Hamburg. In der aktuellen Leistungsdelle ist der HSV-Trainer besonders gefragt. Auf Spurensuche, wie er ähnliche Situationen zuvor gelöst hat.

Die Einheit am Mittwochvormittag war gerade vorbei, da nahm sich Daniel Thioune seinen Kapitän Tim Leibold zur Seite. Während links und rechts von ihnen die Trainingsutensilien eingesammelt wurden und ein Spieler nach dem anderen in die Kabine ging, redeten die beiden ununterbrochen. Rund 20 Minuten dauerte dieses Gespräch, das der HSV-Coach hinterher als „ganz normal“ bezeichnete. „Tim ist mein verlängerter Arm. Natürlich interessiert es mich, wie sich die Mannschaft fühlt und wie sie tickt“, sagte Thioune.

Er spürt, dass dem HSV nach zuletzt drei sieglosen Spielen in Serie Gegenwind aus mehreren Richtungen entgegenbläst. „Es ist ein kleiner Sturm aufgekommen“, beschreibt Thioune das Tiefdruckgebiet im Volkspark. „Ein bisschen Unruhe ist vorhanden.“

HSV: Thioune beobachtet gewohnt breitbeinig

Für den 46-Jährigen ist es eine neue Erfahrung, dass eine solche Unruhe in Hamburg schon nach zwei Punkten aus drei Spielen erreicht sein kann. Davon anmerken ließ er sich aber: nichts. Thioune­ verkörperte am Mittwoch die Botschaft, seiner Linie treu zu bleiben und sich von äußeren Begleiterscheinungen nicht beeinflussen zu lassen. Die meiste Zeit im Training gab der Coach wie gewohnt breitbeinig den aufmerksamen Beobachter.

Er unterbrach die auf Umschaltmomente ausgelegte Übung, wenn er es für notwendig hielt, und korrigierte oder lobte seine Spieler. Immer wieder forderte der Coach Bewegung und mehrere Anspielstationen für den ballführenden Spieler. In seiner Ansprache machte Thioune einen entschlossenen, aber auch lockeren Eindruck – der Spaß sollte nicht zu kurz kommen.

Thioune hat Erfahrung mit Einbrüchen

Es ist ein Verhalten, das ehemalige Wegbegleiter aus seiner vorherigen Trainerstation beim Zweitligarivalen VfL Osnabrück nur zu gut kennen. An der Bremer Brücke bewies Thioune, mit Drucksituationen erfolgreich umgehen zu können. Gleich in seiner Debütsaison 2017/18 blieb er mit seinem Team an den letzten zwölf Spieltagen ohne Sieg. Der Klassenerhalt gelang letztlich mit Rang 17. Eine Platzierung, die nur ein Jahr später nach einer Regelmodifizierung den Abstieg bedeutet hätte. Inmitten dieser Phase verpasste Osnabrück zudem den DFB-Pokal durch eine Pleite gegen Regionalligist Drochtersen/Assel (6:7 i. E.) im April 2018. Eineinhalb Jahre später bezeichnete Thioune diese Niederlage im Gespräch mit dem Abendblatt als „Tiefpunkt“.

Eine ähnliche Situation erlebte der Trainer auch in der vergangenen Saison mit den Niedersachsen, als der Aufsteiger eine furiose Hinrunde als Tabellenfünfter abschloss, dann aber plötzlich zehn Spiele in Folge sieglos blieb und sogar abzusteigen drohte.

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Thiounes Stärke: Eigene Fehler eingestehen

Für das Abendblatt haben sich nun Wegbegleiter aus beiden sportlichen Krisen an die damalige Zeit erinnert. Heute beschreiben sie Thioune als einen Trainer, der in keiner Phase Angst um seinen Job hat. So soll Thioune in Krisenzeiten das Band zur Mannschaft noch enger knüpfen und sich selber nicht aus der Schusslinie nehmen. Ein Eindruck, der sich beim HSV zu bestätigen scheint.

Nachdem Thioune für seinen Vierfachwechsel am vergangenen Sonntag gegen Bochum (1:3) in die Kritik geraten war, nahm er die Verantwortung auf sich. „Dafür halte ich den Kopf hin“, sagt der Coach hinterher. Ein Satz, der auch in Osnabrück häufiger fiel. Thiounes Stärke ist es, nicht in Aktionismus zu verfallen, sondern sachlich zu bleiben. So wie auch am Mittwoch im Volkspark.

HSV wird auch in Heidenheim wieder rotieren

Auch wenn der HSV-Trainer in seinem täglichen Umgang mit der Mannschaft kaum etwas verändert, ist für das Auswärtsspiel am kommenden Sonntag in Heidenheim (13.30 Uhr) mit Änderungen in der Startelf zu rechnen. Denn auch dieser Linie wird sich Thioune treu bleiben. In den bisherigen acht Saisonspielen wählte er acht verschiedene Aufstellungen. Nach dem Rückschlag in der ersten Runde des DFB-Pokals bei Dynamo Dresden (1:4) veränderte der Coach seine Anfangsformation im darauffolgenden Ligaspiel gegen Düsseldorf (2:1) auf gleich vier Positionen.

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Mit einer ähnlichen Rotation ist in Heidenheim erneut zu rechnen. Das zeigt die Erfahrung aus seiner Zeit in Osnabrück, als Thioune auch im Falle einer sportlichen Leistungsdelle klare Änderungen in der Startelf vornahm. Bis auf Kapitän Leibold, Torhüter Sven Ulreich, Defensiv-Allrounder Moritz Heyer, der als einziger HSV-Profi in dieser Saison noch keine Minute verpasst hat, und Torjäger Simon Terodde ist kein Spieler aus der ersten Elf gegen Bochum gesetzt.

Bochum-Pleite als Saison-Knackpunkt?

Am Ende wird Thioune weiter seinem Bauchgefühl folgen und eine klare Entscheidung treffen – so wie auch stets in Osnabrück, wo er dem wohl größten Rückschlag seiner bisherigen Trainerkarriere im Nachhinein sogar etwas Positives abgewinnen konnte. Denn die bereits erwähnte Niederlage gegen Drochtersen/Assel diente womöglich als Wendepunkt. Im Anschluss gelang es Thioune, „einen schlafenden Riesen zu wecken“, wie er einmal dem Abendblatt sagte.

Ein Sprichwort, das in der Vergangenheit auch schon mit dem HSV in Verbindung gebracht wurde. Und diesmal? Der Club hätte sicherlich nichts dagegen, wenn sich Bochum im Nachhinein als das Drochtersen/Assel des HSV entpuppt.