet.
HSV sondiert weiter den Transfermarkt
Es gilt als sicher, dass der HSV einen Teil des durch den Verkauf von Onana eingenommenen Geldes (sieben Millionen Euro) für mindestens einen Neuzugang investieren wird. Trainer Walter sagte am Sonnabend, man sondiere bis Ende August den Markt. Grundsätzlich sei er mit dem Kader aber zufrieden.
Von seinem Kurs und seiner Spielidee wird sich Walter aber nicht abbringen lassen, so viel steht fest. Das Abwehrverhalten des jungen Jonas David (21) vor dem 1:2 sprach er zwar deutlich an („dämlich angestellt“), nahm den Verteidiger aber auch in Schutz: „Ich kann damit leben, wenn er mal einen Fehler macht.“
HSV: Walter will sich nicht an Jatta-Szene aufhalten
Walter muss vielmehr an der defensiven Stabilität seines gesamten Systems arbeiten. Der Trainer wollte sich daher auch nicht lange aufhalten mit dem möglichen Frust in der aktiven Fanszene oder dem Ärger über den nicht gegebenen Elfmeter an Bakery Jatta und der fehlenden Korrektur von Videoschiedsrichter Günter Perl, der vor allem bei Sportvorstand Jonas Boldt Erinnerungen weckte an eine Szene mit Timo Letschert gegen Osnabrück im Juni 2020.
Mögliche Folgen im mentalen Zustand seiner Mannschaft weist Walter ebenfalls von sich. „Wir sind am dritten Spieltag und noch in der Findungsphase“, sagte Walter und schaut lieber nach vorn. „Wir haben ja noch andere Derbys in der Vorrunde.“ Zum Beispiel in fünf Wochen. Dann muss der HSV zum Nordderby nach Bremen.
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