Hamburg. Sven Freese setzt sich gegen Martin Oetjens durch. Was die Wahl des Ultra-nahen Fanchefs für die weitere HSV-Zukunft bedeuten könnte.
Am Sonntagmorgen mussten Sven Freese und Martin Oetjens erst einmal durchatmen. Während Freese mit Ehefrau Anna im Niendorfer Gehege spazieren ging, ließ Oetjens seine Seele auf seinem Bötchen im Hafen von Harburg-Neuland baumeln. Immerhin sechs Stunden und 14 Minuten hatten die beiden Konkurrenten um den Vorsitz der 72.000-Mann-HSV-Mitgliederabteilung am Vortag in der längsten Supporters-Club-Wahl aller Zeiten und der ersten HSV-Digitalwahl überhaupt ausgehalten, ehe das Ergebnis amtlich war.
Mit 741 zu 669 Stimmen hatte sich nach dem mehr als sechsmonatigen Wahlkampf Freese durchgesetzt. „Wir freuen uns über das Votum, wissen aber auch, was für eine riesige Verantwortung uns übertragen wurde“, sagte Freese am Sonntag dem Abendblatt.
Übertragen wurde ihm und seinen vier Mitstreitern diese Verantwortung kurioserweise am Vortag auch von Konkurrent Oetjens, der in den vergangenen sechseinhalb Jahren neben dem scheidenden Supporterschef Tim-Oliver Horn als dessen Stellvertreter die Abteilung geleitet hatte: „So ist das Votum der Mitglieder. Timo und ich sind jetzt HSV-Rentner“, sagte Oetjens scherzend.
HSV-Wahl: Fragen zu Hoffmann und Jansen
Durchaus ernst war es am Sonnabend in der digitalen Frage-und-Antwort-Runde vor der Wahl zugegangen. 1410 Supporters hatten sich ab 11 Uhr digital in den Volkspark geschaltet, wo die getesteten und auf Abstand stehenden Kandidatenteams um Freese und Oetjens im Presseraum des Stadions zur Verfügung standen.
Neben Wahlprogramm und Wahlversprechen ging es HSV-like natürlich auch um Personen, Lager und um die Vergangenheit. Ex-Vorstand Bernd Hoffmann, unter dem Freese einst in der HSV-Fanbetreuung gearbeitet hatte, war genauso ein Thema wie Ex-Präsident Marcell Jansen, dem Oetjens im Hinblick auf die kommende Mitgliederversammlung im Sommer sein uneingeschränktes Vertrauen aussprach.
Ultra-naher Freese macht Gesprächsangebote
Gewählt wurden dann aber doch nicht Hoffmann oder Jansen, sondern ganz schnöde die neue Abteilungsleitung. Als Stellvertreter von Freese wurde Christian Bieberstein gewählt, der selbst mal Supporterschef war und der sich mit 673 zu 524 Stimmen gegen Michael Richter durchsetzen konnte. Das Team Freese komplettieren ab sofort Kimberly Barcelona, Pascal Hargens und Simon Philipps, denen man vor allem zur aktiven Fanszene eine größere Nähe als dem Konkurrenz-Team um Oetjens nachsagt.
Und obwohl Freese nie einen Hehl aus seiner Nähe zum Ultralager machte, war es dem neuen Abteilungsleiter am Tag nach seiner Wahl ein Anliegen, das Gesprächsangebot an alle HSVer zu betonen: „Wir wollen alle miteinander etwas auf die Beine stellen: miteinander reden, miteinander machen, miteinander Dinge vorantreiben“, sagte Freese, der damit bereits an diesem Montag loslegen will.
