Hamburg. Nach drei sieglosen Spielen muss der HSV zum heimstärksten Club. Die Haltung zu dieser Partie wird ein Fingerzeig für die Restsaison.

Vor wenigen Wochen war Rafael van der Vaart zu Gast im Podcast des Abendblatts. Der frühere Spielmacher des HSV wurde zum Abschluss gefragt, wie sein Ex-Club es schaffen kann, wieder nach oben zu kommen. Van der Vaart, der wie kaum ein anderer für die bis heute letzte große Zeit des HSV steht, als der Club noch gegen Bayern München gewann und in der Champions League spielte, sagte: „Man muss wieder die Überzeugung haben: Wir sind der HSV. Ich fahre nicht mehr nach Heidenheim um zu sagen, wir spielen gerne Unentschieden. Nein. Der HSV fährt überall hin, um das Spiel zu gewinnen. Diese Ausstrahlung muss zurückkommen.“

Worte, die aktueller kaum sein könnten. Nicht nur, weil der HSV am Wochenende nach Heidenheim fährt. Sondern vor allem, weil es um die Frage geht, mit welcher Haltung die Hamburger auf die schwäbische Ostalb reisen. Nach drei Spielen ohne Sieg und der ersten Saisonniederlage gegen den VfL Bochum könnte es vermutlich keinen unangenehmeren Ort geben, um den Trend zu stoppen, als auswärts in Heidenheim. Die Mannschaft des ewigen Trainers Frank Schmidt hat seit mehr als einem Jahr kein Heimspiel mehr verloren. Nach dem verpassten Aufstieg in der Relegation gegen Werder Bremen hat der Club zwar mit Niklas Dorsch, Sebastian Griesbeck und Tim Kleindienst mal wieder seine wichtigsten Spieler verloren. Nach einem schwierigen Saisonstart kam Heidenheim zuletzt aber wieder in Schwung, holte bei Holstein Kiel nach einem 0:2-Rückstand noch einen Punkt.

HSV gilt noch immer überall als Favorit

Van der Vaarts Worte hatten einen Hintergrund. Am 33. Spieltag der vergangenen Saison fuhr der HSV als Tabellendritter nach Heidenheim und musste nur Unentschieden spielen, um die Schwaben auf Distanz zu halten. Trainer Dieter Hecking stellte so defensiv auf wie nie zuvor in der ganzen Saison und machte damit klar, dass er das Spiel bloß nicht verlieren wolle. Am Ende verlor der HSV in der fünften Minute der Nachspielzeit. Der Aufstieg war quasi verspielt.

Und nun? Wie gelingt es Hecking-Nachfolger Daniel Thioune, seine Mannschaft so zu programmieren, dass sie den richtigen Zugang zum Heidenheim-Spiel findet? Noch immer gilt der FCH trotz aller Erfolge der vergangenen Jahre neben Sandhausen als Synonym für die Zweitliga-Provinz. Der HSV dagegen gilt trotz aller Misserfolge der vergangenen Jahre noch immer als das Schwergewicht der Liga. Die Trainer der Konkurrenten werden nicht müde zu betonen, dass der HSV nach wie vor der große Favorit auf den Aufstieg sei. Warum eigentlich?

HSV und der "biochemische Schaltkreis"

„Der HSV ist vom Namen her immer noch das Nonplusultra der Zweiten Liga“, sagt der ehemalige Co-Trainer Maik Goebbels im Gespräch mit dem Abendblatt. „Da ist so ein Auswärtsspiel in einem kleinen Stadion bei einer physisch starken Mannschaft wie Heidenheim besonders schwer.“ Goebbels arbeitete im ersten Zweitligajahr an der Seite von Christian Titz sowie Hannes Wolf und erlebte, wie schwierig es ist, den Spagat zwischen der Überzeugung des großen HSV und den Herausforderungen der Zweiten Liga zu bewältigen.

„Dein biochemischer Schaltkreis ist einfach anders eingestellt, wenn du als großer HSV ins kleine Heidenheim fährst. Die große Kunst ist es, dieses Selbstbewusstsein zu verinnerlichen. Diese DNA musst du in dir tragen.“ Doch genau da liege das Problem. „Die gesamte negative Spirale des HSV der vergangenen Jahre hat sich in die DNA eingeschweißt. Man muss an die Psyche der Jungs ran. Du musst sie am Herzen packen“, sagt Goebbels.

Goebbels fordert mehr Typen wie Terodde

Der 44-Jährige, der sich beim HSV auch um die mentalen Potenziale der Spieler kümmerte, lobt den HSV für die Zusammenarbeit mit dem Reflexionstrainer Martin Daxl und für die Verpflichtung von Siegertypen wie Simon Terodde oder Sven Ulreich. „Die sportliche Leitung hat da einen sehr guten Job gemacht und es geschafft, den HSV trotz des erneut verpassten Aufstiegs wieder gut aufzustellen.“

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Terodde und Ulreich könnten in den kommenden Wochen und Monaten der entscheidende Faktor sein. „Wenn es der HSV schafft, mehr solcher Spielertypen zu entwickeln, kann man auch nach Heidenheim fahren mit dem Selbstbewusstsein, den Gegner wegzuhauen, ohne ihn zu unterschätzen. Das ist der Stil von Bayern München“, sagt Goebbels. Der Belgier ist überzeugt: „Der Charakter, die Struktur und die Psyche der Mannschaft zeigt sich jetzt. Wenn man nach Heidenheim fährt und Angst hat, wird man dieses Jahr wieder nichts reißen.“

HSV muss wie Bayern München auftreten

Was den HSV in Heidenheim erwartet, ist klar. Eine körperlich starke Mannschaft mit einer hohen Mentalität, die kämpfen und laufen kann. Nach acht Spieltagen führen die Schwaben die Statistik der gelaufenen Kilometer deutlich an (961,64 Kilometer). Dahinter folgt der HSV mit 937,68 Kilometern. „Heidenheim ist schwer zu bespielen. Das Team hat einen konstant sauberen Charakter“, sagt Goebbels, der mit dem HSV in zwei Spielen gegen den FCH immerhin vier Punkte holte. Nach dem 2:2 im Februar 2019 in der Voith-Arena folgten unter Hecking zwei Niederlagen.

Goebbels weiß: „Es kommt schon Kritik auf. Du weißt, wenn es in Heidenheim wieder schiefgeht, geht das Ganze von vorne los.“ Sein Lösungsansatz: Der HSV müsse lernen, in solchen Spielen wie Bayern München aufzutreten. Ohne Arroganz. Aber mit Überzeugung.

Rafael van der Vaart hätte es nicht besser ausdrücken können.