Hamburg. Der HSV-Torwart spricht über die Sorgen eines Familienvaters in Pandemie-Zeiten und äußert Kritik an den Quarantäne-Plänen der DFL.

  • Sven Ulreich spricht über Sinnhaftigkeit der Corona-Maßnahmen
  • HSV-Torwart freut sich auf König der Löwen
  • Zuhause macht Ulreich Torwartübungen auf der Terrasse

Auch am Freitag war Sven Ulreich wieder einer der ersten HSV-Profis, die den Trainingsplatz verlassen haben. Sobald Trainer Daniel Thioune die Einheit beendet, hat der Torhüter seine beiden Kinder Malia (5) und Len (2) im Kopf, die zu Hause auf ihn warten. Doch bevor der 32-Jährige in seine Wohnung in der Hamburger Innenstadt fuhr, nahm er sich Zeit für das Abendblatt, um über seinen täglichen Spagat zwischen Fußballprofi und Familienvater zu sprechen – und das inmitten einer Pandemie.

Hamburger Abendblatt: Herr Ulreich, Sie sind seit einem halben Jahr in Hamburg. Waren Sie schon einmal im Tierpark Hagenbeck?

Sven Ulreich: Leider war ich persönlich noch nicht dort. Als ich im Oktober 2020 noch neu in der Stadt war, hatten mich meine Kinder und meine Frau besucht. Damals war vieles noch offen, und sie hatten das Glück, in den Tierpark gehen zu können.

Eigentlich sollte der Tierpark an diesem Sonnabend wieder öffnen, doch durch die steigenden Corona-Fallzahlen wird daraus vorerst nichts. Informieren Sie sich täglich über die Inzidenzwerte?

Ulreich: Natürlich verfolge ich das Geschehen mit Interesse und habe immer einen Blick auf die aktuelle Pandemielage. Ich kann nachvollziehen, dass solche Aktivitäten aktuell nicht möglich sind – finde es aber natürlich schade.

HSV-Keeper Ulreich kritisiert Corona-Maßnahmen

Sind Sie jemand, der die neusten Corona-Entwicklungen permanent aufsaugt, oder können Sie nach einem Jahr über die Pandemie nichts mehr hören oder lesen?

Ulreich: Ich verfolge häufig die Nachrichten über Corona, muss aber zugeben, dass es zuletzt weniger geworden ist, da die Meldungen sehr häufig eher negativ als positiv sind. Manche politischen Maßnahmen sind für mich auch nicht immer nachvollziehbar.

Welche Maßnahmen meinen Sie?

Ulreich: Mir ist bewusst, dass es für die Politik nicht einfach ist, aber ich kann auch verstehen, dass es für manche Bürger ein paar Entscheidungen gibt, die nicht zu verstehen sind. Es ist für alle eine sehr schwierige Zeit – vor allem für die Gastronomen und Einzelhändler. Ich hoffe und wünsche mir, dass es bald einen Ausweg aus dieser Situation gibt und wir wieder ein normales und glückliches Leben führen können.

Nervt es Sie, dass Sie kaum Möglichkeiten hatten, die Stadt zu entdecken?

Ulreich: Am Anfang konnten wir mit den Kindern noch eine Hafenrundfahrt machen. Mittlerweile gehen wir viel spazieren, durch die HafenCity oder entlang der Alster. Viele Highlights wie den Michel oder die Elbphilharmonie können wir aktuell nur von außen betrachten. Man lernt die Stadt dadurch anders kennen. Die Vorfreude wächst aber umso mehr, endlich in die Läden, Restaurants und Cafés hineingehen zu können. Bis das wieder möglich ist, vertrösten wir uns manchmal mit Lieferservices, um zumindest das Essen der Restaurants ein wenig kennenzulernen und diese auch zu unterstützen.

Sie sind ein Musical-Fan. Welches Musical fehlt Ihnen noch in Hamburg?

Ulreich: In Stuttgart wurde ich mit guten Musicals verwöhnt, Rocky und Tarzan haben mir sehr gut gefallen. Was hier in Hamburg noch aussteht, ist Der König der Löwen. Meine Tochter freut sich ganz besonders auf die Eiskönigin. Wenn die Busse mit der Werbung durch die Stadt fahren, sagt sie immer euphorisch, dass es bald losgeht.