Ein erstes Gespräch mit der Geschäftsstelle des HSV e. V. ist bereits terminiert, weitere Kennenlernrunden mit der HSV AG sollen folgen. „Wir werden uns natürlich auch bei allen Gremien des HSV in Kürze vorstellen: Vorstand der AG, Aufsichtsrat, Fanbetreuung, Ehrenrat, Beirat, und, und, und ...“
Unbequemer Freese nutzt gerne seinen Einfluss
Dass es bei Vorstellrunden nicht bei einem gemütlichen Kaffee bleiben wird, machten Freese und Co. bereits in den vergangenen Wochen und Monaten des Wahlkampfs deutlich. Die neuen Supporterschefs wollen lauter, deutlicher und auch ein wenig radikaler auftreten. „Der HSV Supporters Club, die Fan- und Mitgliederorganisation, braucht mehr Mut, mehr Stärke und eine klare Stimme. Wir als Team sind überzeugt, dass wir dem SC die notwendigen Impulse geben werden. Wir brauchen einen Supporters Club, der sich für alle Fans einsetzt“, erklärte Freese in seiner Rede. „Wir werden jetzt Vollgas geben.“
Ob es sich bei der „Vollgas“-Ankündigung um ein Versprechen oder eine Drohung handelt, werden bereits die kommenden Wochen zeigen. Freese gilt als engagierter, aber auch unbequemer Kopf, der seinen Einfluss auf die aktive Fanszene aus dem Hintergrund gerne nutzt. Auch beim Präsidiumsstreit vor einigen Monaten, als Präsident Marcell Jansen und dessen Vize Thomas Schulz und Moritz Schaefer über Kreuz lagen, soll Freese durch seinen Bekannten Schaefer immer im Bilde gewesen sein.
"Wir wollen der Mitmach-Supporters-Club werden"
Was seine Wahl jetzt für die noch nicht terminierte Mitgliederversammlung im Sommer, auf der ein neues Präsidium gewählt werden muss, bedeutet, wollte Freese am Sonntag nicht beantworten: „Die nächste Mitgliederversammlung ist noch viel zu weit weg, um sich darüber jetzt schon detaillierte Gedanken zu machen.“
Nun allerdings umgehend einen neuen Machtkampf heraufzubeschwören, würde der neuen Abteilungsleitung nicht gerecht. Freese und Co. wollen vor allem fankulturelle Themen wie Identität, Partizipation oder Pyrotechnik wieder stärker in den Vordergrund rücken. „Wir wollen der Mitmach-Supporters-Club werden“, sagte Freese am Sonntag.
Freese und Otjens im HSV-Podcast (Oktober 2020):
HSV: Jansen ein Verlierer der Supporters-Wahl?
Zumindest in der Leitung nicht mehr mitmachen darf Martin Oetjens. Denn wo es Gewinner gibt, da gibt es auch Verlierer. Und neben Freese-Konkurrent Oetjens muss sich möglicherweise auch Präsidentschaftsanwärter Jansen als so einer fühlen. Denn dieser durfte sich nicht nur beim Präsidiumsstreit vor einigen Wochen und bei seiner wahrscheinlichen erneuten Kandidatur der Unterstützung der bisherigen Abteilungsleitung gewiss sein.
Auch bei seinem Anliegen einer neuen Rechtsform hatten Oetjens und Co. mit dem zurückgetretenen Vereinspräsidenten Doppelpass gespielt. Oetjens hatte sogar einen Antrag für eine Umwandlung der Fußball AG in eine GmbH & Co. KGaA eingereicht. Allerdings hatte der 50-Jährige auch betont, dass er diesen Antrag ohne das Votum der Mitglieder bei der Wahl wieder zurückziehen würde.
HSV-Umstrukturierung: Hunke ergreift das Wort
Wie heiß das Eisen Rechtsform ist, wurde zum Ende der ersten Digitalversammlung am Sonnabend noch einmal deutlich, als unter Tagesordnungspunkt „6. Verschiedenes“ Ex-Aufsichtsrat und Ex-Präsident Jürgen Hunke das Wort hatte. Hunke listete gleich drei ihm wichtige Punkte zu einer möglichen Rechtsformänderung auf.
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So forderte der frühere Multifunktionär des HSV, dass frühestens nach einem Bundesligaaufstieg über eine Umwandlung in eine KGaA diskutiert wird – und auch erst dann, wenn sichergestellt ist, welche Investoren verbindliche Anteile erwerben wollen und wie hoch das Mindestangebot der Anteile für den Verkauf sein würde.
Ob und wann eine neue Rechtsform kommen wird, ist nun ungewisser denn je. Umso klarer ist dagegen, dass es beim HSV nicht langweilig wird.