Hamburg. HSV-Trainer spricht über Rassismus-Erfahrungen und kritisiert Umgang mit gesellschaftspolitischen Themen.
Am Sonnabend um kurz vor 21 Uhr erlebte Daniel Thioune mal wieder einen Gänsehautmoment. Der HSV-Trainer schaute sich das Spiel der deutschen U-21-Nationalmannschaft gegen die Niederlande an und sah am Fernseher, wie Josha Vagnoman die Nationalhymne sang. Für Thioune nicht nur ein besonderer Moment, weil er den 20 Jahre jungen Außenverteidiger seit neun Monaten trainiert und fördert, sondern auch, weil mit Vagnoman und Stephan Ambrosius gleich zwei schwarze Fußballer vom HSV bei der EM dabei sind.
„Es ist Gänsehaut für mich zu sehen, wenn Josha die Hymne singt. Es ist die Vielfalt, die wir in unseren Farben tragen und auch über die Grenzen hinaus getragen wird. Das ist ein besonderer Moment. Da darf man stolz drauf sein“, sagte Thioune im Podcast HSV-Matrix des Bereichs Fankultur.
Thiounes schreckliche Rassismus-Erfahrung
Dass der Moment, der im Jahr 2021 eigentlich kein besonderer Moment mehr sein sollte, Thioune emotional so stark berührt, hat vor allem mit seiner eigenen Geschichte und mit Erlebnissen zu tun, die er selbst als schwarzer Fußballprofi des VfL Osnabrück und des VfB Lübeck erlebt hat. „Es sind Momente eingetreten, die ich mir niemals so gewünscht hätte. Wenn man als Fußballer irgendwo im Osten unterwegs ist und Zehntausende rufen „Haut den Neger um“, dann löst das sicherlich etwas aus.“
Für Thioune waren diese Momente ein Grund, warum der in Osnabrück geborene und aufgewachsene Thioune mit der deutschen Nationalmannschaft fremdelte. „Dann fällt es einem schwer, in einem Land, in dem man aufgewachsen ist, bei der einen oder anderen Europameister- oder Weltmeisterschaft mit den deutschen Farben zu halten. Dann distanziert man sich auch, obwohl man hier geboren und aufgewachsen ist und eine Wertehaltung vertreten möchte“, sagte Thioune ganz offen.
Und weiter: „Wenn dann aber wie beim Sommermärchen 2006 David Odonkor in der letzten Minute auf Oliver Neuville flankt, dann sind es nicht zwei, die nur arische Vorfahren haben. Sie sind eben nicht komplett weiß pigmentiert. Das ist dann der Augenblick, in dem ich mich gut fühle und auch Fan der Mannschaft und des Landes bin.“
Rassismus: Was sich Thioune von Fußballern wünscht
Das Gespräch mit dem Trainer war Teil der HSV-Aktion „Raute ist Vielfalt“ anlässlich des internationalen Tages gegen Rassismus. Thioune musste nicht lange überlegen, zusammen mit Simon Philips vom Netzwerk Erinnerungsarbeit sowie den Organisatoren André Fischer und Lukas Rind vom Bereich Fankultur eine Stunde lang über gesellschaftliche Themen zu sprechen. Dabei ging es nicht nur um Rassismus, sondern auch um eine Haltung zu gesellschaftspolitischen Themen insgesamt.
Unter Thioune gibt es für seine Spieler keinen Verhaltenskodex, wenn es darum geht, Werte zu leben. Im Gegenteil. Er wünscht sich sogar noch mehr mündige Spieler. Weil er weiß, welche Wirkung Fußballer und Trainer erzeugen können.
