Hamburg. „Mein Geschlecht spielt keine Rolle“, sagt Melissa Onana. Sie spricht über Frauen im Fußball, den HSV und Mama Lasogga.

Rückblende: Melissa Onana, Schwester und Beraterin von HSV-Profi Amadou, kommt vor einigen Wochen pünktlich auf die Minute. Zu Fuß schlendert sie die Isestraße in Eppendorf herunter, ehe sie im TH2 an der Klosterallee coronakonform den Ellenbogen zur Begrüßung entgegen-streckt. Die 31 Jahre alte Belgierin ist für ein paar Tage bei ihrem Bruder zu Besuch und hat ein erstes Treffen zum Kennenlernen vorgeschlagen, um zunächst einmal ohne Block, Stift und Aufnahmegerät über ihre Karriere zu sprechen.

Onana ist Spielerberaterin bei der angesehenen Agentur SBE, was selbst in einer Zeit, in der in den USA eine Frau zur Vizepräsidentin gewählt wird, noch immer ungewöhnlich scheint. Nach einem einstündigen Gespräch mit Kaffee und Kuchen willigt Melissa Onana, deren Bruder Amadou bisher der Senkrechtstarter beim HSV in dieser Saison ist, schließlich in ein offizielles Interview via Zoom-Schalte ein.

Hamburger Abendblatt: Frau Onana, können Sie sich noch erinnern, was Sie als Kind werden wollten, wenn Sie mal groß wären?

Melissa Onana: Wie die meisten Kinder wollte ich 1000 Dinge werden. An zwei Phasen kann ich mich noch sehr gut erinnern: Lange Zeit wollte ich Rettungsschwimmerin werden. Und dann wollte ich auch sehr gerne Soldatin werden.

Soldatin!?

Onana: Es lag vor allem an den schicken Uniformen. Ich liebte einfach Uniformen. Und dass man die ganze Welt sehen würde, wenn man Teil der Armee ist, hat mir auch gut gefallen. Tatsächlich haben sich Freunde und Freundinnen von mir später auch verpflichten lassen. Hätte ich als Kind gewusst, dass es beim Militär vor allem um Befehl und Gehorsam geht, hätte ich mich wahrscheinlich schnell wieder auf das Rettungsschwimmerleben am Strand konzentriert.

Sie sind aber nicht Rettungsschwimmerin, sondern Spielerberaterin geworden. Sind Sie gerne Agentin?

Onana: Sehr gerne! Ich reise viel, treffe viele interessante Leute. Das Business ist sehr speziell, aber ich mag es.

Das Fußballbusiness gilt noch immer als testosterongesteuertes Männergeschäft, insbesondere die Beraterbranche. Haben Sie das Gefühl, als eine der wenigen Frauen in dieser hart umkämpften Branche etwas Besonderes zu sein?

Onana: Es ist besonders, aber ich fühle mich nicht besonders. Das Schöne ist: Ich bin ja nicht die einzige Frau, die in diesem Business ihr Geld verdient. Und noch schöner ist: Wir werden immer mehr.

Gerade erst wurde vom DFB der 50. Geburtstag des erlaubten Frauenfußballs in Deutschland gefeiert. Gott sei Dank ist Frauenfußball heutzutage das Normalste der Welt. Glauben Sie, dass irgendwann auch Beraterinnen im Fußball keine Ausnahme mehr sein werden?

Onana: Das glaube ich ganz fest. Mut machen mir die zahlreichen Frauen, die bereits im Fußball-Business unterwegs sind: Marina Granovskaia ist die Sportdirektorin des FC Chelsea, es gibt die Schiedsrichterinnen Bibiana Steinhaus in Deutschland, Fernanda Colombo in Brasilien und Mélanie Frappart in Frankreich. In Afrika gibt es es sogar eine weibliche Clubpräsidentin: Bestine Kazadi im Kongo. Lydia Nsekera war die Präsidentin des nationalen Fußballverbandes von Burundi und ist jetzt sogar als erste Frau ein reguläres Mitglied des Fifa-Exekutivkomitees. Und ich bin ja glücklicherweise auch nicht die einzige Beraterin auf der Welt.

Beraterin auch ohne HSV-Profi Onana?

Sie wurden Beraterin, nachdem Sie mit 23 Jahren anfingen, sich um ihren zwölf Jahre jüngeren Bruder Amadou zu kümmern. Heute spielt er für den HSV – und Sie gehören zum 20-köpfigen Team der Beraterfirma SBE Management. Ist für Sie beide ein Traum in Erfüllung gegangen?

Onana: Ich will es mal so sagen: Einer seiner Träume ist in Erfüllung gegangen. Und einer meiner Träume für ihn ist in Erfüllung gegangen. Es war ja nicht mein Traum, dass ich mal Beraterin werden würde. Aber ich mache den Job wirklich gerne.

Melissa Onana betreut ihren Bruder, HSV-Profi Amadou, seit acht Jahren.
Melissa Onana betreut ihren Bruder, HSV-Profi Amadou, seit acht Jahren. © Witters

Was denkt Ihr Bruder über Ihren Weg?

Onana: Das müssen Sie ihn fragen.

Das haben wir schon. Er sagte, dass er stolz auf Sie sei. Aber haben Sie jemals mit ihm darüber gesprochen?

Onana: Eigentlich nicht. Aber ich merke, dass er tatsächlich stolz auf seine große Schwester ist. Wir reden ja auch über meine verschiedenen Projekte, und ich merke, dass es ihn wirklich interessiert.

