Darmstadt/Hamburg. Der HSV hat fußballerisch noch viel Luft nach oben. Beim Sieg in Darmstadt fehle es an Ideen für die Offensive.
Es war das wohl schönste HSV-Spiel der Saison. Elfter Spieltag. Hamburg gegen Stuttgart. 6:2 hieß es am Ende. „Oh, wie ist das schön“, sangen die Zuschauer im Volkspark. Ein echtes Spektakel, auf das allerdings eine echte Krise folgte. Bis Weihnachten sollte der HSV in sieben Spielen nur noch einmal gewinnen. Und das Ende der Saison ist auch bekannt. Die Hamburger sollten so richtig schön scheitern.
Nach dem elften Spieltag der neuen Saison könnte man daher schlussfolgern: Wer braucht schon schönen Fußball, wenn man auch ohne ihn erfolgreich sein kann? So zumindest hat Daniel Thioune am Sonnabend den 2:1 (0:0)-Sieg seines HSV bei Darmstadt 98 bewertet. „Ich nehme das Spiel für mich als schön mit, weil es erfolgreich war“, sagte der Cheftrainer der Hamburger nach dem Schlusspfiff und dem Mannschaftskreis, in dem er zu seinen Spielern folgenden Satz sagte: „Nichts ersetzt Siege.“
HSV-Spielweise trübt auch Terodde
Wohl wahr. Denn mit der Schönheit und der Ästhetik des Fußballs hatte das Spiel auf der Baustelle des Merck-Stadions am Böllenfalltor ungefähr so viel zu tun wie der HSV mit einem ganz normalen Fußballverein. Das war Thioune und seinem Team nach zuvor fünf sieglosen Spielen in Folge aber herzlich egal. „Endlich“, schrieb Innenverteidiger Toni Leistner nach dem ersten Sieg seit fast zwei Monaten auf seinem Instagram-Profil.
Und wie schon beim bis dahin letzten Erfolg war es ein Doppelpack von Simon Terodde, der den HSV vor einer Weihnachtskrise bewahrte. „Man hat nach dem Schlusspfiff gemerkt, wie wichtig es war, nach fünf sieglosen Spielen wieder zu gewinnen“, sagte der Stürmer, der die Hamburger mit seinen Saisontoren zehn und elf in der zweiten Halbzeit zum Sieg geführt hatte.
Ein schönes Gefühl sei das gewesen, als er nach dem Abpfiff zu seinen Kollegen stürmte, meinte der 32-Jährige. So richtig große Freude wollte aber nicht aufkommen bei Teroddes Mitspielern und auch bei Trainer Thioune.
Zu unschön war das Spiel, was die Mannschaft zuvor gegen den stark ersatzgeschwächten Tabellen-14. gespielt hatte. Der Plan, die starke zweite Halbzeit in Unterzahl gegen Hannover 96 in das Spiel mitzunehmen, missglückte. Stattdessen gab der HSV in Überzahl beinahe noch den so wichtigen Sieg aus der Hand.
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Ulreich irrt durch den HSV-Strafraum
Aber der Reihe nach. In einer niveauarmen ersten Halbzeit war es Ex-HSV-Talent Patric Pfeiffer, der per Kopf beinahe das 1:0 erzielt hätte, weil Torhüter Sven Ulreich durch den Strafraum irrte, der Bramfelder aber um Zentimeter das leere Tor verpasste (34.).
Auffällig wurde bis dahin nur Klaus Gjasula, der zweimal verletzt behandelt wurde, aber auch seine Gegner zweimal gelbwürdig verletzte und zur Halbzeit mit einer stark geprellten Nase in der Kabine blieb. Am Sonntag war die Nase noch immer stark geschwollen, Gjasula konnte nicht beschwerdefrei atmen. Ob er es bis zum Spiel gegen den SV Sandhausen am Dienstag (18.30 Uhr) schafft, ist offen.
„Ab jetzt mit Motorradhelm“, kommentierte der Albaner im Spaß einen Instagram-Eintrag seines Kollegen Leistner, der sich darüber lustig machte, „wie man sich trotz eines Helms im Gesicht verletzt.“
Hunt strukturiert das HSV-Spiel
Gjasulas Auswechslung war für den HSV aber kein Nachteil, weil Thioune mit Aaron Hunt seinen ballsichersten Spieler einwechseln konnte. Das Spiel wurde durch den 34-Jährigen zwar nur unwesentlich schöner, dafür aber strukturierter. Chancen blieben dennoch Mangelware.
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Und so war es ein Handspiel des Darmstädter Topstürmers Serdar Dursun, das dem HSV die Chance auf das 1:0 ermöglichte. Terodde brauchte beim Elfmeter allerdings gehörig Glück, dass der Ball nach Marcel Schuhens pariertem Strafstoß direkt vor ihm landete und der Stürmer im zweiten Anlauf verwandeln konnte. „Meine Mitspieler haben mich schon aufgezogen, dass mir der Ball mal wieder vor die Füße gefallen ist“, gab Terodde zu Protokoll.
Vor einer Woche hatte der Toptorjäger bei der 0:1-Niederlage gegen Hannover 96 noch eine Vielzahl an Chancen vergeben. „Letzte Woche war ich der Depp, heute war das Glück wieder auf meiner Seite. Das ist das Schöne am Stürmer-leben“, sagte Terodde, der sich mit der Schönheit des Ergebnisses durchaus anfreunden konnte. „Am Ende war es auch ein verdienter Sieg.“
HSV muss sich spielerisch steigern
Nachdem Darmstadt in Unterzahl nach Gelb-Rot für Patrick Herrmann (74.) nur vier Minuten später durch ein sehr schönes Tor von Tobias Kempe den Ausgleich schaffte, war es wiederum Terodde, der kurz vor dem Ende auf Vorlage von Tim Leibold den Schlusspunkt setzte.
Trainer Thioune versuchte gar nicht erst, das Spiel schönzureden. „Es war ein Arbeitssieg. Aber es ist ja auch nicht verboten zu arbeiten.“ Die Arbeit wird die Basis sein für den HSV im Kampf um den Aufstieg. Doch auch fußballerisch wird sich das Team steigern müssen.
In Darmstadt fanden die Hamburger kaum Lösungen gegen den tief stehenden Gegner. Gegen Sandhausen, eine konterstarke Mannschaft, wird der HSV vor einer ähnlichen Herausforderung stehen. Und nicht immer kann sich die Mannschaft auf die Lebensversicherung Terodde verlassen. Auch wenn Thioune diesen Begriff nicht mag. „Simon ist nicht die Lebensversicherung, sondern das Ende der Kette. Die Mannschaft versichert ihr Leben selbst mit allen, die dazugehören.“
Das hat er schön gesagt.