Hamburg. Jansen will HSV-Präsident werden. Er spricht über seine Ziele, den Beirat, den Präsidiumsstreit und vereinsschädigendes Verhalten.

Lange Zeit war es sehr ruhig um Marcell Jansen, der am 16. Februar nach einem heftigen Streit mit seinen Vizes Thomas Schulz und Moritz Schaefer als Präsident des HSV zurückgetreten war. Ein halbes Jahr später tritt Jansen auf der Mitgliederversammlung am Sonnabend (ab 11 Uhr) im Volksparkstadion mit einem eigenen Team an.

Einen Gegenkandidaten gibt es nach der umstrittenen Beiratsentscheidung für ihn nicht. Vor der Wahl wagt Jansen in einem zweistündigen Gespräch mit dem Abendblatt den Blick zurück nach vorn.

Hamburger Abendblatt: Herr Jansen, bei einer Skala von eins bis zehn – zehn: EM-Finale, eins: Trainingskick mit HSV III – wie hoch ist Ihr Aufgeregtheitslevel vor der Mitgliederversammlung?

Marcell Jansen: Aufgeregtheit, Nervosität und vor allem Vorfreude sind im Laufe dieser Woche von einer guten Fünf auf eine gute Neun gestiegen. Und noch sind es ja ein paar Stunden, in denen vielleicht auch noch die Zehn erreicht wird. Ich bin ein überzeugter Vereinsmensch oder anders: Ich freue mich einfach auf die Mitgliederversammlung.

Jansen: Das hat dem HSV geschadet

Der Höhepunkt der Versammlung soll Ihre Wiederwahl als alter und neuer Präsident des HSV werden. Wird das aus Ihrer Sicht ohne Gegenkandidaten ein Selbstläufer?

Jansen: Natürlich nicht. Wobei ich diese Frage ganz unabhängig davon beantworte, ob am Ende nur ein Kandidat oder 20 Kandidaten zugelassen wurden. Es ist doch klar, dass ich meine Überzeugungen und inhaltlichen Punkte bestmöglich bei der Mitgliedschaft rüberbringen möchte. Ich sollte nicht aus Mangel an Alternativen gewählt werden, sondern weil die Mitgliedschaft mich für den geeigneten Präsidenten hält.

Zum Liveticker der Mitgliederversammlung: Wird Jansen neuer HSV-Präsident?

Am Ende reichen Ihnen 50 Prozent. Gibt es eine Grenze, die Sie für sich für ein überzeugendes Ergebnis beanspruchen? Eine Dreiviertelmehrheit zum Beispiel?

Jansen: Ich bin Demokrat und würde jedes Ergebnis akzeptieren. Aber selbstverständlich hoffe ich auf ein deutliches Votum, das mir und meinen zukünftigen Präsidiumskollegen Rückenwind gäbe. Wenn 51 Prozent für etwas sind und 49 Prozent dagegen, dann ist es schwieriger, eine gemeinschaftliche Basis aufzubauen. So eine zerrissene Stimmungslage würde ich gerne vermeiden. Wir wissen ja, was mit zerrissenen Vereinen passiert: Davon ist schon der eine oder andere in die Zweite Liga abgestiegen.

Der Beirat hat Marinus Bester und sein Team nicht zur Wahl zugelassen, wofür Sie gar nichts konnten. Trotzdem: Hat Ihnen die Entscheidung geschadet?

Jansen: Das weiß ich nicht. Es wäre schade, weil ich ja überhaupt nichts mit der Beiratsentscheidung zu tun habe. Viele waren von der Entscheidung irritiert, es gab aber auch viele, die Verständnis hatten. Besonders, nachdem sich ein Kandidat (Philipp Wenzel, die Red.) sehr despektierlich über die sozialen Medien äußerte. Ich kann die Enttäuschung total verstehen, fand die vereinsschädigenden Aussagen aber sehr unpassend. Was Marinus Bester betrifft: Ihn schätze ich sehr als Mensch.

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    Muss das Beiratsprozedere Ihrer Meinung nach überarbeitet werden?

    Jansen: Der Beirat hat einerseits nur seine satzungsgemäße Pflicht erledigt. Andererseits bin ich der Meinung, dass man in einem unaufgeregten Prozess mit dem Beirat und der Mitgliedschaft das ganze Verfahren aufarbeiten, hinterfragen und gegebenenfalls optimieren könnte.

