Bad Häring. „Ich bin ein Glas-halb-voll-Typ“, sagt Xavier Amaechi über sich. Doch wie viel Zeit bekommt man heutzutage noch als Talent?
Wahrscheinlich ist die Behauptung übertrieben, dass Luther, Diego, Allison, Klaus, Five, Ben und Vanya eine ernsthafte Bedeutung für den Saisonverlauf des HSV haben. Zumindest einen kleinen Einfluss auf HSV-Profi Xavier Amaechi haben die Hauptfiguren der US-Netflix-Serie „The Umbrella Academy“ aber sehr wohl.
Der Engländer ist ein Fan der neuen Erfolgsserie über die Teenager mit Superheldenkräfte – und nutzt diese Leidenschaft, um besser Deutsch zu lernen. So schaut er die synchronisierte Erfolgsserie tatsächlich auf Deutsch mit englischen Untertiteln – und bilanziert nun zufrieden: „Mein Deutsch wird immer besser und besser.“
Amaechi wechselte vom Arsenal London zum HSV
Besser und besser will der 19-Jährige in der kommenden Saison auch auf dem Fußballplatz werden. Dass er im Gegensatz zu seinen Serienhelden keine Superkräfte hat, musste Amaechi in der vergangenen Saison erst lernen. Insgesamt ließ ihn Ex-Trainer Dieter Hecking lediglich 32 Saisonminuten spielen. „Natürlich habe ich nicht so viel gespielt, wie ich es mir gewünscht hätte“, sagt der Youngster, der vor einem Jahr mit großen Vorschusslorbeeren aus dem Nachwuchs von Arsenal London zum HSV gewechselt war.
„Ich habe es zuerst nicht für möglich gehalten, dass wir mit diesem Spieler in Verhandlungen treten“, hatte seinerzeit Sportvorstand Jonas Boldt gesagt. „HSV schnappt sich Arsenal-Juwel“, titelte damals die „Sport Bild“ – und berichtete auch von einem Interesse von Rekordmeister Bayern München.
Ein Jahr später sitzt Amaechi auf der Terrasse des HSV-Mannschaftshotels Das Sieben und versucht – mit Abstand – die vergangenen zwölf Monate zusammenzufassen. „Selbstverständlich war das nicht die positivste Saison meines Lebens. Aber ich werde trotzdem positiv bleiben. Und das fällt mir auch leicht.“ Amaechi lächelt. „Ich bin ein Glas-halb-voll-Typ.“
Ex-Trainer Hecking kritisierte Amaechi hart
Dabei ist beim HSV das berühmte Glas meistens nicht nur halb leer, sondern bis auf den letzten Tropfen ausgetrunken. „Amaechi muss nun liefern“, titelte die „Bild“-Zeitung vor wenigen Tagen. Und auch in der sportlichen Führung hatte man in der vergangenen Saison nicht immer die notwendige Geduld. „Xaviers Auftritt war sehr, sehr unglücklich“, maßregelte Ex-Trainer Hecking seinen Jüngsten, als dieser von ihm in der hektischen Schlussviertelstunde gegen Holstein Kiel (3:3) ins kalte Wasser geschmissen wurde – und dabei mit dem Rest der Mannschaft unterging. „Das haben wir so nicht erwartet“, urteilte Hecking seinerzeit.
Doch Amaechi gab nicht auf. Der Youngster suchte Rat bei Patrick Esume, den der HSV im Saisonendspurt als eine Art Motivationstrainer verpflichtete.
„Patrick hat mir besonders viel geholfen, als es für mich am schwersten war“, sagt Amaechi, dessen Wohnung am Rothenbaum nur wenige Minuten von Esumes Zuhause in Eppendorf entfernt liegt. „Sein Haus stand immer offen für mich. Er hat mich aufgebaut, wenn ich dann doch mal down war.“
Dass ein 19-Jähriger auch mal ein Tief haben kann, ist in dem heutigen Überholspurgeschäft eigentlich nicht vorgesehen. Doch manchmal hilft es eben auch, wenn man neben dem Gaspedal auch mal die Bremse betätigt.
Xavier Amaechi wurde im westenglischen Bath geboren
Komplett ausgebremst fühlte sich Amaechi vor allem, als er durch Corona plötzlich alleine über Wochen in seinem Apartment gefangen war. Noch schlimmer: Seine Eltern waren in ihrem Ferienhaus in Südspanien gestrandet, durften nicht mehr ausreisen. „Die Zeit war hart für mich. Ich war ziemlich lange alleine.“ Doch da war es schnell wieder: das halb volle Wasserglas.
Statt zu verzagen, nutzte das frühere Arsenaltalent die Zeit, um sich von Mama über Facetime das Kochen beibringen zu lassen. Seine Spaghetti Bolognese seien durchaus vorzeigbar, sagt Amaechi, der für den HSV überhaupt erstmals sein Elternhaus verließ.
Geboren ist Amaechi im westenglischen Bath, zog aber mit seiner Familie bereits nach wenigen Jahren in den Nordwesten Londons. Zunächst fuhren ihn seine Eltern täglich durch die ganze Stadt nach Süd-London zum FC Fulham, dann wechselte er mit zwölf Jahren in den Arsenal-Nachwuchs. East-London. Nur noch 45 bis 60 Minuten Fahrt.
Als Kind sei er immer ein großer Arsenal-Fan gewesen, berichtet Amaechi. Thierry Henry, Alexis Sanchez, da kann man schon mal ins Schwärmen geraten. Als 17-Jähriger durfte er dann sogar mit Mesut Özil trainieren, als 18-Jähriger mit zum Europa-League-Finale nach Baku gegen den FC Chelsea reisen. „Unglaublich“, sei das gewesen. „Ich war zwar am Ende nicht im Kader, aber ich war die ganze Zeit dabei.“
HSV-Trainer Daniel Thioune führte Gespräche mit Amaechi
Doch das Leben hat mehr als nur Fußball zu bieten. Eine Erkenntnis, die nicht jeder in diesem Alter hat. Als aber HSV-Sportdirektor Michael Mutzel, der monatelang mit Amaechi und dessen Familie in Kontakt stand, Ernst machte, überlegte der Engländer nicht lange. „Es ist eine große Sache, als 18-Jähriger nicht nur den Club zu wechseln, sondern auch das Land. Man lernt eine neue Kultur und eine neue Sprache kennen“, sagt er. „Aber genau das wollte ich auch.“
Mit Trainer Daniel Thioune habe er schon das eine oder andere Gespräch gehabt, zudem habe sich Co-Trainer Merlin Polzin seiner angenommen. „Ich hatte lange Gespräche mit Merlin“, sagt Amaechi. „Er gibt mir viele Tipps, woran ich arbeiten muss.“ Die hat ihm auch Per Mertesacker gegeben. Der Arsenal-Nachwuchschef kam noch einmal persönlich nach Hamburg, verabschiedete sich von Amaechi und überreichte ihm als Abschiedsgeschenk ein Arsenal-Trikot.
Damit ist das Kapitel Arsenal aber vorerst abgeschlossen. Die zweite Staffel von „The Umbrella Academy“ ist übrigens gerade erst bei Netflix angelaufen – und schon jetzt ein Hit. Amaechis zweite Staffel beim HSV soll in Kürze folgen..