Wären Sie enttäuscht, wenn Ihr Bruder eines Tages entscheidet, dass er einen neuen Berater außerhalb der Familie bräuchte?

Onana: Ehrlich gesagt wäre ich schon ein wenig enttäuscht. Es gibt keine Menschen in der Welt, denen wir mehr trauen als uns gegenseitig. Sollte Amadou einen anderen Berater haben wollen, dann hätten wir beide in unserer Kommunikation irgendetwas falsch gemacht. Aber selbst wenn dieser Fall eintreten würde, wäre ich immer noch jeden Tag für ihn da. Seine Schwester bleibe ich ja für immer.

Würden Sie auch ohne Ihren Bruder Beraterin bleiben?

Onana: Klar. Ich habe nie geplant, Beraterin zu werden. Aber jetzt mag ich das, was ich mache.

Melissa Onana über ihre besondere Rolle

Haben Sie das Gefühl, dass es bei Ihren Verhandlungspartnern eine Rolle spielt, dass Sie eine Frau sind?

Onana: Eigentlich nicht. Meistens habe ich positives Feedback bekommen. Ich hatte es anfangs in Belgien sehr schwer und musste für Amadou an unzählige Türen von Managern klopfen, habe Videos von ihm gemacht und diese verschickt. Als er dann in Hoffenheim ankam, fing das Blatt an, sich zu wenden. Die Überzeugungsarbeit hatte sich ausgezahlt. Aber ich hatte nie das Gefühl, dass mein Geschlecht in den Gesprächen eine Rolle gespielt hat. Für mich hat es ja auch keine Rolle gespielt.

Erinnern Sie sich an Ihr erstes Treffen mit dem HSV?

Onana: Natürlich. Ich habe alle entscheidenden Leute in Hamburg getroffen: Jonas Boldt, den damaligen HSV-Trainer Dieter Hecking und Sportdirektor Michael Mutzel. Ab dem Moment, als ich mit Michael Mutzel sprach, wusste ich, dass der HSV eine gute Adresse für Amadou sein würde. Er kannte meinen Bruder ja aus seiner Zeit in Hoffenheim, und er wusste alles über ihn. Er zeichnete einen Weg für Amadou auf, der uns beide total überzeugte.

War eine Einigung also nur noch eine Formsache oder gab es dann noch harte Verhandlungen?

Onana: Verhandlungen über eine so wichtige Entscheidung, die ja für Amadous Karriereweg entscheidend sein könnte, sind nie einfach. Aber Geld sollte für einen 19-Jährigen nie das entscheidende Motiv sein – und das war es auch bei den Gesprächen mit unserer Agentur und dem HSV nicht.

HSV: Was sagt Melissa Onana über Kerstin Lasogga?

In Ihrer Agentur gibt es 19 Berater und mit Ihnen nur eine Beraterin. Fühlen Sie sich trotzdem gleichberechtigt?

Onana: Ich fühle mich gleichberechtigt, weil ich gleichberechtigt bin. Ich bin vielleicht anders, weil ich noch nicht so erfahren bin wie manch ein Kollege. Aber vielleicht habe ich einen frischeren Blick. Wir helfen uns gegenseitig. Aber ich bin nicht anders, weil ich eine Frau bin. Erfahrung definiert für mich keine Überlegenheit, sondern nur, dass man weiter in einem Prozess ist.

Wie viele Spieler betreuen Sie?

Onana: Neben vielen Talenten in Afrika und Amadou betreue ich noch drei weitere Hoffnungsträger: Monsuru Opeyemi, der im vergangenen Jahr für Nigeria bei der U-17-WM dabei war. Ablaye Diop, der in Portugal für Rio Ave spielt. Und Joel Schingtienne, der bei Oud-Heverlee in Belgien unter Vertrag ist.

Warum betreuen Sie nicht auch Fußballerinnen? Ist Frauenfußball nicht lukrativ genug?

Onana: Als Agentur betreuen wir eine Nationalspielerin aus der Schweiz, die beim FC Basel unter Vertrag ist. Aber ich bin nicht ihre Hauptbetreuerin. Wenn ich aber eine Wachstumsgelegenheit für sie sehe, teile ich das ihrem Betreuer mit. Grundsätzlich wäre ich aber total offen dafür, auch Fußballerinnen zu betreuen.

Die einzige Spielerberaterin, die in Deutschland bekannt ist, ist Kerstin Lasogga, die ihren Sohn Pierre-Michel Lasogga betreut hat. Kennen Sie sie?

Onana: Nein, noch nie von ihr gehört. In Deutschland habe ich nur von Gaby Schuster als Beraterin gehört. Aber natürlich gibt es noch andere. In Frankreich und Spanien zum Beispiel. Persönlich kenne ich Bibian Deweegelaar. Auch Hermina Siassia und Jenifer Mendel fallen mir ein. Und es werden mehr und mehr.

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  • Wie lange wird es noch dauern, bis auch Trainerinnen, Managerinnen und Clubchefinnen im Männer-Profifußball nichts Besonderes mehr sind, sondern Normalität?

    Onana: Es gibt ja schon ein paar Beispiele: In Spanien, bei Sociedad Deportiva Eibar, sind mit Amaia Gorostiza und Victoria Pavon zwei Präsidentinnen im Amt. In den USA wurde bekanntlich gerade eine Vizepräsidentin gewählt – dann dürften auch Frauen an der Spitze bei Fußball-Männerteams irgendwann keine Sensation mehr sein. Und davor braucht auch niemand Angst zu haben. Es wird noch etwas dauern, aber Frauen etablieren sich auch im Männerfußball.