„Gerade als jemand, der eine gewisse Wertevorstellung hat, ist es für mich als Fußballtrainer eine große Chance, sie auch kundzutun. Das habe ich mit großer Wucht gemerkt, als ich mich zur Causa Bakery Jatta geäußert habe. Ich kann mehr Menschen erreichen und etwas anregen. Man darf gerne den Finger heben und das ist etwas, was ich gerne tue.“
George Floyd: Thioune kritisiert Verbände
Im September 2019 hatte sich Thioune, damals noch als Trainer des VfL Osnabrück, ungefragt zur Identitätsdebatte um Jatta geäußert und die Einsprüche anderer Clubs gegen die Spielwertungen kritisiert. Für seinen Satz wurde er später mit dem Fußballspruch des Jahres ausgezeichnet. Thioune freut sich, dass mehrere Nationalmannschaften, unter anderem auch die deutsche, zuletzt mit T-Shirts auf die Menschenrechtsverletzungen bei WM-2022-Gastgeber Katar aufmerksam machten.
Gleichzeitig kritisiert er die Verbände, die den Fußballern untersagen, politische Botschaften zum Ausdruck zu bringen. „Da widersprechen wir uns immer wieder“, sagt Thioune und erinnert an Spieler, die nach dem Tod des schwarzen US-Bürgers George Floyd durch Polizeigewalt ihren Protest auf ihren T-Shirts trugen. Die Spieler wurden zwar nicht sanktioniert, aber ermahnt.
„Es ist nicht gut, wenn ein Spieler vorher drüber nachdenken muss, ob er Haltung zeigt und für Werte einsteht, indem er sein T-Shirt hochzieht. Dann hilft es uns allen nicht weiter. Die größte Chance ist es, wenn wir authentisch sind und die Stimme da erheben, wo wir ein Gefühl haben und nicht darüber nachdenken müssen, welche Wellen es schlagen könnte.“
Warum Thioune nicht gerne über seine Hautfarbe spricht
Innerhalb des HSV kommen diese Worte des Trainers gut an. Seit zwei Jahren ist in der Satzung des Vereins festgeschrieben, sich klar gegen Rassismus und Diskriminierung auszusprechen. Seit fünf Jahren arbeitet das Netzwerk Erinnerungsarbeit daran, politische Werte im HSV zu verankern und sie zu diskutieren. „Ziel ist es, Erinnerungsarbeit voranzutreiben sowie diskriminierende Haltungen und Praktiken im Umfeld des HSV zu thematisieren und diesen entgegenzuwirken“, sagt Simon Philipps, der als Vertreter des Netzwerks beim Thioune-Gespräch dabei war.
Thioune ist als erster schwarzer Trainer des HSV einerseits ein passender Botschafter für das Thema. Andererseits will er gar nicht auf dieses Merkmal reduziert werden, sondern auf seine Fähigkeiten als Fußballtrainer. Daher lehnt er auch die vielen Interviewanfragen ab, bei denen es ausschließlich und plakativ um seine Hautfarbe gehen soll. Auch das machte er nun noch einmal deutlich.
Trotzdem freut sich Thioune eben auch, dass beim HSV Diversität gelebt wird. „Der HSV steht für Vielfalt. Wir haben sehr viele Menschen in unserem Kreis mit einem Migrationshintergrund. Wir sind aber vor allem Fußballspieler und wollen Fußballspiele gewinnen. Das ist das, was uns verbindet.“
Lesen Sie auch:
- Ulreich über Corona: „Maßnahmen nicht immer nachvollziehbar“
- War der ehemalige HSV-Profi mehr als nur ein Straßendealer?
Rassismus: HSV-Coach Thioune zeigt Haltung
Thiounes Schlusswort: „Das Einzige, was sich über all die Jahre nicht verändert hat im Fußball, ist, dass man es immer wieder mit dummen Menschen zu tun hat, die letztlich auf irgendetwas stolz sein wollen, und dann ist das vielleicht nur die Hautfarbe. Aber in dem Moment, in dem sie den Fernseher anmachen und die deutsche Fahne weht, schauen sie auch in ein paar dunkle Augen. Und das ist dann ein ganz cooler Augenblick für mich.“
Das nächste Mal schon am Dienstagabend, wenn Vagnoman und Ambrosius live im deutschen Fernsehen mit der deutschen U21 gegen Rumänien um die EM-Endrunde spielen.