    Der Beirat hat Philipp Wenzel abgelehnt, Ihren designierten Vize Bernd Wehmeyer aber nicht, obwohl er bei der AG angestellt ist. Viele sprechen von einem möglichen Interessenkonflikt …

    Jansen: Juristisch haben wir das natürlich vorab alles prüfen lassen – und es gibt keinerlei Bedenken. Aus „Good Governance“-Gründen würde Bernd natürlich auch nicht Mitglied im AG-Aufsichtsrat werden. Aber viel wichtiger ist doch, welchen Mehrwert Bernd Wehmeyer dem HSV e.V. brächte. Er ist HSVer seit 1978, hat 1983 den Pokal in Athen in die Höhe gestemmt, hat innerhalb und außerhalb Hamburgs wahnsinnig viele Kontakte und ist überall und bei jedem hoch angesehen. Einen besseren Vizepräsidenten könnte ich mir nicht vorstellen.

    Er muss sich bei der Wahl aber zunächst einmal gegen Ralph Hartmann durchsetzen. Wäre es für Sie auch denkbar, mit einem Vize Hartmann eine Wahl anzunehmen?

    Jansen: Auch Ralph Hartmann schätze ich. Aber es ist doch logisch, dass ich mich für meinen Teamkollegen Bernd ausspreche, dessen Profil meines Erachtens perfekt passt. Sollte aber statt ihm Ralph Hartmann gewählt werden, dann würde ich das als Demokrat natürlich respektieren und akzeptieren.

    Wie Jansen den HSV verändern will

    Wir haben viel über Personen gesprochen, kommen wir nun zu den Inhalten: Sie treten mit dem Programm „Vereint 2025“ an, das noch nicht öffentlich einsehbar ist. Was wollen Sie in Ihrer zweiten Amtszeit erreichen?

    Jansen: Ich habe unser Programm natürlich schon in mehreren vereinsinternen Runden vorgestellt. Der Name ist Programm: Mir ist vor allem wichtig, dass unser Verein wieder vereint ist. Der gemeinschaftliche Weg ist mir wichtig – auch wenn Reibung gewünscht ist. Seit letztem Jahr April sind wir zusammen mit der AG einen sehr harten Weg gegangen, der mir schon die eine oder andere schlaflose Nacht bereitet hat. Wenige Wochen nach meiner Ernennung zum Aufsichtsratsvorsitzenden haben wir den Aufstieg verpasst, standen ohne Hauptsponsor und vielen anderen Partnern da, hatten keinen Draht zur Stadt und waren mitten in der Corona-Krise. Das waren keine schöne Zeiten. Aber gemeinschaftlich haben wir viele gute Dinge auf den Weg gebracht, zu denen beispielsweise auch der Stadion-Deal mit der Stadt zählt. Auch das Bekenntnis von Thomas Böhme, der als Erster seit vielen Jahren wieder Anteile gekauft hat, fand ich stark. Und ich möchte, dass e.V. und AG auch weiterhin vereint auftreten.

    Können Sie die Inhalte von „Vereint 2025“ etwas konkreter benennen?

    Jansen: Ich möchte vor der Mitgliederversammlung noch nicht zu sehr ins Detail gehen. Aber mir ist sehr wichtig, dass wir neue Dialogplattformen schaffen. Wir wollen einen besseren Austausch innerhalb der Stadt hinbekommen – aber auch unsere Strukturen zwischen e.V. und AG auf den Prüfstand stellen, ein noch besseres Miteinander unserer beiden Geschäftsstellen erreichen. Und wir wollen den HSV in der Stadt wieder sichtbarer werden lassen. Auch die Hamburger Wirtschaft und der HSV sollen besser zueinanderfinden. Es gibt viele Aufgaben im Changemanagement. Das Stadion muss digitalisiert werden. Und natürlich geht es darum, die Rückkehr der Fans nach der Corona-Krise mit zu begleiten. Erste Schritte sind getan.

    Jansens Pläne für den HSV-Aufsichtsrat

    Während der Corona-Krise hat die aktive Fanszene vier Positionspapiere mit Anregungen und Forderungen formuliert. Haben Sie diese Gedanken in Ihrem Programm aufgenommen?

