Hannover/Hamburg. HSV bricht nach einer 3:0-Führung in Hannover ein und geht nach dem erneuten Tiefschlag angeknockt ins letzte Saisonviertel.
Eines muss man Petrus wirklich lassen: Der Türsteher des Himmels, der im Volksglauben auch für das Wetter verantwortlich gemacht werden darf, hatte am Ostermontag die passende Atmosphäre für die Stimmung am Tag nach dem enttäuschenden 3:3 des HSV in Hannover gefunden.
Genau in dem Moment, als Sportdirektor Michael Mutzel die quälend lange Treppe vom Volksparkstadion zu den wartenden Journalisten herunterschritt, ließ der Sprecher der Apostel so ziemlich alles auffahren, was er in seinem Wetter-Repertoire hatte: Innerhalb von wenigen Sekunden verdunkelte sich der zuvor strahlend blaue Himmel, und es folgten Regen, Schnee, Graupel und Hagel. „Geht hier etwa gerade die Welt unter?“, fragte Mutzel, dessen HSV-Welt bereits am Vortag aus den Fugen geraten schien.
Denn auch am Ostersonntag waren es nur wenige Minuten, die reichten, um aus eitel Sonnenschein ein gefühltes Sieben-Tage-Regenwetter zu kreieren. So hatte der HSV das Kunststück vollbracht, durch drei Tore von Aaron Hunt mit 3:0 in Führung zu gehen, ehe 96 in nur einer halben Stunde das Spiel drehte und kurz vor Schluss zum 3:3 ausglich. Ausgerechnet zu Ostern waren die Hannoveraner von den Totgeglaubten auferstanden und verhagelten dem HSV die Festtagsstimmung.
HSV-Frust über 3:3 in Hannover
„Wenn man 3:0 führt und dann 3:3 spielt, hat man verdammt viel falsch gemacht. Das war völlig überflüssig,
wir dürfen uns alle zu Recht darüber ärgern“, schimpfte Trainer Daniel Thioune direkt nach der Partie am
Ostersonntag bei Sky. „Es war eine gefühlte Niederlage, die einen faden Beigeschmack hat. Die Enttäuschung ist sehr, sehr groß.“
Mit einer Nacht des Drüberschlafens änderte sich an der HSV-Gefühlswelt nur wenig, lediglich ein „sehr“ wollte über Nacht verschwinden: „Die Enttäuschung ist sehr groß“, sagte also Sportdirektor Mutzel, der den undankbaren Job hatte, diese HSV-Enttäuschung in der Endlosschleife immer wieder am Tag danach in Worte zu fassen.
HSV, der Meister der verschenkten Punkte
Tatsächlich war es in dieser Saison nicht das erste Mal, dass die Hamburger bei neutraler Betrachtung als das bessere Team galten, diese deutliche Überlegenheit allerdings nicht in Punkte umwandeln konnten. Ähnliches war dem HSV auch schon gegen Heidenheim und Aue passiert, als man die Gegner teilweise an die Wand spielte, sich hochverdiente 2:0-Führungen herausarbeitete und am Ende (fast) mit leeren Händen dastand. In Heidenheim verlor Thiounes Mannschaft noch mit 2:3, gegen Aue reichte es wie in Hannover nur zu einem unbefriedigenden 3:3.
Doch damit nicht genug. Auch gegen die Aufstiegskonkurrenten Greuther Fürth (0:0) und Holstein Kiel (1:1), sowie bereits im Hinspiel gegen Hannover (0:1) war der HSV die klar bessere Mannschaft, konnte aber kein einziges dieser Spiele gewinnen. Wenn man so will, dann sind die Hamburger in dieser Saison die unangefochtenen Meister der verschenkten Punkte.