HSV: Worauf sich Ulreich nach Corona freut

Wie alle anderen auch müssen Sie sich privat Corona-bedingt reichlich einschränken. Was vermissen Sie am meisten?

Ulreich: Es wäre einfach schön, wieder in ein Café oder abends Essen gehen zu können. Natürlich würde ich mich am meisten darüber freuen, meine Freunde wiederzusehen. Das ist momentan schwierig. Logischerweise dürfen wir in Hamburg aktuell niemanden aus meiner Stuttgarter Heimat empfangen.

Sie haben zwei kleine Kinder, Malia (5) und Len (2). Haben Sie den beiden versucht zu erklären, was Corona ist?

Ulreich: Für den Kleinen ist es völlig normal, eine Maske zu tragen und auf Kontakte zu verzichten – er kennt es gar nicht anders. Unsere Große hat es dagegen auch anders erlebt. Unsere Erklärungen, worauf sie jetzt achten muss, hat sie gut aufgenommen. Sie wünscht sich aber wie so viele Menschen, dass sie wieder Freunde einladen und ihre Großeltern regelmäßig sehen kann.

Wann haben Ihre Kinder das letzte Mal ihre Großeltern getroffen?

Ulreich: Zu Weihnachten war eine Oma hier. Beide Großeltern haben sie schon über ein Jahr nicht mehr gesehen.

Telefonieren Ihre Kinder regelmäßig mit ihren Großeltern?

Ulreich: Wir halten den Kontakt, so gut es geht. Unsere Große kann schon mit den Großeltern telefonieren. Wir fangen die fehlenden Treffen auch häufiger durch Videotelefonate auf.

Corona: Ulreich sorgt sich um Entwicklung seiner Kinder

Malia geht seit dem 1. März in die Kita, Len soll folgen. Wie lange haben Sie gebraucht, um einen Kitaplatz zu finden?

Ulreich: Es hat ein wenig gedauert, bis wir einen Platz gefunden haben. Das war auch unserem Umzug aus München geschuldet. Wegen der Corona-Maßnahmen hätte unsere Tochter aber ohnehin nicht eher in die Kita gehen können.

Haben Sie als Vater die Sorge, dass die soziale Entwicklung der Kinder unter der Pandemie leidet?

Ulreich: Wir freuen uns, dass unsere Tochter jetzt wieder in die Kita gehen kann. Kinder brauchen einfach andere Kinder zum Spielen, das ist enorm wichtig für die persönliche Entwicklung. Corona wird uns als Gesellschaft prägen, das betrifft auch die Kinder, die auf dem Spielplatz Abstand halten müssen. Ich hoffe, dass wir die sozialen Auswirkungen als Eltern gut auffangen und die Kinder gestärkt durchs Leben gehen.

Haben Sie Angst vor einer Corona-Infektion, weil Ihre Kinder in die Kita gehen und durch mehr Kontakte ein erhöhtes Risiko besteht, das Virus nach Hause einzuschleppen?

Ulreich: Ein gewisses Restrisiko besteht natürlich. Ich bin da zwiegespalten: Auf der einen Seite freue ich mich, meinen Job ausüben zu dürfen. Aber ich sehe auch die Bedeutung für die Kinder, am normalen Leben teilzunehmen. Man muss Vertrauen haben und hoffen, dass sich keiner der beiden infiziert.

Waren Ihre Kinder überhaupt schon einmal bei einem HSV-Spiel dabei?

Ulreich: Zum Glück durften die beiden im Oktober gegen Würzburg (3:1) ins Volksparkstadion. Das war super. Meine Tochter kennt das Stadionfeeling noch aus meinen früheren Stationen. Sie fragt auch häufiger, wann sie mal wieder mitkommen darf. Der Kleine kennt es gar nicht wirklich, ins Stadion zu gehen. Er entwickelt aber so langsam Interesse am Fußball und freut sich, wenn er den Papa im Fernsehen sieht.

Die DFL hat die Corona-Maßnahmen wieder verschärft. Auch beim HSV müssen Sie sich jetzt täglich testen lassen. Haben Sie sich daran gewöhnt?

Ulreich: Die regelmäßigen Tests sind wichtig und auch nicht schlimm. Wir müssen uns gegenseitig schützen, wie beim Corona-Fall von Simon Terodde, als wir nicht alle in Quarantäne mussten, sondern weiter trainieren durften.

Haben Sie ein Haus mit Garten, sollten Sie selbst in Quarantäne müssen?