    Jansen: Absolut. Ich muss gestehen, dass ich wenig mit dem theoretischen Aufsatz und der Überschrift „Quo vadis, HSV?“ anfangen konnte, in dem fehlende Diversität oder mangelnde Inklusion beklagt werden. Wir leben beim HSV Diversität und Inklusion, sowohl auf der Geschäftsstelle als auch in unserem Gesamtverein. Für uns ist das das Normalste der Welt, aber vielleicht müssen wir in Zukunft noch mehr darüber reden. Geschlecht, Hautfarbe, Sexualität, Nationalität – das alles spielt überhaupt keine Rolle. Wir wollen Hamburg bewegen – und uns gemeinsam in Hamburg bewegen. Der HSV ist einer der größten Sportvereine dieser Welt. Und trotzdem gibt es natürlich auch beim HSV Bedarf, sich weiterzuentwickeln und sich zu verbessern. Besonders das Thema Nachhaltigkeit steht ganz oben auf der Agenda. Auch Fankultur, Mitgliedschaft und die Transformation zu einem digitalisierten, modernen Sportverein sind wichtig. Der erste Hebel hierfür ist der Aufsichtsrat, der nach der Wahl des Präsidiums nachbesetzt wird.

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    Um diesen Hebel gab es den größten Streit mit Ihrem alten Präsidiumsteam. Wie lange würde es nach einer Wahl dauern, bis Sie das Kontrollgremium neu besetzen werden?

    Jansen: Hoffentlich nicht lange. Klar ist für mich, dass im Falle einer Wahl auch Michael Papenfuß als Mann der Zahlen für den Verein in den AG-Aufsichtsrat gehört. Aber die Wahrheit ist ja, dass es mit meinen ehemaligen Präsidiumskollegen gar nicht so großen Streit um die Personen und Inhalte gab. Ich habe mich beispielsweise mit einer potenziellen Kandidatin getroffen, die von meinen Kollegen vorgeschlagen wurde und mit der ich mich inhaltlich ausgezeichnet verstanden habe. Ich hätte sie genauso gerne für unseren Aufsichtsrat gewonnen. Doch plötzlich stand in einer Beschlussvorlage ein ganz anderer Name, nämlich der eines gerade erst zurückgetretenen Aufsichtsratskollegen (Max-Arnold Köttgen, die Red.). Da war ich natürlich irritiert. Irgendwann gab es keine Grundlage mehr, auf der wir gemeinsam diskutieren konnten. Und deswegen war es folgerichtig, dass wir dann gemeinsam als Präsidium zurückgetreten sind.

    Herrscht seit dem Dreierrücktritt eigentlich Funkstille?

    Jansen: Ja. Wir haben zu dritt einfach kein gutes Bild für den Verein abgegeben. Aber dieses Kapitel liegt glücklicherweise hinter uns. Was ich aus der ganzen Geschichte gelernt habe: Es ist wichtig, dass man sich als ein Präsidiumsteam zusammenfindet. Ich wurde damals als Präsident gewählt, war dann aber Teil vom Team Hoffmann. Das hat leider nicht geklappt. Jetzt hoffe ich, dass wir mit Michael Papenfuß und Bernd Wehmeyer das Vertrauen der Mitglieder gewinnen können.

    Jansen über Verkauf von HSV-Anteilen

    Bleiben Sie dabei, dass Sie die 24,9-Prozent-Regel schützen wollen?

    Jansen: Es gab ein mehrjähriges Versprechen an die Mitgliedschaft, erstmalig die 24,9-Prozentgrenze festzuzurren. Dafür habe ich mich mit dem damaligen Supporters Club sehr starkgemacht. Ein früherer Kollege aus dem letzten Präsidium (Thomas Schulz, die Red.) hat aber genau in dieser Mitgliederversammlung die Bühne genutzt, um dieses Schlupfloch auszunutzen. Dagegen haben die Mitgliederschaft und ich uns vehement ausgesprochen. Ich möchte einen gemeinschaftlichen Weg zwischen e.V. und AG, genauso wie ihn jetzt auch die Bewegung „Unser HSV“ angemahnt hat.

    Wie kann dieser Weg im Hinblick auf eine neue Rechtsform aussehen?

    Jansen: Ich unterstütze den Antrag von Niko Ehling von „Unser HSV“, dass wir in einem vernünftigen Rahmen über unsere Rechtsform debattieren. Alle HSVer gemeinsam. Präsidium, AG-Vorstand, Gremien, Mitglieder. Vereint.

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    Jansen: Natürlich wollen wir den maximalen Erfolg. Aber ich bin kein Freund davon, vor einer Mitgliederversammlung populistische Parolen wie „Aufstellen für Europa“ rauszuhauen und diese dann nicht im Geringsten einhalten zu können. Aufstieg um jeden Preis? Auf gar keinen Fall! Wir wollen die Wahrscheinlichkeit erhöhen, um erfolgreich zu sein. Ein erster Schritt wäre „Vereint 2025“. Denn die Clubs, die im Sommer aufgestiegen sind, hatten keine Streitigkeiten im Verein. Die waren als Gemeinschaft stark. Das wünsche ich mir auch für den HSV.