Bleibt nur die schwierige Frage nach dem Warum. „Im Endeffekt ist es immer das Gleiche, wenn wir ein bisschen nachlassen“, sagte Mutzel, als er im nicht nachlassenenden Schneegestöber nach Antworten suchte. „In Hannover haben wir vor allem beim Verteidigen nachgelassen. Dann hat fast jede Mannschaft in der Zweiten Liga genug Qualität, um uns wehzutun. Das haben Haraguchi und Ducksch ausgenutzt. Auf einmal steht es 3:3, und keiner weiß so richtig, warum.“
HSV wehrt sich gegen Arroganz-Vorwurf
Haben sich die Hamburger zu sicher gefühlt? Ist es Arroganz? Überheblichkeit? Nein. Nein. Und nein. Behauptete zumindest Mutzel. „Ich kenne die Jungs. Dieses ,Man ist überheblich‘ oder ,Wir sind uns zu sicher‘, das ist eigentlich nicht unsere Mannschaft. Wir hatten nach den Gegentoren trotzdem noch große Chancen, das Spiel zu entscheiden. Das ist uns nicht gelungen, und deshalb tut es besonders weh.“
Was Mutzel meinte: Während der HSV gegen Heidenheim und Aue regelrecht eingebrochen war, wollte der Sportdirektor Ähnliches in Hannover nicht beobachtet haben. So habe Bobby Wood gleich zweimal die Chance zur Wiedergutmachung verstreichen lassen, der eingewechselte Simon Terodde ein reguläres Tor erzielt, das dennoch nicht gegeben wurde, und David Kinsombi in der Nachspielzeit noch die riesige Chance auf den Treffer zum 4:3 liegen lassen.
„Der Unterschied zu Aue und Heidenheim war, dass wir nicht so viele Möglichkeiten hatten, das Spiel zu entscheiden. Ich sehe nicht so sehr die Parallelen zu dem Aue- oder Heidenheim-Spiel. Fakt ist, dass wir uns diese Abwehrfehler nicht erlauben dürfen.“
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HSV-Talent Onana zahlt Lehrgeld in Hannover
Gegen Hannover war es gleich zweimal Youngster Amadou Onana (19), der durch Fehlpässe den Gegner zurück ins Spiel brachte und so entsprechend Lehrgeld zahlen musste.
Doppelt ärgerlich für das HSV-Nesthäkchen: Weil der Belgier auch noch die fünfte Gelbe Karte sah, wird er das Geschehene im Heimspiel am Freitagabend gegen Darmstadt nicht direkt wieder gutmachen können. Für Onana dürfte Moritz Heyer wieder ins Mittelfeld vorrücken, der genesene Innenverteidiger Rick van Drongelen könnte dann erstmals nach knapp zehn Monaten wieder in die Startelf rutschen.
HSV hofft auf diesen Punkteschnitt
Die Partie gegen die Lilien ist so etwas wie der Startschuss ins letzte Saisonviertel, das über eitel Sonnenschein oder einen veritablen Sommersturm entscheiden wird. „Wenn wir es beibehalten, miteinander zu verteidigen und dem Gegner wehzutun sowie unangenehm zu sein, dann bin ich mir sicher, dass wir theoretisch alle sieben Spiele gewinnen können“, sagte Mutzel.
Trotz des mutmaßlich einfachen Restprogramms gegen fast nur noch Gegner aus der unteren Tabellenhälfte warnte der Manager: „Wenn wir ein bisschen nachlassen und weniger verteidigen, kann man auch gegen Mannschaften von unten verlieren. In der Vorrunde haben wir gegen diese Gegner viele Punkte geholt und auch gut gespielt.“
Das soll nun im Endspurt nachgeholt werden. Mutzels Bundesligakalkulation: 2,0 Punkte aus den restlichen sieben Spielen dürften aus seiner Sicht zum direkten Aufstieg und zum erhofften HSV-Hoch reichen. „Es wird bis zum Ende eng bleiben, das sieht man daran, wie gut und konstant die anderen Mannschaften sind“, sagte Mutzel und strich sich die Hagelkörner vom Kopf. „Wir haben es immer noch selbst in der Hand.“
Die Statistik:
- Hannover: Esser – Muroya, Franke, Falette, Hult – Kaiser (46. Doumbouya), Haraguchi – Twumasi (69. Maina), Muslija (69. Ochs), Sulejmani (46. Bijol) – Ducksch (89. Frantz).
- HSV: Ulreich – Vagnoman, Ambrosius, Heyer, Gyamerah – Onana – Kittel (88. Jatta), Leibold (71. Narey) – Hunt (85. Dudziak) – Wood (71. Terodde), Wintzheimer (85. Kinsombi). – Trainer: Thioune
- Schiedsrichter: Florian Badstübner (Windsbach)
- Tore: 0:1 Hunt (14.), 0:2 Hunt (34.), 0:3 Hunt (50.), 1:3 Haraguchi (56.), 2:3 Ducksch (68.), 3:3 Haraguchi (84.)
- Gelbe Karten: – Heyer (3), Onana (5)