Hamburg. Bei der Wahl von Marcell Jansen bleiben die meisten Mitglieder der Versammlung fern. Lob kommt von Bürgermeister Tschentscher.
Für die Startelf reichte es noch nicht. Beim Testspiel des HSV III gegen Eutin 08 musste Marcell Jansen am Sonntagnachmittag zunächst auf der Bank Platz nehmen. Aus Fitnessgründen planten die Trainer Christian Rahn und Marcus Rabenhorst den frisch gewählten Vereinspräsidenten nur für einen Kurzeinsatz ein. 24 Stunden zuvor saß die Oberligamannschaft des HSV noch gemeinschaftlich auf der Westtribüne des Volksparkstadions und unterstützte ihren Teamkollegen bei der Mitgliederversammlung mit Erfolg. Nach 2019 wurde Jansen bereits zum zweiten Mal zum HSV-Präsidenten gewählt.
68,85 Prozent der Mitglieder gaben dem langjährigen HSV-Profi und Nationalspieler ihre Stimme. Sechs Monate nach seinem Rücktritt wegen eines Streits mit seinen früheren Vizepräsidenten Thomas Schulz und Moritz Schaefer geht Jansen nun mit zwei neuen Mitstreitern in seine zweite Amtszeit. Mit Bernd Wehmeyer (82,8 Prozent der Wählerstimmen) als neuen Vizepräsidenten und Schatzmeister Michael Papenfuß (89,45) hat Jansen jetzt seine Wunschkandidaten an seiner Seite. „Ich bin dankbar und stolz. Wir wollen ein Miteinander“, sagte Jansen, der den Mitgliedern zuvor sein Programm „Vereint 2025“ vorgestellt hatte.
Jansen muss HSV-Fans wieder vereinen
Als großer Erfolg wird Jansens Wahl allerdings nicht in die Vereinsgeschichte des HSV eingehen. Rund 70 Prozent sind zwar kein schlechtes Ergebnis, wegen eines fehlenden Gegenkandidaten aber alles andere als ein Wahltriumph.
Verstärkt wird diese Einschätzung durch die geringe Beteiligung. Nur 420 Stimmberechtigte von 83.704 Mitgliedern waren zu Beginn der Versammlung dabei. Als nach langen Problemen mit dem Wlan um 16.30 Uhr schließlich über Jansen abgestimmt wurde, zählte Versammlungsleiter Kai Esselsgroth aus dem Ehrenrat nur noch 382 gültige Stimmen. 263 Mitglieder stimmten für Jansen, 119 gegen ihn. Zum Vergleich: Bei seiner Wahl im Januar 2019 hatte er noch 799 Stimmen erhalten, als er sich gegen Ralph Hartmann (489) durchsetzte.
Viele Mitglieder drückten offenbar ihren Unmut über die Entscheidung des Beirats aus, mit Jansen nur einen Kandidaten zur Wahl zuzulassen. Zuvor wurde das Team um Marinus Bester abgelehnt, weil das Gremium den Kandidaten für das Amt des Schatzmeisters, den Fridays-for-Future-Aktivisten Philipp Wenzel (23), als ungeeignet bewertet hatte. Wenzel selbst verfolgte die Versammlung am Sonnabend im Stadion und schüttelte bei der Rede von Beiratsmitglied Mike Schwerdtfeger immer wieder mit dem Kopf, als dieser das Bester-Team der Lüge bezichtigte.
HSV-Ultras fehlen bei Jansen-Wahl
Die meisten Mitglieder, vor allem aus der aktiven Fanszene, waren gar nicht erst zur Versammlung gekommen. Und das trotz der richtungweisenden Wahl des neuen HSV-Präsidiums. Ob es allein an den fehlenden Gegenkandidaten lag, an den Hygieneauflagen durch die Präsenzveranstaltung oder am allgemein schwindenden Interesse am HSV, ist schwer zu beurteilen, schließlich waren es auch schon einmal weniger Teilnehmer in den vergangenen Jahren. Im Januar 2016 kamen nur 309 Mitglieder zur Versammlung ins CCH, als die damaligen Vorsitzenden Dietmar Beiersdorfer (Vorstand) und Karl Gernandt (Aufsichtsrat) das Rekordminus von 16,9 Millionen Euro erklären mussten.
Auch Wettstein kämpft um HSV-Fans
Am Sonnabend erklärte der aktuelle Vorstand um Jonas Boldt (Sport) und Frank Wettstein (Finanzen), warum es mit dem Aufstieg erneut nicht geklappt hat und warum der HSV einen Umsatzeinbruch von fast 50 Prozent verkraften muss. Ob das allein an den fehlenden Zuschauereinnahmen durch die Corona-Pandemie liege?
Wettstein kündigte in jedem Fall schon das nächste Millionenminus für das laufende Geschäftsjahr an. „Ich kann nur warnen, wenn jemand denkt, dass wir die Pandemie überstanden haben“, sagte Wettstein, der ankündigte, von Heimspiel zu Heimspiel mehr Fans im Stadion zulassen zu wollen. „Es wird um die Frage gehen, ob nur noch Geimpfte ins Stadion dürfen. Das ist nur noch eine Frage von Tagen“, sagte Wettstein mit Verweis auf die Ministerpräsidentenkonferenz am Dienstag.
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Ähnliche Andeutungen machte Hamburgs Erster Bürgermeister Peter Tschentscher im Abendblatt-Podcast „HSV – wir müssen reden“ (Montag ab 16 Uhr), der geimpften Fußballfans die Hoffnung macht, zeitnah wieder ohne Einschränkungen ins Stadion gehen zu dürfen. Tschentscher spricht auch über den alten und neuen HSV-Präsidenten. „Marcell Jansen ist ein großer Gewinn für den HSV. Er bringt vieles mit: Fachkenntnis im Fußball, eine sympathische Persönlichkeit und trotz seines jungen Alters ist er Profi in der Vereinsorganisation. Er ist ein sehr korrekter Typ“, sagt Tschentscher im Abendblatt.
Jansen will HSV-Fans mehr Einfluss geben
Für Jansen geht es darum, in seiner zweiten Amtszeit die Inhalte umzusetzen, um die er sich im alten Präsidium stritt. Vor allem die Besetzung des Aufsichtsrats der Fußball AG wird Jansen beschäftigen. Laut Satzung muss das Gremium aus sieben Mitgliedern bestehen. Aktuell sind neben Aufsichtsratschef Jansen noch Markus Frömming, Felix Goedhardt, Andreas Peters und Michael Krall dabei.
Jansen kündigte nach seiner Wahl bereits an, den neuen Schatzmeister Papenfuß in das Gremium aufnehmen zu wollen. Den letzten freien Platz soll ein Vertreter aus dem Fankreis bekommen. „Fans aus der Kurve können einem Aufsichtsrat und einem Vorstand ganz andere Impulse geben und werden auch gehört“, sagte Jansen, der sich bereits mit dem ehemaligen Vorsänger der aufgelösten Ultra-Gruppe Poptown, Henrik Köncke, beschäftigt hatte.
Noch am Abend saß Jansen mit dem Präsidium sowie AG-Aufsichtsrat Frömming im VIP-Bereich zusammen, um erste Pläne zu besprechen. Sie werden Ideen brauchen, wenn sie bis zur nächsten Versammlung nicht noch weitere Mitglieder verlieren wollen.