Hamburg. Rund um den Gambier und um den Club geht es turbulent zu. Doch beirren lässt sich derzeit niemand. Versuch einer Erklärung.

Wer will diesen HSV noch siegen sehen? Diese etwas provokante Frage stellte das Abendblatt vor 37 Jahren, als die Hamburger in der besten Phase ihrer Vereinsgeschichte 36 Spiele in Folge ungeschlagen blieben, das Zuschauerinteresse allerdings zu wünschen übrig ließ.

Knapp vier Jahrzehnte später, am Tag nach dem beeindruckenden 5:0-Sieg gegen Osnabrück, fällt die Antwort beim Zweitliga-HSV von heute auf die zugegebenermaßen nur schwer vergleichbare Frage von damals deutlich aus: niemand. Oder besser: fast niemand.

Nur ein einziger Fan schaute am Tag nach dem Kantersieg beim Spielersatztraining des HSV im Volkspark zu. Wobei man fairerweise zwei Dinge anmerken muss. Erstens: In Zeiten von Corona ist das mit dem Zuschauen beim Training ohnehin so eine Sache. Und zweitens: Es war tatsächlich ein waschechtes Sauwetter, das sich da im Laufe des Dienstags über dem Volkspark austobte.

HSV-Kollegen schwärmen von Bakery Jatta

Immerhin: Der eine HSV-Fan, der Sturmtief Flavio genauso wie der weltweiten Pandemie am Dienstag trotzte, konnte strahlende HSV-Stammspieler, die durch den Volkspark joggten, beobachten. Lächelnde Ersatzspieler, die auf dem Platz schwitzten. Und einen grinsenden Sportdirektor Michael Mutzel, der sich nicht bemühte, seine Jubel-Trubel-Heiterkeits-Stimmung zu verbergen. „Natürlich fühlt sich so ein 5:0 auch am Tag danach richtig gut an“, sagte er. „Der Sieg war auch in der Höhe verdient.“

Der wohltuende Erfolg des Vorabends hatte natürlich viele Väter. Trainer Daniel Thioune, der gegen seinen Ex-Club die richtige Formation fand. Sonny Kittel, der einen herausragenden Abend mit einem Tor und zwei Vorlagen krönte. Sowie Toni Leistner und Stephan Ambrosius, die gefühlt keinen einzigen Zweikampf verloren. Doch vor allem war es Bakery Jatta, der nicht nur wegen seiner zwei Tore von allen Hamburgern ganz besonders hervorgehoben wurde.

„Ich freue mich für ihn“, sagte Kapitän Tim Leibold bereits direkt nach dem Schlusspfiff bei Sky, als auch der letzte Hamburger Jatta auf dem Feld umarmt hatte. „Er ist ein richtig feiner Kerl.“ Kollege Jan Gyamerah lobte sportlich („Baka hat sich das erarbeitet, er spielt stark, ist gut drauf.“) und menschlich („Wir brauchen ihn. Er ist ein guter Typ und hat einen astreinen Charakter. Er ist wichtig für die Kabine.“).

Was Jatta für den HSV so besonders macht

Bleibt nur die Frage, was Jatta so besonders für diese HSV-Mannschaft macht. Warum freuen sich alle für den schüchternen Gambier, der seit anderthalb Jahren immer wieder medial mit Vorwürfen rund um seine Identität konfrontiert wird, ganz besonders? „Weil er ein geiler Mensch ist. Ein geiler Typ. Er ist ein reflektierter, sehr schlauer Junge, der gut ankommt, der immer ein Lächeln auf den Lippen hat. Jeder mag ihn, weil er immer positiv ist“, antwortete Mutzel im Nieselregen am Rand des Trainingsplatzes. „Er ist ein geiler Typ für die Kabine und unseren ganzen Verein. Vielleicht freut sich auch deswegen jeder ein bisschen mehr über seine Tore.“

Jatta, Trubel, Heiterkeit. Denn Trubel hatte es rund um den 22-Jährigen in den vergangenen Monaten, Wochen und auch Tagen mehr als genug gegeben: Die erneuten Medienberichte, die nicht locker lassende Staatsanwaltschaft, das nächste in Auftrag gegebene Gutachten – all das zehrt natürlich an den Nerven des jungen Fußballers, der sich dies allerdings öffentlich nicht anmerken lässt.

Doch wer diesen Bakery Jatta etwas besser kennt, der weiß, wie sehr ihn die nicht aufhörenden Berichte über den nicht bewiesenen Identitätsschwindel zusetzen. Vertraute sprechen davon, wie Jatta ihnen sogar noch spätabends Berichte aus dem Internet schickt, wenn diese wieder mit großen Überschriften online gehen.

Jatta blendet Störgeräusche aus

Doch der einst Geflüchtete, der die Wüste durchquert und das Mittelmeer überwunden haben soll, lässt sich in seiner ansteckenden Heiterkeit auch dadurch nicht unterkriegen. Genauso wenig wie aktuell der Rest des HSV von den erneuten vereinsinternen Störgeräuschen.

Wie er die Streitigkeiten im e.-V.-Präsidium wahrnehme und ob er die Befürchtung habe, dass diese auch den sportlichen Erfolg gefährden könnten, wurde Mutzel am Dienstagmittag noch gefragt. „Das sind Themen, die uns gar nicht wirklich betreffen. Die lassen wir gar nicht erst an die Mannschaft ran“, antwortete der Sportdirektor, der sich am Nachmittag viel lieber um die Transfers von Xavier Amaechi (wird für die Rückrunde nach Karlsruhe verliehen) und Lukas Hinterseer (wechselt für rund 300.000 Euro zum Ulsan Hyundai FC nach Südkorea) kümmerte. „Wir gucken darauf, was wir beeinflussen können: die Spiele und unsere Gruppe, die in der Kabine ist“, sagte Mutzel weiter. „Alles andere blenden wir aus. Und damit fahren wir momentan auch gut.“

Allzu viel Zeit bleibt für den HSV auch nicht, sich von alldem Trubel um Jatta, dem Machtkampf im Präsidium und einer möglichen Rechtsformänderung beeinflussen zu lassen. Das nächste Spiel steigt bereits in drei Tagen am Sonnabend. Gegner dann ist Eintracht Braunschweig.

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Im Übrigen genau die Eintracht, die fast auf den Tag genau vor 38 Jahren unfreiwilliger Initiator der längsten Siegesserie der HSV-Geschichte war. Denn nach einer unglücklichen 1:2-Niederlage des Vizemeisters beim Underdog sollte der HSV anschließend mehr als ein Jahr lang ungeschlagen bleiben.

Seriös vergleichbar sind die damalige und die heutige Zeit aber natürlich nicht. Und: Mit Sicherheit würden die Fans von heute nichts lieber wollen, als diesen HSV tatsächlich mal wieder live im Stadion siegen zu sehen.