Hamburg. Der HSV hat jetzt den besten Keeper der Zweiten Liga – zum Spartarif. Doch eigentlich hatte der Club zwei andere im Visier.
Am Sonntagmorgen standen sich die beiden Torwartkontrahenten des HSV im internen Testspiel plötzlich direkt gegenüber. Der eine, Daniel Heuer Fernandes, als Aushilfsstürmer, der andere, Sven Ulreich, als neuer HSV-Torhüter. Es waren lediglich ein paar Zentimeter, die die neuen Kollegen im Strafraum trennten. Die Szene dauerte wenige Sekunden – und ging für Keeper Ulreich ohne Gegentor und somit gut aus.
Dass Ulreich und Heuer Fernandes auch im neu ausgerufenen Kampf um die Nummer eins im HSV-Tor nur wenig trennt, dürfte von den Verantwortlichen in naher Zukunft keiner sagen. „Sven Ulreich hat in den vergangenen Jahren bewiesen, wie gut er ist“, sagte Trainer Daniel Thioune nach Ulreichs erstem Training nicht ohne Stolz. „Für den HSV ist das ein echter Transfercoup.“
Ein Coup, der noch vor Tagen als ausgeschlossen galt. Ulreich hatte sich in den vergangenen Jahren den Ruf als der beste zweitbeste Torhüter der Bundesliga erarbeitet, wurde im Juni 2019 sogar für die Nationalmannschaft nominiert. „In der Tat war das Szenario vor drei Tagen noch nicht absehbar“, sagte nun am Sonntagmorgen HSV-Sportvorstand Jonas Boldt, der bereits vor einigen Wochen erstmals bei den Bayern und bei Ulreichs Berater Jürgen Schwab angefragt hatte – und abgeblitzt war.
Das erste HSV-Training mit Sven Ulreich:
HSV-Training mit Sven Ulreich nach Aue-Absage
Ulreich-Wechsel zum HSV löst Bayern-Zwist um Torhüter
Nach Abendblatt-Informationen soll Ulreich in München rund 3,5 Millionen Euro verdient haben – und lag damit Welten vom aktuellen HSV-Niveau entfernt. „Natürlich hat es jetzt nur funktioniert, weil die Bayern mitgespielt haben“, sagte Boldt. „Das haben sie nicht getan, weil ihnen der HSV sympathisch ist, sondern weil sie eigene Interessen hatten.“
Denn an der Säbener Straße drohte in den vergangenen Tagen ein Zwist rund um die Torhüter. Auf der einen Seite: Bayerns Coach Hansi Flick, Torwarttrainer Toni Tapalovic und Nationaltorhüter Manuel Neuer, die sich allesamt als einflussreiche Anhänger des stets loyalen Ulreich outeten. Auf der anderen Seite Münchens Sportvorstand Hasan Salihamidžić, der gegen alle internen Widerstände Schalkes Alexander Nübel im Sommer verpflichtet hatte.
Ulreichs Gehalt sinkt beim HSV auf eine Million Euro
Doch nachdem Nübel am zweiten Spieltag gegen Hoffenheim (1:4) von Trainer Flick nicht mal für den Kader nominiert worden war, kam plötzlich Bewegung in Bayerns Torwarthierarchie hinein. Nübel suchte das Gespräch und wollte sich verleihen lassen, sollte Ulreich bleiben. Doch genau das wollte Salihamidžić um jeden Preis verhindern – und bot Ulreich zu vorher nicht vorstellbaren Konditionen an. „Natürlich hilft es, wenn der Kontakt zu allen Parteien sehr gut, sehr transparent, sehr ehrlich und sehr frühzeitig dagewesen ist“, sagte Boldt, dessen Geduld am Freitag belohnt wurde.
Nach Abendblatt-Informationen konnte der HSV den Torhüter nach all den Irrungen und Wirrungen beim FC Bayern plötzlich für einen kaum vorstellbaren Preis holen. So übernimmt der FCB in der kommenden Saison mehr als 80 Prozent des Gehalts des 1,92 Meter großen Keepers, der den HSV selbst im Aufstiegsfall insgesamt (Ablöse plus Gehalt) nur wenig mehr als eine Million Euro kosten soll. Und auch in den nächsten beiden Jahren bis zum Vertragsende 2023 soll Hamburgs neue Nummer eins ein moderates Gehalt von rund einer Million Euro erhalten.
HSV wollte erst Nübel, dann Hoffmann
Kurios ist der Ulreich-Deal auch deswegen, weil der HSV in diesem Sommer gleich über drei Bayern-Torhüter nachgedacht hatte – blöderweise aber nicht an Manuel Neuer. Zunächst hatten Boldt und Sportdirektor Michael Mutzel, der als Spieler von Ulreich-Agent Schwab beraten wurde, für den Fall des Aufstiegs eine mögliche Leihe Nübels ins Auge gefasst.
Als der Aufstieg verspielt wurde und auch der Ulreich-Deal nicht machbar schien, war Torwarttalent Ron-Thorben Hoffmann (21) aus Bayerns U23 das nächste Objekt der Begierde. Der FCB lehnte ab – und gab dann doch seine überraschende Zustimmung. Nicht für Hoffmann, sondern für Ulreich.
Heuer Fernandes von Ulreich-Verpflichtung nicht begeistert
Der stand am Sonntag nach seinem erstem HSV-Training kerzengerade am Spielfeldrand – und ließ sich von den zahlreichen Medienvertretern löchern. „Bayern ist uns auch ein Stück weit entgegengekommen“, untertrieb Ulreich maßlos – und relativierte: „Hamburg hat aber auch sehr viel Einsatz gezeigt.“ Und dann sagte der Neuzugang Sätze, die HSV-Neuzugänge nun mal so sagen. Er freue sich, nun endlich in Hamburg zu sein. „Der HSV hat eine brutale Strahlkraft. Es ist ein großer Verein, der auch in die Erste Liga gehört.“
Es sind Sätze, die man vor gut einem Jahr in Hamburg schon mal in ähnlicher Form gehört hat. „Ich freue mich riesig auf den Verein, das Stadion und die Fans. Ich möchte mit der Mannschaft Vollgas geben, mit dem HSV erfolgreich sein“, hieß es damals. Und: „Ich habe große Ziele und kann kaum erwarten, dass es losgeht.“ Der einzige Unterschied: Seinerzeit war es Heuer Fernandes, dessen Vorfreude nach seinem Wechsel aus Darmstadt kaum zu bremsen war.
Lesen Sie auch:
- HSV-Spiel abgesagt: Auer plötzlich negativ auf Corona getestet
- HSV gegen Aue abgesagt – was das jetzt bedeutet
- Bayern: Choupo-Moting setzt Transfer-Karussell in Gang
Ein gutes Jahr später ist aus der großen Freude noch größere Ernüchterung geworden. Am Sonnabend hatte Trainer Thioune der bisherigen Nummer eins in einem persönlichen Gespräch mitgeteilt, dass der HSV gerade den fünfmaligen Meister und dreifachen Pokalsieger Ulreich verpflichtet hatte. „Begeistert war Daniel nicht“, gab dann Thioune am Morgen danach zu. „Aber er ist Profi.“
Ein Profi, der in Trainingsspielen in Zukunft nun möglicherweise häufiger mal in den Sturm statt ins Tor muss.