Ulreich: Wir haben eine Wohnung in der Innenstadt mit Terrasse. Das reicht zum Spielen und für ein paar Torwartübungen (lacht).

Ulreich äußert Kritik an Quarantäne-Plänen der DFL

Es gibt die Empfehlung der DFL, ein Quarantäne-Trainingslager vor der englischen Woche im April zu beziehen. Was halten Sie davon aus der Perspektive eines Familienvaters?

Ulreich: Das aktuelle Konzept mit den zusätzlichen Schnelltests funktioniert sehr gut. Natürlich verstehe ich die Perspektive der DFL, die sich um die Fortführung des Spielbetriebs sorgt. Es ist schwierig, das abzuwägen: Der Familienvater in mir sagt, dass es eine lange Zeit ist, von der Familie getrennt zu sein. Ich persönlich hoffe, dass ein Quarantäne-Trainingslager nicht notwendig ist.

Wie sieht Ihr Alltag aktuell aus? Gehen Sie selbst in den Supermarkt oder auf den Spielplatz?

Ulreich: Besonders abwechslungsreich ist der Alltag momentan nicht. Ich bin viel zu Hause, gehe aber auch mit den Kindern auf den Spielplatz oder einkaufen. Das sind wenigstens kleine Highlights im Alltag.

In einer Woche ist Ostern. Wie werden Sie feiern?

Ulreich: Weil ich mit dem HSV in Hannover spiele, wird meine Frau das Beste aus Ostern machen und die Kinder unterhalten. Es wird ein kleines Osternest für die beiden geben.

Sind Sie froh, dass das Spiel in Hannover stattfindet, nachdem es zwischenzeitlich wegen der geplanten Osterruhe auf der Kippe stand, oder hätten Sie sich über einen freien Ostersonntag gefreut?

Ulreich: Ich bin natürlich froh, wenn wir die Spiele durchziehen können. Es gibt als Fußballer leider Feste, an denen wir aufgrund der Spielpläne manchmal nicht teilnehmen können.

Wann Ulreich auf HSV-Fans im Stadion hofft

Haben Sie Verständnis, wenn es Teile der Gesellschaft kritisch sehen, dass die Fußballer ein so großes Privileg haben, ihren Job auszuüben?

Ulreich: Wir Fußballer sind dankbar, dass wir unserem Beruf nachgehen dürfen, und wissen um dieses Privileg. Ich denke aber auch, dass wir in diesen schwierigen Zeiten bei einigen Leuten jedes Wochenende für ein Lächeln im Gesicht sorgen, wenn sie die 1. und 2. Bundesliga im Fernsehen schauen können. Natürlich gibt es manchmal auch Neid oder Kritik, das liegt vielleicht im menschlichen Naturell. Der eine oder andere Kritiker guckt möglicherweise auch heimlich Fußball und freut sich.

Beim HSV wird derzeit immer wieder der große Zusammenhalt betont. Ist das umso erstaunlicher, weil Sie gar keine Gelegenheit haben, als Team gemeinsam etwas zu unternehmen?

Ulreich: Corona macht es uns nicht einfach, aber wir sind eine gute Truppe, verstehen uns und haben Spaß. Ich habe auch das Gefühl, dass wir beispielsweise trotz der Situation, an Trainingstagen in zwei Kabinen sitzen zu müssen, einen guten Teamspirit entwickelt haben.

Sie haben mit dem FC Bayern mitten in der Pandemie die Champions League gewonnen. Konnten Sie den Titel überhaupt richtig feiern?

Ulreich: Wir haben in einem sehr kleinen Kreis gefeiert. Das fand ich total schön, weil es wirklich nur diejenigen waren, die auch beim Finale dabei waren. Es war ein sehr emotionaler Abend.

Haben Sie die Hoffnung, dass sich die Corona-Lage bis Mai entspannt und wieder Zuschauer ins Stadion dürfen? Möglicherweise gibt es dann auch etwas zu feiern …

Ulreich: Das Saisonfinale ist schon in acht Wochen. Ich glaube nicht, dass wir bis dahin eine groß verbesserte Pandemielage haben werden, auch wenn es natürlich wünschenswert wäre. Ich habe die große Hoffnung, zur neuen Saison wieder vor Fans spielen zu dürfen. Im Optimalfall am ersten Spieltag der 1. Bundesliga.